Brigitte Bardot und der Jetset-Badeort St-Tropez sind untrennbar miteinander verbunden. Die französische Schauspielerin in Aufnahmen von 1955. (Bild: Philippe Halsman / Magnum)

Brigitte Bardot und der Jetset-Badeort St-Tropez sind untrennbar miteinander verbunden. Die französische Schauspielerin in Aufnahmen von 1955. (Bild: Philippe Halsman / Magnum)

Schon Brigitte Bardot, Picasso und Königin Victoria waren dort – ein Road-Trip entlang der Riviera

Das Lebensgefühl an der Mittelmeerküste zwischen Genua und Marseille wurde erfunden von Menschen, die sich einen Sommer lang von Sonne, Sand und Champagner ernähren konnten. Was ist von der legendären Riviera übrig geblieben? Eine Spurensuche.

Konstantin Arnold
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Die echte Riviera, wie sie in Büchern steht und auf Leinwände gemalt wurde, beginnt im Kopf. Unsere nahm ihren Anfang in Florenz, nach einem Streit, an der Piazza Santo Spirito. Wir waren schon einige Tage in der Stadt, machten Ferien, hatten ein schönes Zimmer mit Ausblick, alles toll. Morgens weckten uns die Glocken der Kathedrale Santa Maria del Fiore, und nachmittags gingen wir in die Galerie der Uffizien. Der Eintritt war sehr teuer, woran laut Einlasspersonal die letzte Regierung schuld sei oder die derzeitige oder die nächste. So richtig wusste das in Italien niemand. Ausserdem war es heiss, und man stand immer an, lange, und drinnen angekommen, wollten dann alle die Gemälde von Botticelli sehen, oder sie wollten gesehen werden, wie sie die Gemälde von Botticelli sehen. Telefone mit albernen Schutzhüllen wurden wie Revolver auf die «Venus» oder den «Vater» Albrecht Dürers gerichtet. Das machte uns nervös. Auf unserem Rückweg begannen wir zu streiten. Wahrscheinlich nur wegen der vielen Reisebusse und der bunten Telefone, aber es war wieder vorbei, wieder für immer. Sie ging wutentbrannt ins Hotel, ich in die nächste Bar.

Wie die Bar hiess, kann ich nicht sagen, aber sie lag am Ende der Piazza Santo Spirito, neben einer Kirche aus Spritzputz, nicht weit vom Hotel. Vormittags war der Platz ein Markt, und nachmittags rannten auf ihm Kinder. Der Platz beruhigte sich nie. Die Kinder jagten Hunde, und die Hunde jagten Tauben, und die Kinder schossen den wenigen Touristen mit ihrem Fussball die Rotweingläser vom Tisch. Ein Italiener brüllte über den Platz. Idyllisch. Ich zog mir den Hut ins Gesicht, bestellte billigen Wein und schrieb wütende SMS an meine Freundin. Stunden vergingen. Vor mir lagen ein aufgeschlagenes Notizbuch und eine Packung Marlboro. Ich brauchte sie nicht und las einen Artikel über die französische Riviera in der Zeitung, las, dass die Küste ihre Identität wiederentdecke, richtig aufblühe, trotz dem vielen Geld. Ich bestellte mehr billigen Wein. Ein alter Italiener fragte nach Feuer. Er fragte auch, was ich hier mache, so alleine, den Hut ins Gesicht gezogen. Ich sagte: «Ferien.» «Schön», sagte er, «alleine?» Ich sagte: «Von nun an ja.» «Ach», sagte er, «das liegt an der Stadt, Florenz ist kein guter Ort mehr für die Liebe.» Da sollten wir hin, er zeigte auf die Riviera in der Zeitung, den Küstenstreifen, der sich dem Golf von Genua entlang erstreckt und dann weiter als Côte d'Azur bis Marseille. Unter der sorglosen Ewigkeit der südlichen Sonne gedeihe die Liebe prächtig. Das Wetter der Küste sei nie warm, und es sei nie kalt und immer angenehm. Die Sonne lasse alles kräftig in den Farben der Dinge erstrahlen. Vielen Menschen, die an die Küste kämen, seien die Farben egal, sie kämen wegen der anderen Menschen, deswegen habe die Küste mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Ich sagte: «Wirklich?», er sagte: «Ja», und sie fehlte mir jetzt sehr.

Auf den Spuren von damals

Ich träumte mich los, träumte, wie wir in teuren Hotels vom Balkon schauen und ganz weit hinausschwimmen und uns vom Wind aus Italien nach Frankreich blasen lassen. Links Olivenhaine, rechts wächst der Wein. Durch viele weisse Städte würden wir fahren, von einer Mahlzeit zur nächsten. Sie im weissen Kopftuch, ich mit vom Fahrtwind zurückgelegten Haaren. Und wenn wir zu beschwipst wären, um weiterzufahren, würden wir Postkarten für unsere Mütter kaufen oder trotzdem einfach weiterfahren und uns auf die schmalen Strassen einer oft gemalten Landschaft verlassen, von denen der alte Italiener sagt, sie würden die Schwächen der Männer wegwaschen und die Traurigkeit der Dinge und bis in die Wirklichkeit unserer Träume führen.

Riviera

Ich schickte ihr eine SMS, Stichwort «Riviera?». Sie antwortete sofort, schickte Smileys und Ausrufezeichen, und so machten wir uns, am Anfang jenes Sommers, auf, die Kultur dieser Küste zu ergründen. Wir wollten alles weglassen, was man googeln konnte, und alles, was wir gehört hatten, um nur den Spuren von damals zu folgen.

Nach Florenz ist aber nicht gleich die Riviera. Man fährt durch eine grosse Ebene, wird langsam darauf vorbereitet. So, als würde es mit Absicht erst noch einmal flach werden wollen vor den Bergen Liguriens. Die Aufregung steigt. Man kann die Höhe schon spüren, man kann sie riechen, und sobald einen der letzte Autobahntunnel ausspuckt, kann man sie sehen. Welche Weite! Wo hört der Himmel auf, wo fängt das Meer an? Berge, die einfach so ins Wasser fallen, als hätten sie das Meer kaum kommen sehen. In der Ferne Hügeldörfer, die sich gerade so am Berg halten können. Dicke Olivenöl-Mammas, die aus verwilderten Einfahrten winken, und Männer, die, vom Wein heiss, Lieder über verlorene Liebe singen, immer ein bisschen Bolognese zwischen den Zähnen. Ein Leben, das mehr Kurve ist als Gerade. Durch eine Landschaft, die man ständig giessen möchte. Ein in der Ferne fahrendes Auto, lautlos. Daneben eine Bucht. Ein mit Meer vollgelaufenes Aquarell mit Booten. Fahrrad fahren und Käse essen, Rosen giessen und Forellen in einem klaren Bach fangen. Wer diese Vorstellung von Ligurien behalten möchte, sollte den Hügeldörfern aber nicht zu nahe kommen. Dort lauern Touristen, massenweise. Es sind die gleichen Touristen wie in Florenz, oder es sind andere. Von ihren Empfehlungen erpresst, schieben sie sich gegenseitig durch die Mittagshitze steiler Gassen, schwitzen, streiten, stehen ahnungslos da. Bereit, sich die Ferien mit Sehenswürdigkeiten zu versauen.

Anders in Genua, der einstigen Meereshauptstadt der Welt. Dort gibt es fast keine Touristen. Die Stadt beginnt mit hübschen Frauen auf Rollern, wie eine Lavazza-Werbung, und urplötzlich schlingt sie die Autobahn in ihrem Schlund herunter, um sie im Innersten wieder auszuspucken. Als wir das Grand-Hotel erreichen, ist es Nachmittag. Wir waschen uns die Fahrt von der Haut und fallen in einen lieblichen Schlaf. Als wir aufwachen, scheint uns der Vollmond schon durch das Balkonfenster auf die Haut. Sie macht sich noch kurz frisch, ich warte unten an der Bar. Ein Gast spielt Klavier, etwas von Igor Strawinsky. Ich rede mit dem Barmann, erzähle ihm, dass wir einen Abend in der Stadt vor uns hätten. «Genua ist tot», sagt der Barmann. Ich zahle, und er wünscht uns viel Glück. Genua, bist du das wirklich? Du stolze Seefahrerstadt, die den Hang hinaufklettert! Du Tor zur Welt, gebaut aus Kulturen, nicht mehr modernisierbar. Was führst du im Schilde? Ich sehe Huren, die sich im Schatten der Gassen vor uns verstecken. Ich sehe deinen Russ, deine Ratten, ich sehe Paläste, nur einen staubigen Spalt voneinander entfernt. Spannung, die sich auflädt, wie ein Telefon. Schmale Gassen, die auf grosse Plätze führen, und Leuchtreklamen, die mir sagen, dass du doch am Leben bist. Nur, wo sind deine Bars, deine Menschen? Ihre Absätze hallen einsam über dein dunkles Pflaster. Touristen haben dich nie erobern können, und deine Schätze gehören dir, deine «Les Rouges»-Bar, dein Restaurant «Au Café». Alles verschwimmt, wir werden dich finden.

Das Bild «Figuren am Strand» malte Auguste Renoir 1890 an der Côte d'Azur. Der impressionistische Künstler lebte von 1903 bis 1919 in Cagnes-sur-Mer und verstarb dort. (Bild: Imago)

Das Bild «Figuren am Strand» malte Auguste Renoir 1890 an der Côte d'Azur. Der impressionistische Künstler lebte von 1903 bis 1919 in Cagnes-sur-Mer und verstarb dort. (Bild: Imago)

Trotz dem vielen Wein der letzten Nacht stand ich schon früh auf dem Balkon und schaute über die Stadt. Ich sah vor lauter Hafen das Meer nicht. Heute würden wir die Côte d’Azur sehen, den Garten Eden zwischen Alpen und Mittelmeer. Auguste Renoir in Cagnes, Paul Signac in St-Tropez, Pablo Picasso in Antibes und Henri Matisse in Nizza. Nietzsche, Roth, Hemingway und Porter. Wohl keine Region der Welt hat mehr moderne Kunst hervorgebracht als die Riviera. Sie brachte Amedeo Modigliani dazu, Landschaften zu malen, und gab der deutschen Exilliteratur mit Sanary-sur-Mer eine Hauptstadt. Ihre Hotels haben Weltkriege überstanden und Besuche von Dieter Bohlen. Dazwischen Friede, Freude, Hedonismus. Die Meisterschaft des guten Lebens, gewonnen von Menschen, die sich einen Sommer lang von Sonne, Sand und Sekt ernähren konnten. Von Exilanten wie den Amerikanern Gerald und Sara Murphy oder der Kunstsammlerin Baronesse Béatrice de Rothschild.

Alleine auf der Welt

Unsere Côte d’Azur beginnt 700 Meter über dem Meer, in einem 1000 Jahre alten Bergdorf. Eze ist nicht das Paradies, aber es kommt ihm, von allem, was wir bisher gesehen hatten, am nächsten. Um das Hotel La Chèvre D’Or hat man einen Garten Eden gepflanzt. Die Statuen stehen da, der Pool plätschert, man bringt uns Champagner und Blaubeeren. Kauen muss man selber. Die Minibar ist ein Raum, und im Wohnzimmer unserer Künstlersuite steht ein grosser weisser Flügel, vor einem gewaltigen Ausblick. Ein Ausblick, so schön, dass man ihn durch keine Sonnenbrille der Welt verschmutzen möchte. Bis nach Nizza kann man sehen. Man sitzt auf seinem teuren Balkon und schaut auf noch teurere Privatinseln und Boote, die da unten auf der Erde ankern. Morgens ist die Stille hier oben so dicht, dass man glaubt, allein auf der Welt zu sein. Nicht einmal das Dröhnen der Lamborghinis schafft es bis hier herauf.

Zum Strand geht es bergab. Nietzsche hat den Fussweg populär gemacht. Wir gehen hinunter und schwimmen weit hinaus. Fast bis zu den Booten. Das Wasser sieht aus wie blaue Lava. Zurück wollen wir trampen. In zehn Minuten halten drei Autos, ein blauer Ferrari, ein Opel Corsa und ein Bentley. Alle nicht unsere Richtung. Ein alter Mercedes nimmt uns mit. Der Fahrer denkt, wir seien so arm, wie wir aussähen. Am Eingangstor zu «La Chèvre D’Or» lässt er uns aussteigen, hineinfahren darf er nicht. Dieses Hotel ist heilig. Hier wurde der Heiratsvertrag von Fürst Rainier von Monaco und Grace Kelly ausgehandelt, hier logierte bei der WM 1998 die französische Fussballnationalmannschaft, hier wohnen wir. Hier sehen wir die ersten richtigen Reichen, beobachten ihr gedämpftes Leben, in dem sie sich die Probleme scheinbar selbst aussuchen können. Kultivierte Emotionen. Zwischen uns bestehen unsichtbare Mauern aus Bankkonten und Stolz. Ich kann ihre abschätzenden Blicke auf meinen Handgelenken spüren.

Es wurde ein sehr romantischer Road-Trip, ein Mittsommermoment ausserhalb der Zeit. In unserem weissen Fiat-Cabrio kam uns das Leben so einfach vor, aber das Leben war nicht einfach, und nach einigen Nächten mussten wir auf die Erde zurück, und meine Freundin bekam einen fürchterlichen Ausschlag am Hals. Der Doktor sagte, wir dürften uns für den Rest der Reise nicht berühren, aber der Doktor hatte doch keine Ahnung von der Liebe, er hatte nur seinen Computer und Internet.

Der Glanz einer glorreichen Geschichte

Den Rest des Sommers verbrachten wir da, wo die englische Königin Victoria Ende des 19. Jahrhunderts ihre Winter verbrachte. Wir wohnten in einem Gründerzeithotel mit Blick aufs Meer und tranken Martinis an der Hotelbar. Es war eine schöne Bar mit rotem Samt und Messing, die Kellner trugen Manschettenknöpfe und verteilten Häppchen. Die Bar war lang und hatte Polster, auf die man seine Ellenbogen beim Sprechen stützen konnte, oder man sagte einfach nichts, sass da und blickte durch den Raum hinaus aufs Meer. Alles strahlte in Weiss, Grün und Blau, im Glanz einer glorreichen Geschichte. Auf den Liegen am Pool liegen seit je die schönsten verschränkten Beine der Welt. Die Lobby wurde von Gustave Eiffel entworfen, und im gesamten Hotel gab es keine Fenster, nur Gemälde, die hinaus in den Himmel zeigten. Das Hotel lag auf einem Kap, das einsam vom Fels ins Meer bröckelte, und Villen dösten unter den Bäumen. Wenn der Strand am Abend leer war, spazierten wir zum Ende des Kaps und zu den Villen und wieder zurück.

Sonnenuntergang an der Marina von St-Tropez. (Bild: Imago)

Sonnenuntergang an der Marina von St-Tropez. (Bild: Imago)

Vom Barmann erfuhren wir alles, was wir seit je über die Riviera wissen. Er hatte ein junges, vom Klima verschontes Gesicht und verkörperte jenes Gleichgewicht, das die Bar eines grossen Hotels in einem erzeugen kann. Er war höflich und schmeichelte meiner Freundin, nicht nur wegen des Trinkgelds, denn wir hatten keins. Von ihm lernten wir, dass der englische Adel das Lebensgefühl der Côte d’Azur erfand und dass Stéphen Liégeard es in seinem Buch «La Côte d’Azur» festgehalten hatte. Bis die Künstler im Sommer kamen, kam niemand im Sommer, und als Coco Chanel dann in den 1920er Jahren zum ersten Mal mit einem braunen Teint aufkreuzte, war der Skandal gross und war die Sommersaison an der Riviera eröffnet. Man baute eine Zugverbindung, und die Küste avancierte zum ersten internationalen Ferienziel. Allen voran St-Tropez, dieses vom Jetset zerfetzte Städtchen. Gemalt von Paul Signac, geliebt für das Licht und eine Landschaft, die sich von der Plaine des Maures bis zu den Buchten des Südens melodisch in die Ferne schwingt; und von allen überrannt, wegen einer schwarz-weiss fotografierten Brigitte Bardot. St-Tropez, das war einmal Pastis und Palaver, kurze schwarze Badehosen, Pernod-Werbung von Picasso und Poster mit Romy Schneider. In den Strassen liefen die Romanfiguren Colettes, und auf der Place des Lices konnte man sich in von Roger Vadim gedrehte Filmszenen setzen. Heute spielen die Alten vor dem «Le Café» zwar immer noch Boule, nur den Anlauf haben sie, über die Jahre, weggelassen.

Wir gewöhnten uns sehr an den Ausblick aus unserem Zimmer. Und als der Tag unserer Abreise kam, waren wir traurig, so, als würden wir etwas in diesem Ausblick zurücklassen. Es war ein schöner Ausblick, der weit über das Anschauen hinausging und viel Glanz in die Fassaden der Villen gebrachte hatte. In jenem Sommer hatten wir viel gesehen, aber was wichtiger war, wir hatten erkannt, dass es nicht darum ging, wie viele Orte wir gesehen hatten, sondern wie viel wir in diesen Orten sehen konnten. Nur in Nizza war es anders. Nizza war einfach nur schön, durchlaufen, toll finden. Matisse, Chagall, Happy Hour in den Bars, gar nicht so teuer. Lebendig gewordene Schaufensterpuppen, helle Wandfarbe und immer die gleichen schönen Fensterläden.

Das war’s, wir wären auch gern noch geblieben, aber am Wochenende, an dem das schlechte Wetter begann, verliessen wir die Riviera.

Die Reise entlang der Riviera und der Côte d’Azur wurde unterstützt von folgenden Häusern: Adler Spa Resort Thermae (Siena), «Palazzo Guadagni» (Florenz), Grand Hotel Savoia (Genua), «La Chèvre d’Or» (Eze), Welcome Hotel (Villefranche-sur-Mer) und Grand-Hôtel du Cap-Ferrat Four Seasons (Saint-Jean-Cap-Ferrat).