Das Bauhaus überlebte auch nach dem Zweiten Weltkrieg nur für eine kurze Dauer | NZZ

Das Bauhaus überlebte auch nach dem Zweiten Weltkrieg nur für eine kurze Dauer

Das Bauhaus wurde vor hundert Jahren gegründet, die Hochschule für Gestaltung Ulm von Max Bill wurde vor fünfzig Jahren geschlossen. Über den Mythos zweier deutscher Gestaltungsschulen.

Bettina Maria Brosowsky
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Trotz Protesten musste die Hochschule für Gestaltung Ulm 1968 schliessen. Mit dem Plakat «1943 −1968. Hinrichtung HfG» erinnerten die Studenten auch an das das Todesjahr von Hans und Sophie Scholl. (Bild: Hartwig Koppermann)

Trotz Protesten musste die Hochschule für Gestaltung Ulm 1968 schliessen. Mit dem Plakat «1943 −1968. Hinrichtung HfG» erinnerten die Studenten auch an das das Todesjahr von Hans und Sophie Scholl. (Bild: Hartwig Koppermann)

Die Nachlassverwalter des Bauhauses in Weimar, Dessau und Berlin starten gerade mit einem riesigen Programm ins 100-Jahr-Jubiläum der weltweit berühmten Institution, die 1919 gegründet und 1933 wieder geschlossen wurde. Bevor sich nun aber alle auf die Berichterstattung über diese Feierlichkeiten stürzen, sollte man den Blick nach Ulm richten. Auch hier gab es eine Hochschule, die fünfzehn Jahre nach ihrer Eröffnung zum Jahresende 1968 ihren Betrieb wieder einstellen musste: die Hochschule für Gestaltung (HfG), die der Schweizer Architekt, Künstler, Publizist und dort Lehrende Max Bill errichtet hatte. Als neues Bauhaus wird sie aus guten Gründen bezeichnet.

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Ihre Gründungsgeschichte, ambitionierte Programmatik, die vielen Querelen und Machtkämpfe, aber auch ihre Wirkungsmacht werden in einer kleinen Ausstellung rekapituliert, die das Archiv der Ulmer HfG zum 50. Jahrestag der Schliessung organisiert. Dazu sind zwei Publikationen erschienen: eine dicke, persönlich resümierende Chronologie, verfasst von der Kuratorin der Ulmer Ausstellung Christiane Wachsmann sowie eine akribische, eindrucksvoll umfangreiche Baumonografie von Daniel P. Meister und Dagmar Meister-Klaiber, zwei Absolventen der HfG, zur Architektur dieser Hochschule.

Wahlrecht für Frauen

Beide Gestaltungsschulen, das Bauhaus wie die HfG Ulm, entstanden aus den Katastrophen und Traumata eines vorausgegangenen Krieges. Nach den geistigen Verheerungen des Ersten Weltkriegs gelang es 1919 dem Architekten Walter Gropius, im Gründungsklima der jungen Republik alte Berufungsverhandlungen zur Leitung der Weimarer Kunsthochschule zu reaktivieren und für die Idee seines Instituts politisch einzusetzen. Unter der synthetisierenden Ägide der Architektur sollten Kunst und Handwerk im «grossen Bau» zusammenfinden. Die gestalterische Utopie war Teil einer emanzipatorischen Vision, die unter einem enormen politischen, intellektuellen und gesellschaftlichen Reformstau – zu nennen wären etwa nur das Wahlrecht für Frauen, ihr Zugang zu Universität oder Kunstakademie sowie die Modernisierung dieser Institutionen – ihrer herkulischen Aufgabe in bewusst antiakademischer Haltung begegnete. Schon der Name – «Bauhaus, Hochschule für Gestaltung» – suchte keine Orientierung mehr in bekannten Vorbildern, sondern wollte den radikalen Neuanfang. Und lieferte die Vorlage für die spätere HfG Ulm.

Die Hochschule für Gestaltung Ulm im Winter. (Bild: Wikipedia)

Die Hochschule für Gestaltung Ulm im Winter. (Bild: Wikipedia)

Ihre Gründung verlief denn auch ungleich schwieriger. 1945 lagen nicht nur die deutschen Städte in Trümmern und, anders als 1919, waren kaum bauliche Ressourcen für einen neuartigen Lehrbetrieb verfügbar. Es galt primär, der so grauenvollen jüngsten Geschichte des deutschen Faschismus ein Signal zivilgesellschaftlichen Anstands und demokratischen Aufbruchs entgegenzusetzen. Initiatorin der Hochschule war Inge Scholl, die ältere Schwester der beiden 1943 in München hingerichteten Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl. Deren Vermächtnis war stets idealistischer Bezugsrahmen der Hochschule, ihre Porträts hingen dort.

Widerstandskämpfer

Inge Scholl gelang es ab 1949, mit ihrem späteren Ehemann, dem Gestalter Otl Aicher, und weiteren geistigen Weggefährten ein pädagogisches Programm für eine stiftungsgetragene, nichtstaatliche Hochschule zu formulieren sowie finanzielle Zusagen der amerikanischen Militärverwaltung und ein Baugelände zu akquirieren. Von Anbeginn dabei war Max Bill aus Zürich. Er hatte 1928 kurz am Bauhaus in Dessau unter dem Schweizer Architekten Hannes Meyer studiert, wirkte danach als freier Künstler und erarbeitete 1949 für den Schweizerischen Werkbund die international gezeigte Ausstellung «Die gute Form»: eine mustergültige neue Warenwelt für ein besseres Leben.

Bill entwarf den 1953 begonnenen Neubau der HfG am Ulmer Kuhberg, einer Anhöhe über der Donau westlich der Innenstadt. Und wer das Bild des orthogonalen, recht «preussisch» disziplinierten Bauhaus-Neubaus aus Dessau, der 1925 errichtet wurde, vor Augen hat, wird in Ulm durch eine aufgelockerte, polygonal verschränkte Anlage überrascht: ein offener Campus, der in unendlicher Terrassierung seiner Baukörper die topografische Hanglage paraphrasiert und räumlich konzentriert so unterschiedliche Volumina wie Werkstätten, Ateliers, eine Bibliothek und eine Mensa mit grossem Freisitz schichtet.

Max Bill war aber auch Gründungsrektor der HfG und in dieser Funktion weit weniger «locker». Er trieb in Abstimmung mit dem Bauhaus-Gründer Gropius der HfG das staatsbürgerliche Sendungsbewusstsein einer Inge Scholl aus, aber auch eine rein künstlerische Lehre. Denn Bill hatte sich schon am Bauhaus gefragt, was die vielen malenden Pädagogen dort eigentlich sollten. Nun folgte er in seiner situativen Architektur in roh belassener Materialität dem Vorbild Hannes Meyer (Parallelen zu dessen AGB-Schule im brandenburgischen Bernau lohnten näherer Betrachtung). Und passte auch den inhaltlichen Anspruch der Bildungsstätte an. Es ging um nicht weniger als allgemeingültige Wahrheiten und darum, die Geschichte der Moderne zu einem für die Menschheit erfolgreichen Ende zu führen. «Cool on the Kuhberg» betitelte 1959 der britische Designtheoretiker Reyner Banham einen Bericht nach einem mehrtägigen Aufenthalt in Ulm, er bemerkte aber auch die Humorlosigkeit der dort Tätigen, die mit seiner trivialen Pop-Art so wenig anzufangen wussten.

HfG-Studenten und -Dozenten demonstrieren vor dem Württembergischen Kunstverein und dem Landtag in Stuttgart für den Erhalt ihrer Hochschule im Mai 1968. (Bild: Herbert W. Kapitzki)

HfG-Studenten und -Dozenten demonstrieren vor dem Württembergischen Kunstverein und dem Landtag in Stuttgart für den Erhalt ihrer Hochschule im Mai 1968. (Bild: Herbert W. Kapitzki)

Fundamentalkritik

Dennoch: In ihrer Hochphase bis weit in die sechziger Jahre war die HfG ein streitbares, international ausstrahlendes Institut, mit seinen Abteilungen für Produktgestaltung, visuelle Kommunikation, (industrialisiertes) Bauen, Information und Film lang nachhallend stilbildend. Und mit geradezu paradiesischen Betreuungsverhältnissen: Neben gut zwanzig Dozenten gingen während der Jahre mehr als 200 internationale Gastdozenten dort ein und aus, zuständig für in toto etwa 650 Studierende, pro Jahrgang kamen 30 bis 50 Prozent von ihnen aus dem Ausland, 215 diplomierten.

Ähnlich wie die Produktionsbereiche am Bauhaus mussten in Ulm Entwicklungsaufträge für die Industrie notwendige Eigenmittel erwirtschaften. Diese Anbindung an die Wirtschaft, ästhetische Dogmen wie der sprichwörtliche «rechte Winkel von Ulm» oder eine bevorzugte Monochromie in Grau, Schwarz und Weiss, vor allem aber die kaum basisdemokratischen Verfassungsstrukturen der Hochschule provozierten zwangsläufig die studentische Fundamentalkritik im Protestjahr 1968. Als zudem das finanzielle Defizit der HfG ausuferte, zog die Landespolitik die Notbremse, und Baden-Württemberg stoppte den überlebensnotwendigen finanziellen Zuschuss. Proteste gegen die drohende Schliessung fanden auch zur Eröffnung einer bewusst politisch weichgespülten Bauhaus-Ausstellung 1968 in Stuttgart statt, selbstverständlich mit hochästhetischen Plakaten, linksbündig gesetzt in Helvetica-Kleinschrift. Zwei Utopien erodierten, zwei Mythen begannen.

Die Schau «Wir demonstrieren! Linksbündig bis zum Schluss. Hochschule für Gestaltung Ulm 1968» läuft noch bis 25. November im HfG-Archiv Ulm. Bei den Publikationen handelt es sich um «Vom Bauhaus beflügelt», Avedition, 256 S., € 29.– sowie «Einfach komplex», Scheidegger & Spiess, 650 S. € 140.–.