Was das Völkerrecht ist und warum es uns betrifft – jeden Tag

Die Selbstbestimmungsinitiative der SVP will, dass die Verfassung künftig über dem Völkerrecht steht. Was zunächst fern und reichlich technisch klingt, hat mehr mit unserem täglichen Leben zu tun, als wir denken.

Kathrin Alder
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Das Völkerrecht ist überall. Zum Beispiel regelt ein internationales Vertragswerk, warum Bananen in den Läden gelb und nicht braun sind. (Bild: Christian Beutler / NZZ)

Das Völkerrecht ist überall. Zum Beispiel regelt ein internationales Vertragswerk, warum Bananen in den Läden gelb und nicht braun sind. (Bild: Christian Beutler / NZZ)

Was haben eine reife Banane, Mobiltelefone, Flugreisen, die Rückführung einer Leiche und Wanderausstellungen miteinander zu schaffen? In Kombination böten sie Stoff für einen guten Krimi. Vor allem aber sind es Beispiele dafür, dass Völkerrecht unseren Alltag viel stärker durchdringt, als uns bewusst ist.

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Dabei ist Völkerrecht den meisten eher fremd, es scheint weit weg, und man verbindet damit gemeinhin Aussenpolitik, Konferenzen und runde Tische, bestenfalls irgendetwas mit Menschenrechten. Im Juli führte das Meinungsforschungsinstitut Sotomo im Auftrag von Operation Libero eine Online-Umfrage durch. 6652 Personen wurden gebeten, zu beschreiben, was Völkerrecht sei. 51 Prozent versuchten eine Definition, wobei 17 Prozent den Schutz der Menschenrechte hervorhoben und noch einmal 17 Prozent das Völkerrecht als Regeln für die Beziehung zwischen Staaten verstanden. Der irritierende Befund: 49 Prozent der Befragten konnten zum Thema gar nichts sagen.

Kein Vertrag gegen den Willen

Was also ist Völkerrecht, und welche Rolle spielt es im Alltag? In einer Broschüre der Schweizerischen Vereinigung für internationales Recht heisst es: «Völkerrecht ist das Recht, welches auf dem Konsens der Staaten beruht, wie er in Verträgen oder Gewohnheitsrecht zum Ausdruck kommt.» Der Begriff «Völkerrecht» ist also zunächst etwas irreführend, handelt es sich doch nicht um das «Recht der Völker», sondern vielmehr hauptsächlich um Vertragsrecht; zwei oder mehrere Staaten schliessen einen Vertrag ab und regeln so einen Sachverhalt, den sie geregelt haben wollen.

Kein Staat kann gegen seinen Willen an eine völkerrechtliche Regel gebunden werden. Das Völkerrecht beruht also auf Freiwilligkeit, ein Staat geht eine Verpflichtung nur ein, wenn er daran ein Interesse hat. Wie alle Verträge können auch völkerrechtliche Verträge gekündigt werden. Ist man allerdings einmal Vertragspartei, so gilt der Grundsatz «pacta sunt servanda» und man hat sich nach Treu und Glauben an den Vertrag zu halten.

Grundsätzlich entscheidet der Bundesrat darüber, welcher völkerrechtliche Vertrag im Interesse der Schweiz abzuschliessen ist. Er ist es auch, der den Inhalt eines Vertrags aushandelt. Das Parlament hingegen beschliesst in der Regel über die Genehmigung, vor allem dann, wenn es sich um Verträge handelt, die der Schweiz neue Verpflichtungen auferlegen und nicht nur rein administrativer oder technischer Natur sind. Am Vertragsinhalt kann das Parlament allerdings kaum mehr etwas ändern.

Unter Umständen entscheidet auch das Stimmvolk über eine Genehmigung. Internationale Verträge, die wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert, unterstehen dem Referendum. Auch Gesetze, die völkerrechtliche Verträge umsetzen, unterstehen freilich dem Referendum. Und will der Bundesrat einen völkerrechtlichen Vertrag ohne parlamentarische Genehmigung abschliessen, so braucht er dafür eine Ermächtigung in einem Gesetz – das ebenfalls dem Referendum untersteht.

Völkerrecht ist überall

Gegenwärtig ist die Schweiz an rund 4000 internationale Verträge gebunden. Sie schliesst jedes Jahr mehrere hundert neue ab, von denen einige jedoch nur für eine begrenzte Dauer in Kraft sind. Viele der derzeit gültigen Verträge tangieren das tägliche Leben ganz direkt. Um bei den eingangs genannten Beispielen zu bleiben: Es gibt einen Grund, weshalb reife Bananen in den Läden gelb und nicht braun sind, und dieser liegt im sogenannten Codex Alimentarius – einem internationalen Regelwerk für den Verbraucherschutz, das den Staaten als Referenz für ihre eigenen Lebensmittelgesetze dient. Lebensmittelstandards wurden so weltweit harmonisiert, was wiederum den grenzüberschreitenden Handel mit Lebensmitteln vereinfacht hat.

Der Gebrauch von Smartphones hat ebenso viel mit Technik wie mit Völkerrecht zu tun. So hat die Internationale Fernmeldeunion (ITU) die Arbeiten zur Entwicklung des ersten Mobilfunksystems (3G) geleitet und dazu beigetragen, dass heute mit dem Mobiltelefon nicht nur telefoniert, sondern auch Mails und Fotos verschickt und im Internet gesurft werden kann. Ein weiteres Beispiel sind Flugreisen: Dass ein Flugzeug in einem Land starten kann, mehrere Staaten überfliegen darf und dabei die Sicherheitsstandards der verschiedenen Fluggesellschaften dieselben sind, all dies wird durch internationale Abkommen geregelt.

Und schliesslich sorgt etwa das Übereinkommen über die Leichenbeförderung dafür, dass Schweizerinnen und Schweizer, die im Ausland – sei es auf Aruba oder in Österreich – sterben, ohne viel Bürokratie in die Schweiz zurückgeführt werden können. Zudem ist auch geregelt, dass Exponate ausländischer Museen, die in der Schweiz gezeigt werden, hierzulande nicht für die Begleichung von Schulden beschlagnahmt werden dürfen. Eine Bestimmung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Immunität der Staaten und ihres Vermögens sieht nämlich vor, dass wissenschaftliche, kulturelle oder historische Güter nicht gepfändet werden können.