Kolumne

So schreibt man heisse Schlagzeilen

Ein Virus plagt die Newsrooms: das «So»-Virus. Dieser Tage schlug es besonders heftig zu.

Rainer Stadler
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Rainer Stadler, seit 1989 bei der NZZ, hält in seiner Kolumne «In Medias Ras» der zur Selbstgerechtigkeit neigenden Medienbranche den Spiegel vor.

Rainer Stadler, seit 1989 bei der NZZ, hält in seiner Kolumne «In Medias Ras» der zur Selbstgerechtigkeit neigenden Medienbranche den Spiegel vor.

Der Verdacht, hier hätte einer dem andern abgeschrieben, ist natürlich völlig abwegig. Am Mittwoch waren im Internet folgende Schlagzeilen zu lesen: «So will der Bundesrat die Gesundheitskosten bremsen» (Bluewin). Und: «So will der Bundesrat im Gesundheitswesen sparen» («Tages-Anzeiger»). Und: «So will der Bundesrat die Gesundheitskosten in den Griff kriegen» (SRF). Und: «So will Berset die Gesundheitskosten in den Griff bekommen» (Blick). Und: «So will Bundesrat Alain Berset den Kostenanstieg im Gesundheitswesen bremsen» («Aargauer Zeitung»).

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Medienkulturpessimisten werden sich bestätigt fühlen: Alle schreiben dasselbe, es herrscht ein publizistischer Einheitsbrei. Man kann jedoch derlei Einfalt in der Vielfalt durchaus konstruktiver deuten. Dem gestressten Zeitgenossen bieten die Schlagzeilen eine Chance, in Momenten der Ruhe zu versinken. Das murmelnde Vorlesen repetitiver Nachrichtentexte erzeugt einen gebetsmühlenartigen Effekt, es befreit von der Last des Alltags – innere Einkehr dank News. Ein Rosenkranz für die Mediengesellschaft.

Aber zurück zum Handfesten. Die zitierten Schlagzeilen machen die derzeitige «So»-Mode manifest. Anbei ein paar weitere Beispiele, welche die Newsrooms in den vergangenen Tagen ausspuckten: «So kreativ wird getrickst» (Watson), «So geht es in Italien weiter» (SRF), «So eindrücklich ist die Schwingarena von oben» («20 Minuten»), «So lachen Terroristen über Terroristen» (NZZ), «So veränderte Napoleon die Schweiz» («Tages-Anzeiger»), «So fliegen unsere Sextoys sicher im Handgepäck» («Schweizer Illustrierte»), «So wird im Avers gesprengt und aufgeräumt» («Südostschweiz») und so weiter. Dem «So»-Raster kann man beinahe jede Begebenheit unterwerfen.

(Bild Gaetan Bally / key)

(Bild Gaetan Bally / key)

Gewiss, kein von Aktualitäten getriebenes Medienhaus ist immun gegen Ticks und Moden. Angesichts der Beschleunigung der Nachrichtenzirkulation wächst allerdings die Anfälligkeit gegenüber journalistischen Viren. Die digitalen Messsysteme, welche den Redaktionen den Besucherverkehr laufend vorrechnen, üben ihrerseits einen homogenisierenden Effekt aus.

Fröhlicher Gestimmte werden die «So»-Sätze als Zeichen einer dienstleistungsorientierten Branche deuten, welche gleich auf den Punkt kommen und den Konsumenten nicht mit langfädigen Betrachtungen versäumen will. Sie verspricht schnelle Aufklärung: Wer das, was nach dem «So» folgt, gelesen hat, weiss sogleich Bescheid.

Umgekehrt heisst das aber auch, dass in den entsprechenden Schlagzeilen eine redaktionelle Anmassung mitschwingt: Wir Informationsvermittler haben die Weisheit gefressen und sagen nun dem Publikum, was der Fall ist. Nicht zufällig bekommen die Konsumenten auch diese Überschrift regelmässig vorgesetzt: «Was Sie wissen müssen».

Damit kommen wir zu den allwettertauglichen «W»-Konstruktionen. Sie gelangten bereits im Print-Zeitalter auf modern gesinnten Redaktionen zum Einsatz, sind aber auch online hoch im Kurs. Ein paar Beispiele aus der aktuellen Produktion: «Wie Paris versucht, E-Scooter in den Griff zu kriegen» (SRF), «Wie ein Luzerner alle um den Finger gewickelt hat» («Luzerner Zeitung»), «Wie clevere Kunden erhöhte Preise umgehen» («Bilanz»). Oder diese Variante: «Warum sich der AHV-Vorbezug selten lohnt» («Berner Zeitung»).

Noch nicht erschienen ist diese Schlagzeile: «Warum Medien so ticken».