Schluss mit den Zeitzonen – eine einzige Uhrzeit für die ganze Welt wäre effizienter

Wie beurteilen Ökonomen die Zeitmessung? Wenn sie nur ein nominales Konstrukt ohne reale Bedeutung sein sollte, wäre es am besten, alle Zeitzonen abzuschaffen und der ganzen Welt dieselbe Uhrzeit zu verordnen.

Thomas Fuster
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Nicht der Zeiger auf einer Uhr bestimmt unseren Lebensrhythmus, sondern der Sonnenstand am Himmel. (Bild: Simon Tanner / NZZ)

Nicht der Zeiger auf einer Uhr bestimmt unseren Lebensrhythmus, sondern der Sonnenstand am Himmel. (Bild: Simon Tanner / NZZ)

Eigentlich wollte die Europäische Kommission die Sache nur vereinfachen. Doch seit ihrer Ankündigung, in der EU die halbjährliche Zeitumstellung abzuschaffen, ist die Verwirrung grösser denn je. Was wird denn nun abgeschafft, die Winter- oder die Sommerzeit? Und bis wann soll dies der Fall sein? Über all dies – und noch viel mehr – wird heftig gestritten.

Dabei ist die Sache schon kompliziert genug: Allein in der EU gibt es drei Zeitzonen. Und während die EU zuständig ist für eine Beendigung der Zeitumstellung, entscheiden die Mitgliedstaaten, in welcher Zeitzone sie leben wollen. Entsprechend real ist die Gefahr, dass man sich bei einer Reise durch die EU künftig auf einem Flickenteppich unterschiedlichster Zeiten bewegt. So war das kaum gemeint.

Keine Energieeinsparungen

Offenkundig ist derzeit nur eines: Vor dem Jahr 2021 wird sich vorderhand nichts ändern; das hat im März das EU-Parlament entschieden. Augenscheinlich ist aber auch, dass das weltweit in rund 60 Ländern zu beobachtende System saisonal unterschiedlicher Zeiten vielerorts auf Widerstand stösst.

Schon 2014 verordnete etwa Russland eine ganzjährig gültige Winterzeit, und 2016 ent­schied die Türkei, in Zukunft dauerhaft bei der Sommerzeit zu bleiben. Hintergrund des Trends: Die Hoffnungen, die mit dem Wechsel von Winter- und Sommerzeit verbunden waren, blieben grösstenteils unerfüllt. Kaum nachweisbar – oder schlicht inexistent – sind vor allem die angeblichen Energieersparnisse aufgrund der längeren Nutzung des Tageslichts; das untermauern diverse Studien.

In verstärktem Mass werden daher die Nachteile der Zeitumstellung in den Fokus gerückt. Die Europäische Kommission erwähnt etwa eine Zunahme von Verkehrsunfällen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen, wenn die innere Uhr des Menschen alle sechs Monate gestört wird. Das tönt plausibel, ist aber – ähnlich wie das Argument der Energieeinsparung – empirisch nur schwer nachweisbar.

Brüssel kritisiert ferner, die Zeitumstellung sorge bei den Bürgern regelmässig für Verwirrung, da es nicht selbsterklärend sei, wann und in welche Richtung die Uhren umgestellt werden müssen. Auch erhofft sich die Kommission von einer Abschaffung der Zeitumstellung wirtschaftliche Vorteile. Vor allem Planungen im Energie- und Verkehrssektor würden vereinfacht, heisst es.

Die Kosten von Zeitzonen

Doch selbst wenn die Zeitumstellung abgeschafft würde, ein Problem bliebe bestehen: das Nebeneinander verschiedener Zeitzonen auf der Welt. Das hat ökonomische Folgen. Wie Martin Braml (Ifo-Institut München) und Gabriel Fel­bermayr (Kieler Institut für Weltwirtschaft) in einer Analyse zeigen, kommt es zu zwei Effekten: zu einem Syn­chronisations- und einem Kontinuitätseffekt.

Ersterer wirkt negativ, weil Zeitzonen den Handel erschweren; Telefonieren wird kompliziert, Bürozeiten fallen auseinander. Der zweite wirkt positiv, weil Zeit­zonen ermöglichen, rund um die Uhr an einer Aufgabe zu arbeiten; Dokumente werden über Nacht in Asien vorbereitet, in Europa angepasst, am Abend in die USA übermittelt. Ökonomische Studien zeigen dabei: Per Saldo dominieren die schädlichen Effekte.

Das einzig Reale, auf das sich alles bezieht, ist die Sonnenzeit. Diese bestimmt, wie wir den Tag strukturieren.

Doch was ist die Zeitmessung überhaupt aus ökonomischer Sicht? Für Braml und Felbermayr handelt es sich um ein rein nominales Konstrukt. Zeitliche Veränderungen haben langfristig also keine Folgen. Was das heisst, zeigt ein Gedankenspiel. Würde die Schweiz gezwungen, der Zeitzone Tokios beizutreten und die Uhren um sieben Stunden nach vorne zu drehen, könnte man hierzulande auf zwei Arten reagieren: Erstens, man würde stur nach der bisherigen Uhrzeit leben, ginge also um 8 Uhr ins Büro und um 23 Uhr ins Bett. Das hiesse aber, bei finsterer Nacht zur Arbeit und bei Tages­licht zu Bett zu gehen. Der Biorhythmus, geprägt durchs Tageslicht, geriete völlig durcheinander. Realistischer wäre daher die zweite Variante: Man ginge weiterhin zur gleichen Sonnenzeit ins Büro – und würde schlicht ignorieren, dass die Uhr dann bereits 15 Uhr anzeigt.

«Sonne schlägt Franco»

Dass dies keine theoretische Fingerübung ist, zeigt Spanien. Dort entschied sich Franco im Jahr 1942, aus Sympathie für Hitler dieselbe Zeit einzuführen wie Deutschland. Seither lebt Spanien in einer anderen Zeitzone als das benachbarte Portugal oder Grossbritannien, das auf ähnlichen Längen­graden liegt. Die Sonnen- und die Uhrzeit klaffen auseinander.

Wie reagiert die Bevölkerung? Sie geht eine Stunde später zur Arbeit als An­gestellte in Deutschland, isst dafür eine Stunde später zu Mittag und arbeitet entsprechend länger in den Abend hinein. Wie Braml und Felbermayr betonen, haben die Spanier ihre Lebensweise nicht Francos Uhr angepasst, sondern leben so weiter, als ob sie in ihrer «richtigen» Zeitzone geblieben wären. Oder wie die Autoren schreiben: «Sonne schlägt Franco.»

Ist die Zeit tatsächlich ein nominelles Konstrukt, spielt es keine Rolle, welche Uhrzeit herrscht. Es ist wie mit der Temperatur: Ob man die Wärme in Fahrenheit oder Celsius misst, ist eine Frage der Definition und für die Wahrnehmung der Wärme unbedeutend. Ähnliches galt bei der Umstellung von der D-Mark zum Euro; da die Währungen in einem fixen Verhältnis standen, war die Unterscheidung eine künstliche.

Dasselbe bei der Zeit: Das einzig Reale, auf das sich alles bezieht, ist die Sonnenzeit. Diese bestimmt, wie der Tag strukturiert wird. Ob auf der Uhr 2 oder 16 Uhr steht, ist irrelevant. Folgenlos wäre es daher, wenn die Schweiz die Zeit Tokios übernehmen müsste; die Umstellung wäre eine blosse Umrechnung.

Globale Wirtschaft, globale Zeit

Die logische Konsequenz dieser Überlegung wäre die Einführung einer Weltuhrzeit, die rund um den Globus gilt. Die Greenwich-Normalzeit böte sich hierzu an. Das mühsame Umrechnen zwischen Zeit­zonen wäre dann vorbei. Propagiert wird diese Idee vom Ökonomen Steve Hanke und vom Physiker Richard Conn Henry. Beide sind an der John Hopkins University tätig. Sie kommen aus unter­schiedlichen Perspektiven zum gleichen Schluss.

Während Henry betont, aus physikalischer Sicht gebe es ohnehin nur eine einzige Zeit, verweist Hanke auf die Verflechtung der Weltwirtschaft. In Zeiten, in denen sich ökonomische Tätigkeiten noch primär lokal abgespielt hätten, seien lokale Zeitzonen kein Problem ge­wesen. Im Zeitalter des Internets laufe aber vieles global, also brauche es auch eine globale Zeit.

Die Idee, dieses Durcheinander zu beenden und eine universelle Zeitzone zu schaffen, ist keineswegs so radikal, wie sie scheinen mag.

Ginge es nach Hanke und Henry, entspräche 19 Uhr in New York auch 19 Uhr in Zürich. Das Rei­sen und die Kommunikation würden vereinfacht. Allenfalls nähme auch der Handel zu. So zeigt eine Studie aus dem Jahr 2013, dass der Handel zwischen US-Gliedstaaten und kanadischen Provinzen mit unterschiedlichen Zeitzonen rund 11% tiefer ist, als er es sonst wäre. Auch wäre der Zeitpunkt von Transaktionen etwa im Börsenhandel nun unzweideutig definiert.

Heute ist das nicht immer der Fall. So gibt es weltweit rund drei Dutzend verschiedene Zeitzonen, wobei es in einigen Gegenden zu halb- oder viertel­stündlichen Verschiebungen kommt. Das verkompliziert die Umrechnung ebenso wie das Vorhandensein lokaler Sommer- und Winterzeiten. Zudem verlaufen die geografischen Zeitgrenzen bisweilen auf ziemlich erratische Weise.

Die Nasa macht es vor

Die Idee, dieses Durcheinander zu beenden und eine universelle Zeitzone zu schaffen, ist keineswegs so radikal, wie sie scheinen mag. Die US-Raumfahrtbehörde Nasa bedient sich längst der koordinierten Weltzeit (Coordinated Universal Time, UTC). Dasselbe gilt für den Luftverkehr, die Seefahrt, die Meteorologie, Armeen der Nato, Forschungsstationen in der Antarktis und andere Projekte, die eine einheitliche Zeitskala benötigen.

Was läge da näher, als die UTC gleich zur weltweit einzigen Zeit zu erklären? Erstens sind Zeitzonen aus historischer Sicht ohnehin ein junges Phänomen. Zweitens würde sich für den Einzelnen nichts ändern, da die Lebensgewohnheiten ja bestimmt werden durch den – realen – Stand der Sonne, nicht aber durch die – nominale – Position eines Zeigers auf einer Uhr. Spanien macht es vor.

Dass ihre Idee wenig bis gar keine Chancen auf Umsetzung hat, ist Hanke und Henry bewusst. Funktionieren würde das Ganze nur, wenn alle Länder mitzögen. Zudem ist die Macht der Gewohnheit eine träge Kraft. Milliarden von Menschen müssten ihr Verständnis von Zeit überdenken. Japaner müssten sich daran gewöhnen, dass beim Frühstück der Stundenzeiger neu bei 22 Uhr statt 7 Uhr stünde.

Doch eben: Das wäre ja nur eine Umrechnung nominaler Grössen. Daran hat man sich schnell gewöhnt, wie die Einheitswährung im Euro-Raum zeigt. Für Hanke und Henry steht fest, dass sich die Menschen auch an eine Weltuhrzeit rasch anpassen könnten. Denn schliesslich, so ihre Überzeugung, sind Zeiten ja nur Zahlen.