Diese Landkarten bleiben unsichtbar

Auch das 21. Jahrhundert braucht die Topografie, nur eben solche, die zur Datenverarbeitung für das autonome Fahren dient.

Herbie Schmidt
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HD-Karten nehmen nicht nur die Strasse wahr, sondern alle Fahrspuren und Wegmarker wie Seitenstreifen, Schilder und Laternen. (Bild: PD)

HD-Karten nehmen nicht nur die Strasse wahr, sondern alle Fahrspuren und Wegmarker wie Seitenstreifen, Schilder und Laternen. (Bild: PD)

Fast jeder kennt sie, die kleinen Kästchen mit Bildschirm und Saugnapf, die als mobile Navigationsgeräte eingesetzt werden, und dies meist im Auto oder auf dem Zweirad. Als einer der Pioniere auf diesem Gebiet gilt die niederländische Firma Tomtom, doch auch an ihr ist die rasante Entwicklung der vergangenen Jahre nicht spurlos vorbeigegangen.

Die Kästchen werden heute kaum noch verwendet. Das Smartphone hat die meisten Aufgaben eines Navigationsgerätes übernommen, und doch führen viele Wege wieder zurück zu Tomtom. Wer etwa ein iPhone nützt, verwendet in der Maps-App von Apple Karten des niederländischen Pioniers. Die grosse IT-Firma aus Cupertino gehört zu den grössten Kunden von Tomtom, genauso wie Uber mit seinem Pionierprogramm selbstfahrender Volvo-Taxis. Selbst Google hat seine ersten Karten von Tomtom bezogen. Bei den Autoherstellern sind es die grossen Konzerne und Allianzen Renault-Nissan-Mitsubishi, Peugeot-Citroën-Opel, Fiat-Jeep-Alfa Romeo, die Tomtom-Navis fest verbauen. Nur die deutschen Autobauer Audi, BMW und Mercedes haben sich anders organisiert und vor Jahren die Navigationssoftware Here des Handyherstellers Nokia übernommen.

Zu Beginn der Datenaufnahme fuhr der Dienstleister Tele Atlas (später von Tomtom übernommen) mit solchen Transportern auf Erkundungsfahrt. Radar und Lidar fehlten, stattdessen gab es nur Radsensoren und Kameras. (Bild: PD)

Zu Beginn der Datenaufnahme fuhr der Dienstleister Tele Atlas (später von Tomtom übernommen) mit solchen Transportern auf Erkundungsfahrt. Radar und Lidar fehlten, stattdessen gab es nur Radsensoren und Kameras. (Bild: PD)

Here ist denn auch der einzige valable Konkurrent von Tomtom, wenn man den Worten von Willem Strijbosch Glauben schenken mag. Der Niederländer, seines Zeichens Chef der Tomtom-Abteilung Autonomous Driving, beantwortet uns in Amsterdam die Frage, warum man sich so intensiv aufs autonome Fahren vorbereite, obwohl Probleme mit Fahrzeugsensoren und der Gesetzgebung für die Zulassung von Autos ohne Lenkrad und Pedale zu lösen wären.

Grundlage für autonome Fahrzeuge

«Es gibt vier Säulen, auf denen das selbstfahrende Auto fusst», erklärt Strijbosch. «Zuerst kommt das Mapping, also die Erstellung der Strassenkarten; dann das Sensing, die Summe der verschiedenen Sensoren am Fahrzeug zur Erkennung der Umgebung; daraus folgt die Driving-Policy, die Handlungsregeln zum Umgang mit den Karten- und Sensordaten umfasst; und letztlich die Actuation, also die Umsetzung der Handlungsregeln in Fahrbefehle. Wir kümmern uns nur um den Bereich Mapping, und wenn wir oder unsere Konkurrenten diese Grundlage nicht schaffen, fährt auch kein Fahrzeug autonom.»

Bei den Strassenkarten wird heutzutage unterschieden zwischen sogenannten ADAS-Karten (für Advanced Driver Assistance Systems) und HD-Karten. ADAS-Karten werden heute etwa bereits von vorausschauenden Tempomat-Systemen eingesetzt, die das Fahrzeug vor Kurven, Abschnitten mit tieferen Tempolimiten und Ampelkreuzungen abbremsen, noch bevor der Fahrer diese überhaupt wahrnehmen kann. HD-Karten (für High Definition) gehen in der Detaillierung noch weiter als ADAS-Karten, indem sie die gesamte Umgebung kartografieren, etwa die Gebiete links und rechts der Fahrbahnen, die einzelnen Fahrspuren oder gewisse Bezugspunkte wie Strassenlaternen und Fassaden. Dies geschieht über optische Merkmale, die von den Fahrsystemen erkannt und als Referenz zum Abgleich mit der von den Sensoren wahrgenommenen Wirklichkeit verwendet werden. Für den Menschen hat das nichts mehr mit Topografie zu tun, und es ist daher für ihn nicht wahrnehmbar.

So sieht das System fürs autonome Fahren die Welt, für den Menschen aber bleibt diese Visualisierung verborgen. (Bild: PD)

So sieht das System fürs autonome Fahren die Welt, für den Menschen aber bleibt diese Visualisierung verborgen. (Bild: PD)

Im Hintergrund laufen bei der Verwendung von HD-Karten drei wichtige Problemlösungen ab: Localization, Perception und Path-Planning sind die Fachbegriffe dazu. Die Kartengenauigkeit muss besser sein als das Standardsignal des GPS, also mindestens auf den Zentimeter genau (Localization). Bei der Perception geht es darum, das Kamerabild so gewichten zu können, dass klar wird, welcher Teil des Bildes wichtiger ist als der andere, etwa die Ampel im Vordergrund und nicht die zweite, die bereits von der Kamera erfasst wird. Und beim Path-Planning muss das System aufgrund der Fahrspurdaten entscheiden, wann die Spur gewechselt werden muss.

HD-Karten sind im Kommen

Kommen ADAS-Karten in der Welt des autonomen Fahrens nur bei den Autonomiestufen 1 und 2 zum Einsatz, also dort, wo nur vom teilautomatisierten Fahren die Rede ist, braucht es für das Fahren ohne ständigen Eingriff des Menschen, also die Stufen 3 bis 5, HD-Karten, darin ist sich die Wissenschaft einig. Da reicht keine Landestopografie, hier kommen die Spezialisten von Here und Tomtom zum Zug.

Auch wenn viele glauben, die Zeit von Tomtom sei längst abgelaufen, gibt sich Strijbosch selbstbewusst: «Wir sind im Bereich der ADAS-Karten gut etabliert», erklärt er. «Wir verfügen über 5,5 Millionen abgedeckte Strassenkilometer in 73 Ländern, wo wir mit unseren Sensor-Autos mehr als 100 Millionen Strassenschilder gescannt haben. Insgesamt 3,4 Millionen Kreuzungen sind in unserer Datenbank, stets mit Ampel-, Fahrspur- und Tempoinformationen.»

Dies ist keine Karte im eigentlichen Sinn, sondern eine Sammlung von Datenpunkten, in diesem Beispiel von der Region um den Flughafen Logan bei Boston. (Bild: PD)

Dies ist keine Karte im eigentlichen Sinn, sondern eine Sammlung von Datenpunkten, in diesem Beispiel von der Region um den Flughafen Logan bei Boston. (Bild: PD)

Im Bereich der HD-Karten stehen die Niederländer laut eigener Einschätzung an der Spitze der modernen Kartografen. «Allein schon aufgrund der Bestellungen von grossen Autoherstellern können wir davon ausgehen, dass wir bereits jetzt über einen Marktanteil von mehr als 60 Prozent verfügen», sagt Strijbosch nicht ohne Stolz. «Und gegenüber unserem Hauptkonkurrenten Here haben wir einen entscheidenden Vorteil: Wir sind unabhängig.»

Übersicht digitale Testfelder für das automatisierte und vernetzte Fahren im Realverkehr in Deutschland (Stand: November 2019)
1
Testfeld für automatisiertes und vernetztes Fahren – Hamburg
2
Testfeld Berlin | Digitales Testfeld Stadtverkehr (SAFARI)
3
Testfeld Berlin | Digital vernetzte Protokollstrecke (Diginet-PS)
4
Testfeld Niedersachsen (auf Grundlage von AIM)
5
Anwendungsplattform für intelligente Mobilität (AIM)
6
Digitales Testfeld Düsseldorf
7
Digitales Testfeld Kassel
8
Digitales Testfeld Dresden
9
ITS Testfeld Merzig (ITeM)
10
DRIVE-Testfeld Hessen (Dynamic Road Infrastructure Vehicle Environment)
11
Testfeld Autonomes Fahren Baden-Württemberg (TAF-BW)
12
Testfeld Ingolstadt
13
Testfeld Friedrichshafen
14
Testfeld Braunschweig (Hyundai)
15
Testfeld Pferdsfeld (Hyundai)
16
Testfeld Griesheim (Hyundai)