Lilo Pulver als Vreneli neben Hannes Schmidhauser in «Uli der Knecht» (1954). (Len Sirman-Archiv / Keystone)

Lilo Pulver als Vreneli neben Hannes Schmidhauser in «Uli der Knecht» (1954). (Len Sirman-Archiv / Keystone)

Jesses! Vreneli ist 90

Kaum eine Schweizerin ist im nahen Ausland so populär wie Liselotte «Lilo» Pulver. Vor allem in den Wirtschaftswunderjahren zählte sie im deutschsprachigen Raum zu den beliebtesten Kinostars überhaupt.

Jürg Zbinden
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In den Fünfzigern hiessen die Kinos «Lichtspieltheater» oder «Filmpalast», das Pantoffelkino steckte noch in den Pantöffelchen, und Hollywood war nicht das Mass aller Dinge. Doch die Sehnsucht, sich wegzuträumen, war in der traurigen Realität der Nachkriegsjahre grösser denn je.

Liselotte Pulver beschliesst früh, Schauspielerin zu werden. Vor dem Abschluss der Töchterhandelsschule der Stadt Bern, wo sie Stenografie nach dem System Stolze-Schrey erlernt, spricht sie beim Dramaturgen des Zürcher Schauspielhauses vor – der sie zu einer entsprechenden Ausbildung ermutigt. Die Gesellschaft zu Zimmerleuten bewilligt ein Stipendium zum Besuch des Berner Konservatoriums, Abteilung Schauspiel.

Schnell etabliert sie sich mit klassischen Jungmädchenrollen am Schauspielhaus Zürich und hat nebenbei einen kleineren Auftritt in Leopold Lindtbergs Film «Swiss Tour» (1949), der in Deutschland unter dem einleuchtenden Titel «Ein Seemann ist kein Schneemann» vertrieben wird. «Swiss Tour» ist besetzt mit namhaften Kollegen, mit Simone Signoret, Heinrich Gretler und dem gutaussehenden Cornel Wilde.

Film um Film

Das Bergfilmdrama «Föhn» (1950), mit Hans Albers und wiederum Heinrich Gretler, macht ihr Gesicht in Deutschland bekannt. Es folgt Film auf Film, wenigstens drei Produktionen im Jahr. 1954 dreht sie unter anderem mit Paul Hubschmid, Wolf Albach-Retty, Hardy Krüger, Brigitte Horney und Nadja Tiller, die vier Jahre später als «Das Mädchen Rosemarie» Furore machen wird.

In der Schweiz wird sie in dieser Zeit zwar respektiert, aber nicht geliebt. Das ändert sich, als sie die Rolle des liebreizenden Vreneli in Franz Schnyders Jeremias-Gotthelf-Verfilmungen «Uli der Knecht» (1954) und «Uli der Pächter» (1955) übernimmt. Das uneheliche und völlig mittellose Vreneli, eine Magd, die nichts als harte Arbeit und erst recht keine Liebe kennt und dennoch ein Herz aus Gold hat, rührt das in der Mehrheit immer noch bäuerlich geprägte Schweizer Kinopublikum an. Hier hatte man doch ein lebensechtes Goldvreneli vor sich statt einer kalten Münze.

Die Wirtschaftswunderjahre sind die Jahre des Heimatfilms, von Schlagern mit Peter Alexander und Conny Froboess oder von der lockenden Ferne, die nicht allzu fern sein soll. «Ich denke oft an Piroschka» (1955) bedient diese Sehnsucht wie kaum ein anderer deutscher Film jener Zeit, er wird ein Riesenerfolg. Lilo Pulvers Piroschka oder Piri bezaubern, ihr drolliger Akzent ist unwiderstehlich. Der unaussprechliche Name des in der ungarischen Tiefebene gelegenen Dörfchens Hódmezővásárhely wird ein Hit, so wie Caterina Valentes und Silvio Francescos «Popocatepetl-Twist».

Enttäuschungen bleiben jedoch auch Lilo Pulver nicht erspart. Im Antikriegsfilm «A Time to Love and a Time to Die» (1958) von Douglas Sirk, dem Meister des Melodrams, hätte ursprünglich Paul Newman ihr Partner sein sollen. Daraus wird nichts. Während der Hollywoodstar mit den stahlblauen Augen Elizabeth Taylor zur Partnerin bekommt, muss die bei Universal unter Vertrag stehende Schweizerin mit John Gavin vorliebnehmen.

«Zeit zu leben und Zeit zu sterben» nach dem gleichnamigen Roman von Erich Maria Remarque fällt beim amerikanischen Publikum trotz mehrheitlich guten Kritiken durch. Am meisten schmerzt jedoch der Verlust der Hauptrolle in Anthony Manns Abenteuerfilm «El Cid» mit Charlton Heston. Weil sie für «Gustav Adolfs Page» unterschrieben hat, kommt Sophia Loren zum Zug.

Wie vielen Kolleginnen und Kollegen droht auch Lilo Pulver das berüchtigte Typecasting, das heisst, sie wird gerne auf eine bestimmte Rolle festgelegt. Man beschliesst, das Damenhafte sei nicht ihr Metier. Sie darf ruhig ein bisschen widerborstig sein, aber nicht zu sehr, und sie darf auch mehr als nur einmal die Hosen anhaben. Tatsächlich sind sogenannte Hosenrollen, in denen eine Frau sich als Mann ausgibt, eine ihrer Spezialitäten. Dass die Travestie sich zum Happy End aufklärt und die Hose einem duftigen Kleid weicht, versteht sich von selbst.

Von grossen Schauspielerinnen wird behauptet, sie könnten selbst einem durchschnittlichen oder gar schlechten Streifen noch etwas Glanz oder Pfeffer verleihen. «Kohlhiesels Töchter» (1962), die Verfilmung eines gleichnamigen Bauernschwanks, ist nicht die ganz grosse Filmkunst, aber Lilo Pulver in einer Doppelrolle der Schwestern Susi und Liesel glänzt darin.

Die bildhübsche Liesel hilft der unansehnlichen und derben Susi, die sich auch ein Eheglück erhofft, auf die Sprünge. Das männliche Auge erfreuend hergerichtet, findet sie schliesslich doch noch den Richtigen. Unvergessen das zweistimmig eingesungene Duett: «Jedes Töpfchen find’ sein Deckelchen / Jeder Kater find’ die Katz’ / Jedes Knöpfchen find’ sein Fleckelchen / Jedes Mädel seinen Schatz.»

Der Mann, den die sauertöpfische Susi mithilfe der Schwester erobert, ist auch im Privatleben Lilo Pulvers Ehemann. Mit Helmut Schmid bleibt sie bis zu dessen Tod im Jahr 1992 glücklich verheiratet. «Kohlhiesels Töchter» sei überdies der Lieblingsfilm ihres gemeinsamen Söhnchens Marc-Tell gewesen.

Die Zeit der Lichtspieltheater und Filmpaläste ist vorbei, die Gegenwart ist multiplex, digital, dreidimensional. Superhelden aus dem Weltall sind die neuen Superstars, die Landschaft der Puszta hat ihren exotischen Reiz für die Leinwand verloren. So ist es denn am Fernsehen, «Die Zürcher Verlobung» von Helmut Käutner oder Billy Wilders Ost-West-Komödie «Eins, zwei, drei» mit Lilo Pulver als blondem Fräuleinwunder wiederaufleben zu lassen. Der 90. Geburtstag von Lilo Pulver bietet dazu den idealen Anlass.

Liselotte Pulver: Was vergeht, ist nicht verloren – Drehbuch meines Lebens. Hoffmann und Campe, Hamburg 2019. 221 S., Fr. 27.90.