Kolumne

Die US-Juden und Israel – Geschichte einer Entfremdung

Natalie Portmans Weigerung, zu einer Preisverleihung nach Israel zu kommen, ist ein Symptom für die voranschreitende Entfremdung des US-Judentums von Israel.

Carlo Strenger
Drucken
Carlo Strenger ist Professor für Psychologie und Philosophie an der Universität Tel Aviv. In seiner Kolumne setzt er sich gerne zwischen die Stühle – besonders beim Thema Nahostpolitik.

Carlo Strenger ist Professor für Psychologie und Philosophie an der Universität Tel Aviv. In seiner Kolumne setzt er sich gerne zwischen die Stühle – besonders beim Thema Nahostpolitik.

Natalie Portman, die israelisch-amerikanische Schauspielerin und Regisseurin, weigert sich, im Juni nach Israel zur Zeremonie für die Verleihung des Genesis-Preises, mit dem sie im vergangenen Jahr ausgezeichnet wurde, zu kommen. Anfänglich sagte ihre Sprecherin, sie fühle sich unwohl, angesichts der gegenwärtigen Ereignisse in Israel aufzutreten. Dies wurde vor allem mit den wöchentlichen Zusammenstössen an der Grenze des Gazastreifens, in denen bisher dreissig Palästinenser von der israelischen Armee getötet worden sind, verbunden.

Die israelisch-amerikanische Schauspielerin und Regisseurin Natalie Portmann. (Bild: Claudio Onorati / Epa)

Die israelisch-amerikanische Schauspielerin und Regisseurin Natalie Portmann. (Bild: Claudio Onorati / Epa)

In Israel ging ein regelrechter Shitstorm los: Kulturministerin Miri Regev sagte, Portman sei ein Opfer der BDS-Bewegung, die sich für die Boykottierung Israels einsetzt, geworden; Likud-Energieminister Juval Steinitz sagte, ihre Entscheidung grenze an Antisemitismus; der Likud-Parlamentarier Oren Chazan forderte den Innenminister auf, Portman die israelische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Bei anderer Gelegenheit bezeichnete er sie als eine Apostatin, die nicht wirklich jüdisch sei, und sagte, dass ihre Entscheidung antisemitisch sei. In den sozialen Netzwerken bezeichneten Rechtsextreme Portman als Nazi.

Natalie Portman reagierte nach zwei Tagen mit klärenden Worten: Es gehe ihr keinesfalls darum, Israel zu boykottieren. Sie sei aber eine scharfe Gegnerin von Netanyahus Politik; und da dieser an der Zeremonie gesprochen hätte, wäre ihre Anwesenheit indirekt einer Unterstützung seiner Politik gleichgekommen. Dies sei für sie nicht infrage gekommen. Diese Worte sind insofern glaubwürdig, als Portman seit dem Alter von sechzehn Jahren immer wieder für Israel Position bezogen hat.

Warum diese enorme Reaktion in Israel? Kommentatoren sagen schon seit Jahrzehnten, Israel verberge sich zwar hinter einer harten Fassade, wolle in Wirklichkeit aber nur geliebt werden. In den neun Jahren, in denen Netanyahu wieder an der Macht ist, hat sich das geändert: Die vorwiegend rechtsorientierte Wählerschaft sagt zornig-resigniert, die Welt habe die Juden immer gehasst und das werde sich auch nicht ändern. Diese Einstellung wird von Israels Rechtspolitikern verstärkt, die mantraartig wiederholen, Kritik an Israels Politik sei immer antisemitisch motiviert, was in gewissen Fällen stimmt, aber als Verallgemeinerung vollkommen falsch ist.

Was die meisten Israeli aber überhaupt nicht verstehen, ist, warum ein grosser Teil des amerikanischen Judentums, das etwa so gross ist wie das israelische, sich von Israel abwendet. Dabei ist dies sehr einfach zu verstehen: Über siebzig Prozent der US-Juden sind klar liberal orientiert, und in jüngeren Generationen ist der Prozentsatz sogar noch höher. Sie sagen klar, die Verbindung zu Israel sei für ihre Identität nicht zentral, was für US-Juden, die vor dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden, selbstverständlich war.

Die jüngere Generation hat universalistische Werte, und ihre Mehrzahl ist entweder jüdisch-reformistisch oder bezeichnet sich als religiös nicht affiliiert. Für sie sind Mischehen mit Nichtjuden keine Tragödie, sondern der Normalfall. Die Zeremonien, die von Reformrabbinern und Pfarrern oder buddhistischen Priestern durchgeführt werden, sind ein Grund zum Feiern und nicht zur Trauer. Kein Wunder, dass Israels Ethnozentrismus und das Monopol des jüdisch-orthodoxen Rabbinates, welches das Reformjudentum nicht anerkennt und das von Israels Regierung unter Netanyahu ständig verstärkt wird, für diese Generation abstossend anachronistisch sind.

Natalie Portman als antisemitisch oder antiisraelisch abzustempeln, ist kurzsichtig: Stattdessen muss ihre Absage als Symptom für die immer stärkere Entfremdung zwischen Israel und dem amerikanischen Judentum verstanden werden.

Alle bisher erschienenen Kolumnen von Carlo Strenger finden Sie auf unserer Überblicksseite.