Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro will den für den Klimaschutz wichtigen Amazonasurwald vermehrt abholzen. Für das Ausland sind die Möglichkeiten zur Einflussnahme beschränkt. Es sind die Brasilianer, die erkennen müssen, dass ihnen die gegenwärtige Politik mehr Schaden als Nutzen bringt.
«Das Amazonasgebiet gehört Brasilien und nicht euch.» Dies hat Präsident Jair Bolsonaro kürzlich vor einer Gruppe ausländischer Journalisten betont. Er besteht damit auf dem Anspruch seiner Regierung, wonach es einzig Sache der Brasilianer ist, zu entscheiden, was mit dem grössten Regenwaldgebiet der Erde, der sogenannten grünen Lunge unseres Planeten, geschieht. Doch es gibt ein starkes weltweites Interesse am Amazonasurwald. Dieser speichert riesige Mengen von Kohlenstoff und wirkt damit der Erderwärmung entgegen. Der Urwald erfüllt auch eine wichtige Funktion für das regionale Klima in Südamerika. Wegen seiner Grösse ist er in der Lage, selbst Regen zu generieren. Kahlschlag führt deshalb zu mehr Trockenheit und zu höheren Durchschnittstemperaturen. Das Amazonasbecken verfügt zudem über eine einmalige Biodiversität.
Der Amazonasurwald ist mehr denn je von Zerstörung bedroht. Dies zeigen die jüngsten Zahlen des zuständigen brasilianischen Instituts Inpe zum Verlauf der Rodungen. Gleichzeitig wurde die Weltöffentlichkeit in den letzten Tagen durch beunruhigende Bilder von Waldbränden aufgeschreckt. Dunkler Rauch von Zehntausenden von Brandherden zieht zurzeit über Tausende von Kilometer und macht selbst in Sao Paulo den Tag zur Nacht. Die Brände sind vielfach eine Folgeerscheinung der Rodungen. Die abgeholzten Flächen werden mit Feuer vom Unterholz gesäubert.
Laut Inpe wurden von Bolsonaros Amtsantritt Anfang Jahr bis Ende Juli 4700 Quadratkilometer Wald abgeholzt. Das sind 67 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Daten stammen von satellitengestützten Überwachungssystemen und sind provisorisch. Doch die Zahlen überraschen nicht. Bolsonaro hat mit Worten und Taten den Schutz des Regenwaldes und der dort lebenden indigenen Bevölkerung systematisch ausgehöhlt. Die lokalen Grossgrundbesitzer nutzen die Gelegenheit zur Schaffung zusätzlicher Weide- und Anbauflächen.
Bolsonaro sieht im Regenwald in erster Linie eine Landreserve, die man roden kann, um landwirtschaftliche Produktionsfläche zu gewinnen. Angesichts des stagnierenden Wirtschaftswachstums der letzten Jahre betrachtet er die weitere Expansion der Viehzucht und des Sojabohnenanbaus als Strategie zur Steigerung der Exporte und der Wirtschaftsleistung. Seine Rechtsregierung ist im Kongress auf die Rückendeckung der mächtigen Agrarlobby angewiesen und unterstützt deren Forderung nach einer Lockerung des Regenwaldschutzes.
Während Bolsonaro besonders wenig Skrupel zeigt, den Regenwald dem wirtschaftlichen Profit zu opfern, sind auch frühere Präsidenten keineswegs zimperlich mit der grünen Lunge umgegangen. Unter den Linksregierungen von Lula da Silva und Dilma Rousseff wurden während nicht ganz 14 Jahren nicht weniger als 149 000 Quadratkilometer Wald abgeholzt, gut das Dreieinhalbfache der Fläche der Schweiz. Insgesamt wurden seit den 1970er Jahren 800 000 Quadratkilometer oder rund ein Fünftel des brasilianischen Amazonasurwalds zerstört.
Immerhin gelang es Lula in seiner Amtszeit, die jährlich gerodete Fläche drastisch von 27 800 (2004) auf 6400 Quadratkilometer (2011) zu reduzieren. Dies geschah allerdings zur Zeit der Bonanza der Rohstoffe, als das Wachstum der Landwirtschaft durch enorme Preissteigerungen getrieben wurde und deshalb weniger Druck zur Ausweitung der Anbaufläche bestand. Unter Rousseff wurde 2012 wieder ein neues, lascheres Forstgesetz verabschiedet, das den Grundbesitzern erlaubte, mehr Wald legal abzuholzen.
Der Kampf gegen die Abholzung ist eine Konstante der brasilianischen Politik und wird auch nach einem Ende der Regierung Bolsonaro ein Thema bleiben. Welche Mittel bieten sich überhaupt dem Rest der Welt, der Zerstörung des Amazonasurwalds entgegenzutreten? Westliche Länder haben wiederholt versucht, durch Belehrungen oder Drohgebärden Einfluss zu nehmen. Frankreich und Deutschland haben erst kürzlich damit gedroht, das eben verhandelte Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Mercosur (Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay) als Druckmittel einzusetzen. Dies kommt bei vielen Brasilianern nicht gut an. Es wirkt für sie verständlicherweise arrogant, wenn Staaten, die pro Kopf einen wesentlich höheren Ausstoss von CO2 haben, dem Land Vorschriften über seine Umweltpolitik machen wollen. Solche Druckversuche dürften in erster Linie Abwehrreaktionen auslösen, Bolsonaro stärken und dem Schutz des Regenwaldes einen Bärendienst erweisen.
Gibt es im internationalen Recht Mittel gegen die Abholzung? Die Staaten haben grundsätzlich das Recht, ihre Ressourcen zu nutzen. Sie dürfen ihr Gebiet aber nicht verwenden, um anderen Staaten massiven Schaden zuzufügen. Theoretisch könnte man aufgrund dieses Prinzips vor dem Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen in Den Haag gegen Brasilien klagen, wobei das Land erst noch dessen Zuständigkeit in diesem Fall anerkennen müsste. Völkerrechtler weisen insbesondere auf drei mögliche Wege hin, wie gegen die Abholzung rechtlich vorgegangen werden könnte. Die von Brasilien ratifizierte Biodiversitätskonvention verbietet, erstens, die Nutzung eigener Ressourcen, wenn sie der Umwelt anderer Staaten starken Schaden zufügt. Wegen der drohenden Klimaveränderung kann man in der Abholzung eine Verletzung der Konvention sehen. Diese Argumentation ist aber umstritten, und Bolsonaro könnte innert Jahresfrist aus der Konvention austreten.
Zweitens kennt auch das Gewohnheitsrecht ein Verbot der erheblichen Schädigung von Nachbarstaaten, die durch die Nutzung des eigenen Territoriums entsteht. Beispiele sind etwa die Verschmutzung von Flüssen oder der Luft, die das Leben jenseits der Grenze massiv beeinträchtigen. Auch hier ist allerdings umstritten, ob Klimaveränderung als Folge der Zerstörung von Waldflächen mit Luftverschmutzung gleichgesetzt werden kann.
Die grösste Einflussmöglichkeit hätte, drittens, theoretisch der Uno-Sicherheitsrat. Dieser hat schon vor einiger Zeit festgehalten, dass schwere Umweltschäden eine Friedensbedrohung darstellen können. Er könnte damit Zwangsmassnahmen anordnen, Brasilien das weitere Abholzen verbieten und ein solches Verbot auch durchsetzen. Im Sicherheitsrat sitzen aber mit den beiden Vetomächten USA und China ausgerechnet die beiden grössten CO2-Emittenten der Welt. Es wäre schwierig, zu rechtfertigen, dass diese Länder Zwangsmassnahmen gegen Brasilien ergreifen.
Ein ganz anderer denkbarer Weg wäre, dass die anderen Staaten Brasilien für den Verzicht auf die wirtschaftliche Nutzung dieser Waldgebiete entschädigen. Es erscheint nur gerecht, dass die übrigen Staaten die Kosten mittragen, wenn sie von der reinigenden Wirkung des Urwalds profitieren wollen. In Ansätzen existiert dies bereits. So gibt es etwa einen internationalen Amazonasfonds, der hauptsächlich von Norwegen und Deutschland gespeist wird und Projekte zum Schutz des Regenwaldes finanziert. Doch das reicht nicht. Damit es für Brasilien wirklich wirtschaftlich interessant wäre, den Wald unberührt zu lassen, müsste die Entschädigung wesentlich höher sein.
Die internationale Bereitschaft dazu war bisher gering. Dies hat auch ein Projekt Ecuadors im Amazonasbecken gezeigt. Dort wurden im besonders artenreichen Regenwald im Yasuní-Nationalpark schätzungsweise 850 Millionen Fass Erdölvorkommen entdeckt. Präsident Rafael Correa schlug 2007 vor, das Erdöl im Boden zu lassen und so die einmalige Biosphäre zu erhalten. Dies unter der Bedingung, dass das Ausland die Hälfte der dadurch verlorenen Einnahmen bezahlen würde (total 3,5 Milliarden Dollar verteilt über zehn Jahre). Die Zahlungen sollten für die Umwelt und soziale Zwecke eingesetzt werden. Das Projekt wurde weltweit als Modell gelobt, doch es fand nicht genügend Financiers.
Die grösste Hoffnung bleibt deshalb, dass in Brasilien selbst die Einsicht wächst, dass die Abholzung des Amazonasurwalds auch dem eigenen Land mehr Schaden als Nutzen bringt. In der Tat ist bereits eine regionale Klimaveränderung feststellbar. Die Trockenzeiten haben sich verlängert. Seit der Jahrtausendwende gab es drei ungewöhnliche Dürreperioden, welche die Wasserversorgung, die Landwirtschaft und die Stromerzeugung in Mitleidenschaft zogen. Einheimische Forscher machen dafür die Abholzung verantwortlich.
Darüber hinaus droht noch ein weit gefährlicheres Szenario. Laut einer von verschiedenen Wissenschaftern vertretenen Theorie kann der Regenwald längerfristig nicht überleben, wenn seine Ausdehnung eine gewisse Mindestgrösse unterschreitet. Diese Grenze soll irgendwo zwischen 75 und 60 Prozent der ursprünglichen Waldfläche liegen. Der verbleibende Wald erhält dann längerfristig nicht mehr genügend Regen zum Überleben und stirbt, was zu höheren Temperaturen und Dürre in der ganzen Grossregion führt. Eine solche Entwicklung wäre für die brasilianische Landwirtschaft fatal. Es bleibt zu hoffen, dass die einflussreichen Grossbauern ihr eigenes Interesse an der Erhaltung des Regenwaldes erkennen, bevor es zu spät ist.