Ich gleite auf den Ledersitz, die Tür fällt mit gedämpftem «Thumb» zu: In meinem SUV bin ich nur Körper. Und bin ganz ich.

Ein Geländefahrzeug ist kein Auto, sondern ein Gefühl. Ein geistiger Zustand. In ihm fühle ich mich einsam, wild und frei.

Sarah Pines
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Ein Ort der Geborgenheit: Im SUV fühlt man sich in der Einsamkeit der Vorstadt sicher.

Ein Ort der Geborgenheit: Im SUV fühlt man sich in der Einsamkeit der Vorstadt sicher.

Rick Eglinton / Toronto Star / Getty

In meinem SUV war immer Sommer, im Winter vielleicht sogar mehr als zur heissen Jahreszeit, denn draussen schneite es, und drinnen sass ich mit nackten Beinen. Ich wohnte in der amerikanischen Vorstadt. Das Jahr über stieg ich immer nur in der Garage ins Auto – ein schwarzer, grosser, dicker Honda Civic mit abgedunkelten Scheiben und Ledersitzen – und fuhr direkt vor die Geschäfte, Banken, Supermärkte vor. Es waren immer nur ein paar Meter bis zum Eingang, ich konnte auch bei Minusgraden tragen, was ich wollte, meist waren es leichte Kleider, offene Schuhe, offene Jacken ohne Schals oder Mütze.

Die Stadt, in der ich lebte, heisst Buffalo, New York, die Strasse Tennyson Terrace. Buffalo ist leer mit viel Rasen, und die Häuser haben dünne Wände. Man sieht Truthähne und Schneegänse; am Strassenrand liegen überfahrene, grosse Tiere. Fleischige Männer fahren in der wärmeren Jahreszeit auf Rasenmähern herum, und die Strassen haben keine Bürgersteige. Ich werde das nicht schaffen, dachte ich in der ersten Nacht, und manchmal denke ich es noch heute, obwohl das alles schon weit weg ist. Im Nachbarhaus wohnten zwei Frauen, die gleich aussahen und fünf Kinder hatten. Jede Woche kam ein anderer Mann zu ihnen und verbrachte dort ein paar Tage. Jessie, so hiess die ältere der beiden Frauen, war dick. Ihr Busen lag flach auf dem Bauch auf.

In Buffalo fuhr ich viel Auto. Ich fuhr eigentlich die ganze Zeit Auto, weil es nichts zu tun gab. Es gab keine nennenswerten Geschäfte, nur ein Museum, keine Kultur im grossstädtischen Sinne. Der SUV wurde der Ort meiner Entfaltung, die Verlängerung meines Selbst, die mich in den Supermarkt brachte, das Highlight meiner Tage, die mich in den Park mit dem kleinen Wasserfall brachte, der immer leer war und in dem die Enten starben, wegen giftigen Schaums im Wasser. In Beverly Hills fahren Menschen mit SUV auf Rasen von Villas vor und hüpfen hinein auf Partys und Cocktails. So erzählte es mir eine Freundin, und so machte ich das auch ein paar Mal.

Im schummrigen Halbdunkel

In Upstate New York fuhr ich nicht so nah wie möglich vor die schlammbraunen Türen des Supermarktes, sondern parkierte stets am äussersten Rand des Parkplatzes, damit ich gezwungen war, zumindest ein paar Schritte zu Fuss zu gehen, mich zu bewegen. Die Autotür klappte sanft und warm hinter mir zu. Im Herbst stürmte es, regnete, alles bauschte sich auf, wenn ich das Auto verliess, und die Haare standen unangenehm senkrecht. Am liebsten wäre ich drin geblieben in dem schummrigen Halbdunkel. Wart nur, ich bin gleich wieder da.

In zerbrechlichen, niedrigen Autos fahre ich anders als in einem SUV, weil die Aufmerksamkeit anders herausgefordert wird. Alles wackelt und ruckelt, man lenkt und bremst öfter – so scheint es zumindest –, schaut verhohlener und unsicherer aus Höhe der Bordsteinkante in die Welt hinein. Ist es ein Cabriolet, öffne ich Schiebedach, sitze klein und verletzlich unter freiem Himmel, bin mir der Gefahr eines Unfalles stärker bewusst als in einem SUV. Sind die Fenster heruntergekurbelt, kann ich den Arm baumeln lassen, im Vorbeifahren an Gräsern entlangstreichen. In zerbrechlicheren Autos, als der SUV es ist, muss ich mein Sicherheitsgefühl aktiv herstellen und kann es nicht passiv erleben.

Nichts in der Geschichte des Automobils kam so unerwartet wie die Beliebtheit des SUV, des «sports utility vehicle», Spitzname «suburban vehicle», das 1996 mit dem Ford Expedition oder bereits 1991 mit dem ikonischen Ford Explorer auf den Markt kam. Es ist eine bis heute andauernde Beliebtheit, die höchstens noch mit der des iPhones zu vergleichen ist. Seit je kennen Marktforscher die Zielgruppe der SUV-Fahrer genau: unsicher, eitel und Ich-bezogen. Genau, ruft es bis heute in mir, genau so war’s, das war ich! Ausgemacht hat es mir nie etwas. Doch entgegen dem, was die Werbung suggeriert – SUV-Fahrer sind Abenteurer mit verwitterten Gesichtern und zu konzentrierten Schlitzen zugekniffenen Augen –, machte mich der SUV nicht sportlich.

Wie ein Büffel in der Prärie

Im SUV war ich nur Körper. Träger, sitzender Körper, und es war wunderbar. Von der klobigen Silhouette des Autos hob meine Silhouette sich zart ab. Der SUV machte mich schlank. Drinnen dämmerte und schwummerte ich vor mich hin – was sollte auch passieren? Mir zumindest so wenig wie möglich. Ein Sportwagen ist wendig, bremst besser und schneller als ein SUV, dennoch ist der SUV ein passiv erlebter Sicherheitsraum, umgeben von Stahl und Gummilitze ist er mein Exoskelett, mein «safe space» – eine Illusion, Gefühl und nicht Fakt, ein geistiger Zustand, in den ich hineingleite, sobald meine Beine den Ledersitz berühren, die Tür mit einem gedämpften «Thumb» zufällt. SUV, mein Kokon. Hier drinnen bin ich einsam, wild und frei wie der Büffel in der Prärie. Mein Rücken, der sich sonst müde und krumm über den Laptop beugte, schmiegte sich gerade in den Sitz.

Bei einem Auffahrunfall von 55 Kilometern pro Stunde ist in einem SUV das Risiko für lebensbedrohliche Kopfverletzungen geringer als in Kleinwagen, aber wesentlich höher als in Minivans. Hässlich und klobig, sind diese eigentlich die sichersten Personenfahrgeräte. Dennoch: Im SUV sass ich hoch und sicher. Ich fühlte mich auch sicher, wenn ich auf das Auto zuging, denn schon von weitem sah ich, dass niemand darunter oder dahinter versteckt war, so hoch war der Wagen. Mein geliebter Wagen, in dem es Halterungen für Becher gab, und die Sitze konnte man heizen. Nicht nur im Winter. Immer, wenn es kalt war.

Der SUV isolierte mich, schottete mich ab, machte mich einsamer, als ich es in der Vorstadt ohnehin schon war. In der Vorstadt gibt es nur wenige Gespräche mit Nachbarn, Passanten gibt es keine. Im SUV war ich alleingelassen, doch er verlieh meiner Einsamkeit Würde, während ich durch die leeren und immer gleich aussehenden Strassen fuhr. Drinnen im Wagen dachte ich mir Geschichten aus und träumte mehr als in jedem anderen Auto, witterte Geheimnisse hinter Vorhängen und Zäunen.

«Hallo, ist da jemand?»

Die Vorstadt lag ruhig da, bis auf Sportansagen hier und da war nichts zu hören, manchmal Gartengeräusche, Rasenmäherbrummen, das sanfte Grollen meines Motors. Vom erhöhten Sitz des Autos aus betrachtet, erschienen die Häuserzeilen verwunschen und fremd, gerade weil sie immer gleich aussehen und daher jede Ecke immer neu erscheint. Der SUV in der Vorstadt: Es ist die absolute Auf-sich-selbst-Zurückgeworfenheit, in der die irrsten Phantasien entstehen. Verfolgt der Pick-up hinter mir mich etwa? Hat der Fahrer eine Shotgun unter dem Sitz? Wie dem Truthahn dort vorne ausweichen?

In der ewigen Verantwortungslosigkeit des SUV, in dem es egal ist, was ich trage, wohin ich fahre, niemanden interessiert’s, der zugleich Wohnzimmer ist und darin Sofa, Bett, Kissen, Mutterleib, in dem SUV also, der langsam und behäbig die amerikanische Vorstadt durchfährt, entstehen Geschichten. Das Haus, in dem ich in Buffalo lebte, war platt und kastenartig, als hätte ein Kind es mit dem Lineal gezeichnet, Wände, Dach, Fenster, dann nach ein paar groben Strichen den Stift in die Ecke geschmissen und wäre erleichtert fernsehen gegangen.

Wenn ich über das Haus jammerte, sagten andere, es sei doch die Aussicht, die zählte. Damit meinten sie den grossen Garten hinter dem Haus, dort sah man abends Rehe und einen Truthahn. Als zwei Jahre nach meinem Umzug draussen leise der Schnee fiel, auf austernfarbene Autoreihen, auf Mülltonnen und auf das Gebäude der Feuerwehr, starb nebenan die alte Mrs. Brisby in ihrem alten Lincoln. Sie war auf dem Weg in die Mall, das Auto blieb an einer ungünstigen Stelle in der Garageneinfahrt stecken, so dass sich die Türen rechts und links nur ein paar Zentimeter öffneten. Mrs. Brisby klopfte ein paar Mal zaghaft mit dem Schlüssel von Innen gegen die Windschutzscheibe und rief: «Hallo, ist da jemand?» Doch sie konnte nicht ausmachen, ob das leise knackende Geräusch eine ferne Stimme oder der Schnee an der Scheibe war.

Sarah Pines ist Autorin und lebt in New York.