Pompeji ging im Herbst unter

Wahrscheinlich ist Pompeji nicht im August untergegangen, sondern im Oktober. Archäologen haben das schon lange vermutet. Nur hat es ihnen niemand geglaubt.

Thomas Ribi
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Pompeji ist untergegangen, das steht fest. Wann genau, darüber streiten die Fachleute. Im Jahr 79 n.  Chr. wurden die Bewohner Pompejis vom Ascheregen überrascht, den der Ausbruch des Vesuv über die Stadt brachte. Für die meisten gab es kein Entrinnen, wie für diese Menschen, die von der Katastrophe überrascht wurden. (Bild: Ivo Scaglietti / Visum)

Pompeji ist untergegangen, das steht fest. Wann genau, darüber streiten die Fachleute. Im Jahr 79 n.  Chr. wurden die Bewohner Pompejis vom Ascheregen überrascht, den der Ausbruch des Vesuv über die Stadt brachte. Für die meisten gab es kein Entrinnen, wie für diese Menschen, die von der Katastrophe überrascht wurden. (Bild: Ivo Scaglietti / Visum)

Plinius bemühte sich, genau zu sein. Wahrscheinlich immer. Aber sicher ganz besonders, als es darum ging, zu schildern, wie Pompeji untergegangen war. Besser gesagt: wie er den Untergang der Stadt von weitem erlebt hatte und unter welchen Umständen sein Onkel, Plinius der Ältere, dabei ums Leben gekommen war. Schliesslich schrieb er den Brief, in dem er die Ereignisse aufrollt, nicht an irgendjemanden, sondern an Tacitus. Einen Freund, den er schätzte und dessen Werk er als Berater und Korrekturleser aufmerksam verfolgte.

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Hat Plinius sich geirrt?

Tacitus gegenüber datierte Plinius den Untergang Pompejis auf den 24. August des Jahres 79 n. Chr. Zumindest nach der gängigen Lesart – dazu später. Nur, das stimmt anscheinend nicht ganz. Bei Grabungen ist kürzlich eine neue Inschrift entdeckt worden. Und die trägt als Datum den 17. Oktober. Dass es der 17. Oktober eines früheren Jahres sein könnte, ist wenig wahrscheinlich, weil die Schrift mit Kohle auf den Stein geschrieben wurde. Sie hätte sich kaum über ein Jahr hin erhalten. Das würde bedeuten, dass die Stadt am 17. Oktober 79 noch bestand. Archäologen hatten schon im 18. Jahrhundert Zweifel am Datum, das Plinius nennt. Bei den Grabungen waren Reste von Kastanien, Granatäpfeln und Oliven gefunden worden. Früchten also, die erst im Herbst reif werden.

Hat sich Plinius geirrt? Das kann sein, ist aber wenig wahrscheinlich. Als er den Brief an Tacitus schrieb, lag die Katastrophe schon einige Zeit zurück. Wohl mehr als zwanzig Jahre. Doch der Vesuvausbruch gehörte zu den prägenden Ereignissen seines Lebens. Achtzehn Jahre alt war er gewesen, als der Vulkan vier kampanische Städte völlig auslöschte. Das prägt. Jeder von uns weiss, wo er war, als er am 11. September 2001 von den Terroranschlägen in Amerika erfuhr, und wird es sein Leben lang nicht vergessen.

Nun ist zu vermuten, dass die antiken Römer ein anderes Zeitbewusstsein hatten als wir. Exakte Daten waren weniger präsent. Schon deshalb, weil man sie sich nicht so leicht merken konnte. Eine einfache, über das ganze Reich verbindliche Zeitrechnung gab es nur in Ansätzen. Offiziell datierte man die Jahre nach den amtierenden Konsuln. Das Jahr 61 v. Chr. zum Beispiel war «das Jahr des Konsulats von Marcus Messalla und Marcus Piso». Ziemlich kompliziert also.

Wer kenn sich da schon aus

Mit den Tagesdaten war es nicht viel einfacher. Sie wurden von drei fixen Tagen her bestimmt: vom ersten Tag des Monats (den Kalenden), dem fünften Tag (den Nonen) und dem dreizehnten Tag (den Iden) – allerdings mit Abweichungen, die vermuten lassen, dass es bereits in der Antike leicht zu Verwechslungen kam. Die «Iden des März» kennt jeder: der Tag, an dem Julius Caesar ermordet wurde. Aber dass sie den 15. März bezeichnen, ist bereits eine Irregularität eines Kalenders, in dessen Details sich nur Fachleute auskannten.

Dass Plinius sich irrte, ist trotz allem nicht anzunehmen. Nur, seinen Originaltext haben wir leider nicht. Wir haben Abschriften davon. Geschrieben wurden sie im Mittelalter. Von Kopisten, die sich mit dem römischen Kalender genauso schwertaten wie wir. In den Handschriften der Plinius-Briefe finden sich tatsächlich verschiedenste Daten, vom 24. August über den 24. Oktober bis zum 24. November. Dass die meisten Textausgaben den 24. August nennen, haben Philologen entschieden, aufgrund der Überlieferungslage. Nur reicht das eben nicht immer. Manchmal muss man auch wissen, wann die Kastanien reif sind.