Der Bahnhof von Canfranc (Estación Internacional de Canfranc) ist ein ehemaliger Grenzbahnhof zwischen Spanien und Frankreich im gleichnamigen Ort. Nach der Stilllegung der Bahnstrecke in Frankreich dient er als Regionalbahnhof und wirkt seit diesem Funktionswechsel stark überdimensioniert.(Bild: Marc Celeiro / CC-BY-SA 4.0)

Der Bahnhof von Canfranc (Estación Internacional de Canfranc) ist ein ehemaliger Grenzbahnhof zwischen Spanien und Frankreich im gleichnamigen Ort. Nach der Stilllegung der Bahnstrecke in Frankreich dient er als Regionalbahnhof und wirkt seit diesem Funktionswechsel stark überdimensioniert.
(Bild: Marc Celeiro / CC-BY-SA 4.0)

Vor rund 50 Jahren kam der Zugverkehr zwischen dem französischen Pau und dem spanischen Saragossa zum Erliegen. Seit Jahren kämpfen Anwohner für die Wiedereröffnung der Strecke. Und derzeit haben sie so viel Hoffnung wie noch nie, denn es fehlen nur noch 33 Kilometer.

Seit einem Unfall vor bald 50 Jahren ruht der Zugverkehr zwischen Pau und Saragossa. In der französischen Vallée d'Aspe setzen sich Anwohner für die Wiedereröffnung der Strecke ein, weil immer mehr Lastwagen durch ihre Dörfer rollen. Die Hoffnung ist so gross wie lange nicht.

Nina Belz, Bedous/Canfranc
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Während der Sommermonate fährt drei Mal am Tag ein Zug in den Bahnhof von Canfranc ein: morgens, mittags und abends. Mehr als ein Dutzend Reisende bringen sie selten, aber sie steigen alle aus. Canfranc ist Endstation. Sie stehen vor einem Bahnhof, der nicht nur für dieses Passagieraufkommen, sondern auch für die rund 500 Einwohner der spanischen Grenzgemeinde überdimensioniert ist. 240 Meter lang ist das Gebäude mit mehr als 350 Fenstern und 150 Türen. Als es 1928 nach nur sechs Jahren Bauzeit in Betrieb genommen wurde, war Canfranc, ein Grenzdorf in den spanischen Pyrenäen, der zweitgrösste Bahnhof Europas – nach Leipzig.

Zwischen 1928 und 1970 wurden hier Passagiere und Waren auf der Strecke zwischen Pau in Frankreich und Saragossa in Spanien abgefertigt. Ein kompliziertes Unterfangen zwischen zwei Ländern, die sich lange kritisch beäugten und politisch nicht immer am gleichen Strang zogen. Kurz nach dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs mauerten die Franquisten den Tunnel für vier Jahre zu. Während des Zweiten Weltkriegs war Canfranc zunächst Station auf dem Fluchtweg für Juden und andere von den Nationalsozialisten Verfolgte. Später, als die Nazis Frankreich besetzt hatten, nutzten sie Canfranc für den Umschlag für Raubgold, Wolfram und Eisen.

Die Grenze verlief am Bahnhof durch das Gebäude. Waren und Personen mussten den Zug wechseln – nicht nur wegen der Kontrollen, sondern auch weil die beiden Länder unterschiedliche Spurbreiten haben. Das ist auf dieser Strecke bis heute so. Nur: Aus Frankreich verkehren seit dem Unfall eines Gütertransports 1970 keine Züge mehr nach Canfranc. Wer aus Spanien nach Frankreich weiterreisen will, muss in einen Bus umsteigen. Reisende in Richtung Saragossa werden vor einer kleinen Loge abgefertigt.

Der imposante Bahnhof dagegen darf nur noch im Rahmen von Führungen betreten werden, die das lokale Tourismusbüro organisiert. Derzeit enden sie im einzigen renovierten Wartesaal. Die Marmortreppen, die schneeweissen Kacheln in der Unterführung und das Wanddekor erinnern daran, mit wie viel Prestige der Bahnhof seinerzeit verbunden war.

Ein neuer Anlauf

Seit einigen Monaten wird an dem riesigen Gebäude gebaut – wieder einmal. Nachdem der Bahnverkehr zwischen Frankreich und Spanien vor bald 50 Jahren eingestellt wurde, rottete der Bahnhof vor sich hin. Die Regionalregierung von Aragon, zu dem die Grenzgemeinde Canfranc gehört, hat 5,2 Millionen Euro für die Renovierung des Gebäudes gesprochen. Schon einmal, nach der Jahrtausendwende, wurde ein Anlauf genommen. Doch das Projekt, das unter anderem den Umbau in ein Hotel vorsah, musste angesichts der Finanzkrise beerdigt werden. Über Jahre geschah nichts. Dieses Mal will man sich zwar noch nicht festlegen, wie das Gebäude genutzt werden soll, falls die Renovation wie geplant im Herbst 2020 fertiggestellt wird. Doch die Option, dass dereinst wieder ein Zug aus Frankreich einfährt, wird nicht ausgeschlossen. Deshalb wird auch das Gleisbett verlegt.

Eine Zuglinie von Pau über Canfranc nach Saragossa

Bis vor drei Jahren verkehrten die Züge in Frankreich nur bis Oloron-Sainte-Marie. Seit 2016 fahren sie 25 Kilometer weiter in die Vallée d'Aspe und Richtung spanische Grenze, bis nach Bedous. Jean-Luc Palacio schlägt den Bahnhof des 500-Seelen-Orts als Treffpunkt vor. Der 60-Jährige mit dem langen grauen Haar engagiert sich seit den frühen 1990er Jahren im Verein Créloc (Comité pour la réouverture de la ligne Oloron–Canfranc). Dessen unentwegtem Lobbying ist zu verdanken, dass Bedous wieder an das Netz der SNCF angeschlossen ist. Der Regionalrat liess sich von der Investition von 102 Millionen Euro, welche die Instandsetzung des Teilstücks kostete, überzeugen. Und doch kann Palacio sich nicht uneingeschränkt freuen. Der Fahrplan sei weder für Schüler noch für Berufstätige passend, sagt er. Die Passagierzahlen seien daher enttäuschend. Und er gibt etwas verschämt zu, dass auch er mit dem Auto zu seinem Arbeitsplatz in Oloron-Sainte-Marie pendelt. Die für die Zuginfrastruktur zuständige Region sowie Créloc versuchten seit Beginn, bei der staatlichen Bahngesellschaft SNCF eine Änderung der Fahrpläne zu erreichen; bisher vergebens.

Palacio und seine Kollegen, die sich eng mit einem Verein in Spanien abstimmen, haben ihren Fokus allerdings ausgeweitet. Sie geben sich nicht damit zufrieden, dass die Gleise rund 100 Meter nach dem Bahnsteig in Bedous von Büschen überwuchert sind. Créloc geht es nämlich vor allem auch darum, die Vallée d'Aspe vom Schwerverkehr zu befreien. Dieser hat seit der Eröffnung eines Strassentunnels im Jahr 2003 deutlich zugelegt. Rund drei Millionen Tonnen Fracht werden jährlich über die Nationalstrasse transportiert, die nun dank dem Tunnel direkt nach Spanien führt. Sie transportieren vor allem Mais (der in Spanien meist mit dem Zug weitertransportiert wird), Autoteile und Papier. Durchschnittlich sind das rund 400 Lastwagen pro Tag, die bisweilen direkt durch die kleinen Dörfer fahren. Deren Anwohner und Bürgermeister unterstützen daher überwiegend die Initiative von Créloc.

Der Verein hat in diesem Frühjahr zusammen mit seiner spanischen Partnerorganisation Crefco ein Strategiepapier veröffentlicht, das sie zusammen mit Experten erarbeitet haben. Dort legen sie Kosten und Nutzen einer Wiederinbetriebnahme detailliert dar. Auf dem Cover des Hefts prangt eine SBB-Lokomotive: Weil die Schweiz schon lange erfolgreich Fracht auf die Schienen verlade, erklärt Palacio. Nicht nur die lokalen Behörden, auch die zuständige Ministerin in Paris und Präsident Macron haben ein Exemplar bekommen.

Damit die 311 Kilometer lange Strecke Pau–Saragossa wieder durchgehend befahren werden kann, fehlen 33,2 Kilometer Strecke zwischen Bedous und Canfranc. Diese 10 Prozent haben es in sich: Der Zug muss 760 Höhenmeter gewinnen. Diese Herausforderung haben Ingenieure allerdings schon vor gut 100 Jahren gemeistert. Und die Tunnel und Viadukte sowie auch die Schienen sind laut Palacio noch mehrheitlich vorhanden und in einem guten Zustand. Erst kürzlich hat er dessen Kernstück, den rund 1,8 Kilometer langen Kehrtunnel kurz vor der spanischen Grenze, besucht. Zusammen mit Experten der SNCF, die überrascht gewesen seien, wie gut der Tunnel erhalten sei, erzählt er.

Unterstützung aus Brüssel

Doch Palacios Hoffnungen beruhen nicht nur auf diesem Besuch. Ende des Jahres sollen die Ergebnisse einer durch einen EU-Fonds mitfinanzierten Vorstudie für das Projekt veröffentlicht werden. Ende September sagte Brüssel zudem eine weitere Tranche von 2,8 Millionen Euro für technische Studien zu. Die Wiedereröffnung der Zugstrecke ist auch eines der Kernanliegen des Präsidenten der zuständigen Region Nouvelle-Aquitaine, Alain Rousset. Er kündigte im Sommer bei einem Besuch in Canfranc nicht nur seine neuerliche Kandidatur für seinen Posten an. Er sagte auch, dass die EU grundsätzlich bereit sei, die Hälfte des Betrags zu tragen, der für die Instandsetzung des letzten Teilstücks nötig sei.

Die Kosten werden derzeit auf rund 400 Millionen Euro geschätzt. Dazu kommen mindestens 100 Millionen, um auf der spanischen Seite das Teilstück bis nach Huesca mit der europäischen Standard-Spurbreite auszustatten. Wenn die Bauarbeiten in den nächsten zwei Jahren beginnen könnten, so sei es vielleicht schon ab 2024 möglich, in dreieinhalb Stunden von Pau nach Saragossa zu fahren, sagte Rousset euphorisch.

Jean-Luc Palacio ist da zurückhaltender. Auf die Studien folge die Phase der administrativen Prozesse, die meist sehr viel Zeit in Anspruch nehme – bevor überhaupt gebaut werde. Und dann gibt es da noch die Gegner. Die Organisation Croc (Contre la Réouverture de l’Oloron–Canfranc) argumentiert vor allem mit den enttäuschenden Passagierzahlen auf dem neuen Teilstück, um zu unterstreichen, dass jeder investierte Euro eine grosse Verschwendung sei. Palacio wischt diese Argumente weg und stellt den Umweltschutz und die Lebensqualität in der Vallée d'Aspe in den Vordergrund. Es gebe doch viele Bahnlinien, die nicht rentabel seien, sagt er.

Die Wiedereröffnung der Linie Pau–Saragossa wird auch von der spanischen Region Aragon unterstützt. Sie wäre der vierte Bahnkorridor zwischen Frankreich und Spanien. Die beiden meist frequentierten verlaufen jeweils der Küste entlang. Laut Philippe Duong, der das auf Logistik und Transport spezialisierte Planungsbüro Samarcande leitet, sind die Verbindungen im Bereich der spanisch-französischen Grenze derzeit nicht voll ausgelastet. Er ist daher skeptisch, ob das Projekt einer vierten Verbindung nach Spanien gegenüber anderen Bahninfrastrukturprojekten eine Chance hat. Die Instandsetzung sei doch sehr teuer. Und da Frankreich in den letzten 40 Jahren sehr wenig in die Bahnfracht investiert habe, sei deren Nutzung insbesondere seit dem Jahr 2000 massiv zurückgegangen – so stark wie kaum in einem anderen europäischen Land, sagt Duong. Für viele Unternehmen sei die Bahn daher keine wirkliche Alternative zum Strassentransport. Selbst die Instandsetzung der Linie sei daher keine Garantie dafür, dass die Lastwagen von der Strasse verschwänden.

In der Vallée d'Aspe konzentriert man sich auf die ersten Ergebnisse der EU-Studie, die für Ende des Jahres erwartet werden. Jean-Luc Palacio sagt, in den rund 30 Jahren Engagement habe er schon manchmal gedacht, das Projekt stehe vor dem Ende. Doch derzeit sei es eindeutig: Die Leute glaubten wieder daran.