Benedikt präzisiert: Es geht nicht darum, die Juden zu missionieren, sondern um Dialog

Müssen Juden Christen werden, um zum Heil zu kommen? Nein, sagt jetzt auch der emeritierte Papst. In einem Aufsatz, den er im Sommer publizierte, klang es noch ein wenig anders.

Christian M. Rutishauser
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Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. hat im Juli einen Aufsatz zur Theologie des Judentums veröffentlicht, in dem er Differenzierungen zum Dokument der päpstlichen Kommission aus dem Jahr 2015 hinzufügen will. Das Dokument reflektiert die Verhältnisbestimmung von Judentum und Kirche. Seither ist eine mit existenzieller Verve geführte Auseinandersetzung unter Fachleuten im Gange. Errungenschaften des jüdisch-katholischen Dialogs seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil stehen auf dem Spiel.

Papst Benedikt XVI. im April 2005 im Vatikan. Im Sommer 2018 veröffentlichte der emeritierte Papst einen Aufsatz zur Theologie des Judentums, der seitdem kontrovers diskutiert wird. (Bild: Claudio Onorati / Epa)

Papst Benedikt XVI. im April 2005 im Vatikan. Im Sommer 2018 veröffentlichte der emeritierte Papst einen Aufsatz zur Theologie des Judentums, der seitdem kontrovers diskutiert wird. (Bild: Claudio Onorati / Epa)

Allein im deutschsprachigen Raum sind an die dreissig Beiträge erschienen. Eine offizielle Übersetzung des Ratzinger-Texts ins Englische, also in die Sprache, in der das jüdisch-christliche Gespräch weltweit geführt wird, liegt bis jetzt nicht vor. Nun sieht sich Benedikt gedrängt, sich nochmals zu melden. Spürbar erregt, ergreift er in der Dezemberausgabe der «Herder-Korrespondenz» das Wort und liefert eine «Richtigstellung» angesichts des «in Deutschland herrschenden Verrisses meines Beitrags».

Benedikt verteidigt zunächst seine Aussage, es habe nie eine in sich geschlossene Substitutionslehre gegeben, also die Lehre, die Kirche habe das Judentum heilsgeschichtlich ersetzt. Zahlreiche Theologen, die ihn auch wohlwollend interpretieren, haben jedoch nachgewiesen, dass die Überzeugung, die Kirche sei das «wahre Israel», seit der Antike für katholische Theologie repräsentativ ist. So steht Argument gegen Argument. Es geht mehr um Begriffe als um die Sache.

Den Weg für das Gespräch vorgeben

Interessanter ist der zweite Punkt, gerade um die laufende Debatte zu verstehen: Benedikt stellt Judentum und Christentum als zwei unterschiedliche Interpretationstraditionen der hebräischen Bibel dar, wie es heute in Fachkreisen unumstritten ist. Dies sei «bisher am besten in dem Dokument der Päpstlichen Bibelkommission ‹Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel› vom 24. Mai 2001 formuliert». Dieser Text stammt aus der Zeit, als Ratzinger selbst Präfekt der Glaubenskongregation war. Und er fährt fort: «Dieses Dokument sollte heute in inhaltlicher und methodischer Sicht den Weg für das jüdisch-christliche Gespräch vorgeben. Mein in ‹Communio› veröffentlichter Beitrag folgte dieser Vorgabe.»

Damit knüpft Benedikt gerade nicht am Dokument der päpstlichen Kommission von 2015 an, das systematisch-theologisch die Beziehung von Judentum und Christentum umriss. Er nennt dieses Dokument lediglich eine «geglückte Synthese dessen, was die theologische Besinnung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gebracht hat». Die Veröffentlichung seines Aufsatzes, der aus einer Art Gutachten zum Dokument von 2015 entstanden ist, kann nur daher kommen, dass er mit der systematischen Zuordnung von Judentum und Kirche ebenda nicht zufrieden war.

Das Dokument stellt eben Benedikts Meinung nach nur eine gute Zusammenfassung des Diskussionsstands dar. Sein eigener Aufsatz sollte durch Klärung eine Korrektur bringen. Faktisch legt Benedikt eine jüdisch-christliche Verhältnisbestimmung mit deutlich anderem Akzent vor. So weit sein Statement für die kirchliche Theologie. Für den Dialog mit dem Judentum aber geht er vom Dokument der Bibelkommission aus, das wertschätzend von der Geschichte der christlichen und jüdischen Bibelauslegung spricht.

Der Ort des Judentums

Die laufende Auseinandersetzung ist also vorwiegend innerkirchlich und systematisch-theologischer Natur. Sie dreht sich um die Frage, welchen Ort das nachbiblische Judentum im christlichen Glauben hat. Bleibt dieser Ort bei Benedikt vage, kaum positiv bestimmt und zeigt sich vor allem darin, dass Christen etwas von jüdischer Bibelauslegung lernen können, so spricht die katholische Theologie, die aus einem breiten jüdisch-christlichen Dialog herausgewachsen ist, dem Judentum einen wichtigen, heilsgeschichtlichen Ort zu.

Solches Ringen um die Formulierung des christlichen Glaubens ist in der Geschichte stets auf Kosten des Judentums gegangen. Erst «Nostra aetate» hat eine Wende gebracht. So ist es nicht verwunderlich, dass Juden in der gegenwärtigen Debatte sehr kritisch auf den «Communio»-Aufsatz von Benedikt reagiert haben. Benedikt selbst wie auch Kardinal Koch mussten daraufhin jüdischen Gesprächspartnern versichern, dass der jüdisch-katholische Dialog nicht infrage stehe. In der eben veröffentlichten Richtigstellung erklärt Benedikt nun so eindeutig und ausführlich wie noch nie, und ohne die komplexe, theologische Diskussion dazu auch nur anzusprechen, dass es keine Judenmission gebe.

Der Auftrag des Auferstandenen, der beschliesst, alle Menschen zu taufen und zu Jüngern Jesu zu machen, sei an alle Völker gerichtet, um sie zum «unbekannten Gott» zu führen; dies sei der Gott der Juden. «Für Israel galt und gilt daher keine Mission, sondern der Dialog darüber, ob Jesus von Nazareth der ‹Sohn Gottes, der Logos› ist», so Benedikt. Nur insofern dies nicht der einzige und aufgezwungene Inhalt des Dialogs ist und nur sofern das Judentum in seinem ungekündigten Bund mit Gott auch jenseits der Frage der Christologie anerkannt wird, entspricht dies einem Dialog auf Augenhöhe.

Christian M. Rutishauser ist Provinzial der Schweizer Jesuiten.