Deutschland fürchtet sich davor, in Syrien handeln zu müssen

In der syrischen Provinz Idlib droht eine humanitäre Katastrophe. Die deutsche Regierung schliesst eine Beteiligung an einem Militäreinsatz zumindest nicht aus. Unter Deutschlands westlichen Alliierten könnte ein Abseitsstehen Berlins Unmut auslösen.

Hansjörg Müller, Berlin
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Am Sonntag, dem 9. September, bombardieren syrische Regierungstruppen das Dorf Hobeit nahe Idlib. (Bild: Syrian Civil Defense White Helmets / AP)

Am Sonntag, dem 9. September, bombardieren syrische Regierungstruppen das Dorf Hobeit nahe Idlib. (Bild: Syrian Civil Defense White Helmets / AP)

In Syrien spitzt sich die Lage weiter zu. In Berlin scheinen einige weiter darauf zu hoffen, Deutschland könne abseitsstehen, während seine westlichen Alliierten eingreifen, um das syrische Regime für einen möglichen Giftgaseinsatz in der Provinz Idlib zu bestrafen. Idlib ist die letzte grössere Bastion der syrischen Aufständischen. Mehrere tausend islamistische Milizionäre sollen sich dort aufhalten, aber auch mehr als eine Million Binnenflüchtlinge aus anderen Teilen Syriens. Nun bereiten das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Asad und seine russischen Verbündeten offenbar den Sturm auf die Provinz im Nordwesten des Landes vor. Eine humanitäre Katastrophe könnte bevorstehen.

Sollten Asads Truppen Giftgas einsetzen, wird der Westen wohl mit Vergeltungsschlägen reagieren. Im April, nach dem Giftgaseinsatz in der Stadt Duma, hatten die USA, Grossbritannien und Frankreich militärische Einrichtungen des Regimes mit Raketen angegriffen. Die deutsche Regierung hatte dies damals als «angemessen und erforderlich» bezeichnet. Nun lässt die Bundesregierung offen, ob sich Deutschland an einem Vergeltungsschlag beteiligen würde. Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte am Montag, Berlin stehe mit seine Verbündeten in Verbindung. Angesichts der Lage in Idlib mache man sich Sorgen, «dass sich entsetzliche Muster aus anderen syrischen Kampfschauplätzen wiederholen könnten». Bisher seien aber «keine Entscheidungen zu fällen gewesen».

Ein «sehr hypothetischer Fall»

Offenbar ist die Bundesregierung bereits angefragt worden, ob sich Deutschland an einem Vergeltungsschlag beteiligen würde. In Jordanien sind als Teil des Einsatzes gegen die Terrormiliz Islamischer Staat deutsche Aufklärungsflugzeuge vom Typ Tornado stationiert. Ein Sprecher des deutschen Verteidigungsministeriums sagte am Montag, diese seien Teil einer Aufklärungsmission und könnten daher nicht für einen Angriff auf syrische Ziele genutzt werden. Zu einem Artikel der «Bild»-Zeitung, die über Planspiele für ein Eingreifen der Bundeswehr berichtet hatte, erklärte der Ministeriumssprecher, es sei hier von einem «sehr hypothetischen Fall» die Rede. «Wie alle Streitkräfte der Welt» plane auch die Bundeswehr in Szenarien.

Die SPD lehnt eine deutsche Beteiligung am Krieg in Syrien ab. Ihre Partei werde einer solchen «weder in der Regierung noch im Parlament» zustimmen, sagte Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles am Montag. Ihr Parteikollege, Aussenminister Heiko Maas, äusserte sich ausweichend: Nahles habe «vollkommen recht, dass die Bundesregierung sich natürlich auf dem Boden des Grundgesetzes und des Völkerrechts bewegen wird». Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), sagte der «Passauer Neuen Presse», entsprechende Entscheidungen müssten im Kabinett gemeinsam getroffen werden und auch auf eine Mehrheit im Parlament kommen. Eine solche sehe er nicht.

Vertreter von Union und FDP äusserten sich demgegenüber vorsichtig abwartend: Es sei wichtig, dass Deutschland alle Handlungsmöglichkeiten prüfe, sagte Henning Otte, der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion. FDP-Chef Christian Lindner erklärte, wenn sich die internationale Gemeinschaft für einen Vergeltungsschlag entscheide, könne Deutschland nicht beiseitestehen, sondern müsse seine Möglichkeiten prüfen.

Ein Uno-Mandat wird es kaum geben

Die deutsche Politik befindet sich in dieser Frage in einem Dilemma. Auslandseinsätze der Bundeswehr sind unpopulär im Land. Zudem wird in weiten Teilen der Öffentlichkeit wie auch der Politik stets darauf gepocht, ein militärisches Eingreifen müsse durch die Vereinten Nationen legitimiert sein. Im Fall Syriens aber ist ein Uno-Mandat wegen des zu erwartenden russischen Vetos so gut wie ausgeschlossen. Auch der Vergeltungsschlag nach dem Giftgaseinsatz von Duma beruhte allein auf einem Entscheid der beteiligten Staaten.

Unter Deutschlands westlichen Alliierten könnte ein Abseitsstehen Berlins Unmut auslösen, zumal Aussenminister Heiko Maas erst vor wenigen Wochen in einem Gastbeitrag für das «Handelsblatt» verkündete, Europa solle künftig ein Gegengewicht zu den Vereinigten Staaten bilden. Nun könnte sich zeigen, dass Deutschland nicht einmal mit seinem engsten Verbündeten Frankreich zu einer gemeinsamen Position findet.

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«Die Welt muss Asad aufhalten», fordert der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan

(sda/afp/Reuters/fs.) Angesichts der erwarteten Offensive der syrischen Armee auf die letzte syrische Rebellen-Enklave Idlib ruft der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf. Andernfalls werde «die ganze Welt den Preis dafür zahlen müssen», mahnte er. «Die Welt muss Asad aufhalten», schrieb er in einem am Dienstag veröffentlichten Gastbeitrag für das «Wall Street Journal». Ein syrischer Grossangriff berge Sicherheitsrisiken für die Türkei, Europa und darüber hinaus. Russland und Iran hätten die Verantwortung, die humanitäre Katastrophe in der Region zu beenden.

Der syrische Machthaber Bashar al-Asad hat eine grosse Menge von Truppen am Rande von Idlib zusammengezogen. Der Beginn einer Bodenoffensive scheint nur eine Frage der Zeit. Die Provinz an der Grenze zur Türkei, in der rund 2,9 Millionen Menschen leben, wird vorwiegend von Jihadisten und islamistischen Rebellen kontrolliert. Bereits am Wochenende hatten syrische und russische Kampfjets umfangreiche Angriffe auf Rebellenstellungen in Idlib geflogen. Laut Uno-Angaben sind dort über 30 000 Menschen auf der Flucht.

Am Freitag waren Bemühungen der Türkei, einen Waffenstillstand für die Provinz zu vereinbaren, bei einem Gipfeltreffen in Teheran mit Russland und Iran gescheitert. Russland beantragte für Dienstag eine Sitzung des Uno-Sicherheitsrats zur Lage in Idlib. Beim Treffen will die russische Delegation einen Bericht über den Syrien-Gipfel vorlegen.

Auch der Leiter der Uno-Hilfseinsätze, Mark Lowcock, warnte eindringlich vor einer Grossoffensive der syrischen Armee auf die letzte syrische Rebellenbastion. Ein Grossangriff auf Idlib könnte zur «schlimmsten humanitären Katastrophe mit den grössten Verlusten an Menschenleben im 21. Jahrhundert» führen, sagte Lowcock in Genf. Wegen der grossen Zahl der Einwohner in Idlib und ihrer Verwundbarkeit sei die Uno «extrem alarmiert».

Lowcock gab zwar zu, dass es eine grosse Zahl von teilweise radikalen Kämpfern in Idlib gebe, doch auf jeden Kämpfer kämen «hundert Zivilisten». Er versicherte zudem, dass es detaillierte Pläne gebe, um rasch auf eine Fluchtwelle reagieren zu können. «Wir bereiten uns aktiv auf die Möglichkeit vor, dass sich Zivilisten in riesiger Zahl in verschiedene Richtungen bewegen», sagte der Leiter der Uno-Hilfseinsätze. Die Uno erwarte, dass rund 100 000 Zivilisten in Gebiete unter Kontrolle der Regierung flüchteten und weitere 700 000 in solche innerhalb Idlibs. Für die erste Woche einer Offensive stehe Essen für 850 000 Menschen bereit.

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