Uno rügt Schweiz wegen Ausweisung von Folteropfer

Der Uno-Ausschuss gegen Folter hat erstmals erklärt, dass eine fehlende medizinische Versorgung einer unmenschlichen Behandlung gleichkommen kann. Der Entscheid setzt Leitlinien, wie die Dublin-Verordnung im Einklang mit menschenrechtlichen Verpflichtungen angewendet werden soll.

Annegret Mathari, Genf
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Ausweisung eines Eritreers: Der Uno-Ausschuss kam zum Schluss, dass mit der Rückführung des Mannes nach Italien sein Recht auf Genesung verletzt würde. (Bild: Selina Haberland / NZZ)

Ausweisung eines Eritreers: Der Uno-Ausschuss kam zum Schluss, dass mit der Rückführung des Mannes nach Italien sein Recht auf Genesung verletzt würde. (Bild: Selina Haberland / NZZ)

Mit der Ausweisung eines Folteropfers nach Italien würde die Schweiz die Uno-Konvention gegen Folter und gegen andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen verletzen. Zu diesem Schluss kommt der Uno-Ausschuss gegen Folter (Committee against Torture, CAT), der über die Einhaltung der Konvention wacht. Der Ausschuss hat damit erstmals erklärt, dass mangelnde medizinische Betreuung eine unmenschliche Behandlung darstellen kann. In dem konkreten Fall ging es um einen Eritreer, der in seiner Heimat während fünf Jahren aus politischen Gründen inhaftiert war und dabei während längerer Zeit in Isolationshaft sass. Er wurde wiederholt gefoltert und misshandelt. Nach seiner Freilassung wurde er zwangsrekrutiert, schliesslich gelang ihm die Flucht aus Eritrea.

Schwer traumatisiert

Als der Mann im September 2015 in der Schweiz ein Asylgesuch stellte, war er schwer traumatisiert. Die benötigte medizinische Behandlung erhielt er in der Spezialabteilung für Folteropfer des Universitätsspitals Genf. Drei medizinische Gutachten, die den Schweizer Asylbehörden zur Kenntnis gebracht wurden, beschrieben die verheerenden körperlichen und psychischen Folgen der erlittenen Folter und identifizierten den Mann als Folterüberlebenden. Da er über Italien in die Schweiz einreiste, entschied das Staatssekretariat für Migration SEM, ihn nach Italien auszuweisen. Denn gemäss Dublin-Verordnung müssen Asylsuchende ihren Antrag im ersten Schengen-Staat stellen, in den sie einreisen.

Die Schweiz ist über ein Assoziierungsabkommen an die Dublin-Verordnung gebunden. Der Entscheid des SEM wurde zweimal vom Bundesverwaltungsgericht gutgeheissen. Der Mann wurde nach Italien überstellt, wo er ohne Behandlung auf der Strasse landete. Er kehrte in die Schweiz zurück, um seine Behandlung fortzusetzen. Das SEM entschied jedoch erneut für eine Überstellung nach Italien. Die Nichtregierungsorganisation Centre suisse pour la défense des droits de migrants (CSDM) legte gegen den SEM-Entscheid Beschwerde beim CAT ein.

Recht auf Genesung

Der Uno-Ausschuss kam zum Schluss, dass mit der Rückführung des Mannes nach Italien sein Recht auf Genesung (Rehabilitation) gemäss Artikel 14 der Antifolterkonvention verletzt würde. Die Schweiz habe die individuelle Situation des Mannes als Folteropfer ungenügend berücksichtigt und nicht abgeklärt, welche möglichen Folgen eine zwangsweise Überstellung nach Italien hätte. Nach Meinung des Ausschusses hätte dabei klarwerden müssen, dass ein grosses Risiko für den Mann besteht, die spezialisierte medizinische Behandlung, die er als Folteropfer benötigt, nicht zu erhalten und einem Leben auf der Strasse ausgesetzt zu sein. Mit der Ausweisung würde er auch den nötigen Halt durch seinen in der Schweiz lebenden Bruder verlieren. Die Ausweisung des schwer traumatisierten Mannes würde nach Ansicht des CAT eine unmenschliche Behandlung darstellen und wäre völkerrechtlich verboten, denn die Überstellung würde gegen das Non-Refoulement-Prinzip (Artikel 3 und 16 der Konvention) verstossen. Das Asylgesuch des Mannes muss nun in der Schweiz geprüft werden.

Die Entscheide des CAT sind rechtlich nicht bindend. Mit der Ratifikation der Antifolterkonvention akzeptieren Vertragsstaaten wie die Schweiz jedoch das Individualbeschwerdeverfahren, sagte Muriel Trummer, Asylrechtsexpertin von Amnesty International Schweiz, auf Anfrage. Die Entscheide seien autoritativ und sollten demnach befolgt werden. Der Uno-Ausschuss prüft zudem, wie Vertragsstaaten diese umsetzen. Die Schweiz hält sich an Entscheide von Uno-Ausschüssen, die nur sehr selten ergehen. Gestützt auf den Beschluss des CAT, forderten die Organisationen CSDM, Amnesty International und die Schweizerische Flüchtlingshilfe das SEM auf, sicherzustellen, dass alle hängigen und künftigen Fälle von besonders verletzlichen Asylsuchenden wie Familien, schwerkranken und traumatisierten Personen sowie älteren Menschen in Übereinstimmung mit dieser neuen Rechtsprechung entschieden würden. Das SEM analysiert den CAT-Entscheid derzeit.