Haben Astronomen erstmals die Verschmelzung eines Schwarzen Lochs mit einem Neutronenstern dokumentiert?

Wenn Astronomen ein Gravitationswellensignal auffangen, weiss es wenig später die ganze Welt. Für die Wissenschaft ist das automatische Warnsystem Gold wert. In der Öffentlichkeit kann es allerdings Verwirrung stiften.

Christian Speicher
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Dieser Ausschnitt aus einer Computersimulation zeigt ein Schwarzes Loch, das gerade einen Neutronenstern verspeist hat. Zurück bleibt eine heisse Materiescheibe, die elektromagnetische Strahlung emittieren sollte. (Bild: Lawrence Berkeley National Laboratory)

Dieser Ausschnitt aus einer Computersimulation zeigt ein Schwarzes Loch, das gerade einen Neutronenstern verspeist hat. Zurück bleibt eine heisse Materiescheibe, die elektromagnetische Strahlung emittieren sollte. (Bild: Lawrence Berkeley National Laboratory)

Wenn Medien über ein astronomisches Ereignis berichten, so berufen sie sich in der Regel auf eine wissenschaftliche Publikation, eine Pressekonferenz oder dergleichen. Derzeit macht allerdings eine Meldung Schlagzeilen, die auf keiner dieser traditionellen Quellen beruht. Am 14. August seien Astronomen möglicherweise zum ersten Mal Zeugen geworden, wie sich ein Schwarzes Loch einen Neutronenstern einverleibt hat, heisst es etwa in der Fachzeitschrift «Science». Verwiesen wird auf eine öffentliche Warnung (public alert), mit der Astronomen ihre Fachkollegen automatisch informieren, sobald am Himmel eine mögliche Quelle von Gravitationswellen gesichtet wird. Bei der Beurteilung dieser Eilmeldungen ist allerdings Vorsicht angebracht. Das zeigt eine Episode vom April. Schon damals machte ein fast gleichlautendes Gerücht die Runde, hinter dem heute ein dickes Fragezeichen steht.

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Gewissheit braucht Zeit

Die Unsicherheit ist gewissermassen der Preis, den die Astronomen für ihren zunehmenden Erfolg zu bezahlen haben. Als sie vor vier Jahren mit den beiden Ligo-Detektoren in den USA erstmals Gravitationswellen aus dem Weltall auffingen, nahmen sie sich mehrere Monate Zeit, um das Signal auf Herz und Nieren zu prüfen. Erst als sie ganz sicher waren, dass die Wellen von zwei verschmelzenden Schwarzen Löchern stammten, wagten sie den Schritt an die Öffentlichkeit.

Das gleiche Spiel wiederholte sich zwei Jahre später, als erstmals Gravitationswellen von zwei verschmelzenden Neutronensternen nachgewiesen wurden – mit einem Unterschied. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit wurden ausgewählte Observatorien vorab über die mögliche Sichtung informiert. Fast augenblicklich richteten Astronomen diverse Teleskope auf die entsprechende Himmelsregion, um nach einem elektromagnetischen Gegenstück zu den Gravitationswellen zu suchen.

Dieses Vorgehen ist heute nicht mehr praktikabel. Die beiden Ligo-Detektoren in den USA sind nach einem Upgrade so empfindlich, dass sie fast wöchentlich auf Gravitationswellen ansprechen. Zudem gibt es mit dem Virgo-Detektor in Italien inzwischen ein drittes Instrument, das sich an der Suche beteiligt. Seit April dieses Jahres gibt es deshalb ein automatisches Warnsystem, das innerhalb von einer Minute eine Meldung absetzt, wenn ein Algorithmus ein Gravitationswellensignal für echt befindet. Danach kommt der Mensch ins Spiel. Innerhalb von einer Stunde wird das Signal von einer Fachperson begutachtet, die die Warnung gegebenenfalls revidiert. Erst danach beginnt die eigentliche Analyse, die sich über Wochen und Monate hinziehen kann.

Aus wissenschaftlicher Sicht ist dieses Warnsystem zu begrüssen. Denn nach einem Nachweis einer Gravitationswelle zählt jede Minute, um nach einem elektromagnetischen Pendant zu suchen. Da nehmen Astronomen auch Warnungen in Kauf, die sich im Nachhinein als falsch herausstellen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass zu diesem frühen Zeitpunkt noch keine genauen Aussagen über das Ereignis möglich sind – etwa über die Massen der beiden verschmelzenden Objekte.

Neutronenstern oder Schwarzes Loch?

Im jüngsten Fall vom 14. August ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen falschen Alarm handelt, sehr viel geringer als beim Ereignis vom 26. April. Zudem tun sich die Astronomen leichter, das Ereignis zu klassifizieren. Nach jetzigem Wissensstand ist das eine Objekt wahrscheinlich schwerer als fünf Sonnenmassen und das andere leichter als drei. Damit hätte man das erste Mal die Verschmelzung eines Schwarzen Lochs mit einem Neutronenstern beobachtet. Die verbleibende Unsicherheit rührt daher, dass die Grenze zwischen Neutronenstern und Schwarzem Loch nicht scharf definiert ist. Deshalb lässt sich derzeit nicht völlig ausschliessen, dass es sich auch beim zweiten Objekt um ein (besonders leichtes) Schwarzes Loch handelt. Auch das wäre eine wichtige Entdeckung, weil man bisher noch nie ein derart leichtes Schwarzes Loch gesehen hat.

Auch die Nachfolgeuntersuchungen mit verschiedenen Teleskopen haben bisher keine Klarheit gebracht. Wenn sich ein Schwarzes Loch einen Neutronenstern einverleibt und diesen vorher in Stücke reisst, würde man erwarten, dass die Materie auch elektromagnetische Strahlung emittiert. Die Suche danach war bisher aber erfolglos. Die Hoffnungen der Astronomen ruhen nun darauf, dass die genaue Analyse des Gravitationswellensignals Hinweise auf dessen Ursprung liefert. Das aber braucht Zeit.

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