Fallschirme sind die Lebensretter im Düsenflugzeug

Immer mehr einmotorige Flugzeuge sind mit Fallschirm-Rettungssystemen ausgerüstet. Diese kommen nun sogar in Business-Jets zum Einsatz.

Jürgen Schelling
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Notlandung in Norwegen: Alle vier an Bord haben die Landung am Fallschirm nach Motorausfall unverletzt überlebt.

Notlandung in Norwegen: Alle vier an Bord haben die Landung am Fallschirm nach Motorausfall unverletzt überlebt.

Accident Investigation Board Norway

Am 16. Juli 2019 will der Pilot einer viersitzigen Cirrus-Propellermaschine von Berlin ins süddeutsche Donaueschingen fliegen. Auf der Höhe von Leipzig stellte er fest, dass etwas nicht stimmt. Rapide fallender Öldruck weist auf vermutlich plötzlichen Ausfall des Triebwerks hin. Der Pilot sieht unter sich für seine schnelle Reisemaschine keine geeignete Notlandemöglichkeit. Also löst er das Rettungssystem aus. Die Maschine schwebt am Fallschirm in ein Feld. Der 56-Jährige bleibt unverletzt.

Diese oder ähnliche Szenen wiederholen sich immer öfter. Denn nicht nur in der Schweiz müssen Ecolight-Flugzeuge obligatorisch ein Gesamt-Rettungssystem an Bord haben, in allen europäischen Ländern ausser in Grossbritannien ist es Pflicht für sogenannte ultraleichte Maschinen. Auch alle viersitzigen Modelle des Typs SR20/22 des Hersteller Cirrus sind serienmässig mit Rettungssystemen ausgerüstet.

Ihr Einsatzgebiet beschränkt sich aber nicht mehr nur auf Propellerflugzeuge. Selbst der gut 540 km/h schnelle Einstrahler des Typs Vision des US-Herstellers Cirrus hat als erster Business-Jet ein Rettungsgerät in der Rumpfspitze eingebaut. Das ist allerdings ein hochkomplexes Gesamtsystem. Denn bevor der Schirm tatsächlich ausschiesst, überprüft vorher der Bordcomputer, ob Fluglage und Geschwindigkeit das tatsächlich zulassen. Der Computer löst den Fallschirm also möglicherweise erst aus, wenn das Flugzeug nicht mehr zu schnell ist, nachdem der Pilot einen Handgriff gezogen hat. Auch der in der Flugerprobung stehende neue Business-Jet Flaris LAR 01 aus Polen wird über ein Rettungssystem verfügen.

Im Sommer 2019 kam es zur Notlandung einer Cirrus in einem Getreidefeld bei Leipzig. Auch hier hat der alleine fliegende Pilot unverletzt überlebt. (Bild: PD)

Im Sommer 2019 kam es zur Notlandung einer Cirrus in einem Getreidefeld bei Leipzig. Auch hier hat der alleine fliegende Pilot unverletzt überlebt. (Bild: PD)

Mittlerweile haben Rettungssysteme beim eidgenössischen Ecolight und bei Ultraleichtflugzeugen anderer Länder sowie Einmotorigen mit bis zu zwei Tonnen Abfluggewicht weltweit etwa 600 Menschen vor Tod oder schweren Verletzungen bewahrt. Alleine die Systeme des US-Herstellers BRS konnten bis November 2019 bereits 408 Menschen das Leben retten. Das tschechische Unternehmen Galaxy zählt bis jetzt 95 Rettungen von Piloten durch seine Fallschirme, dazu kommen weitere durch Hersteller wie die deutsche Junkers Profly oder die tschechische Firma USH.

Warum wird der Schirm überhaupt ausgelöst? Motorausfall etwa in den Alpen ohne Notlandemöglichkeit kam bereits vor. Dazu Kollisionen in der Luft, entweder mit anderen Maschinen oder Vögeln. Feuer an Bord gab es ebenfalls schon mehrfach. Und eigentlich dürfen Sichtflugzeuge nie in Wolken fliegen. Tun sie es dennoch und verlieren ohne optische Referenz nach aussen im Blindflug die Kontrolle, ist das Auslösen des Schirms oft die einzig verbleibende Option, das Leben zu retten. Ein medizinischer Notfall beim Piloten hat auch schon Passagiere dazu gebracht, das Rettungsgerät per Handgriff auszulösen.

Vater und Tochter an Bord eines Cirrus-Viersitzers mitten über dem Meer im US-Gliedstaat Florida haben ihm wohl ebenfalls ihr Leben zu verdanken. Bei ihnen fiel das Triebwerk aus. Da die Cirrus ein festes Fahrwerk hat, würde eine Notlandung auf dem Meer fast unweigerlich zum Überschlag der schnellen Maschine und zum raschen Volllaufen der dann kopfüber hängenden Kabine führen. Stattdessen lösten die beiden das Rettungssystem aus, setzten relativ sanft auf dem Wasser auf und wurden von einem Kreuzfahrtschiff geborgen.

Der Vision-Jet ist der erste Business-Jet mit integriertem Fallschirmsystem. (Bild: PD)

Der Vision-Jet ist der erste Business-Jet mit integriertem Fallschirmsystem. (Bild: PD)

Ein anderer Pilot konnte am 25. Januar 2015 wegen drohenden Spritmangels auf einem Flug vom US-Gliedstaat Kalifornien über offener See das Ziel, die Insel Hawaii, nicht mehr erreichen. Er meldete den bevorstehenden Notfall der Küstenwache auf Hawaii. Die schickte ihm einen Rettungshelikopter entgegen. Sobald dieser in seiner unmittelbaren Nähe war, betätigte der Pilot das Rettungssystem. Das Flugzeug setzte am Fallschirm hängend relativ sanft auf dem Meer auf. Ein spektakuläres Youtube-Video der Helikoptercrew hielt die dramatischen Momente in allen Details fest. Ein in der Nähe kreuzendes und alarmiertes Schiff nahm den in einer kleinen Rettungsinsel sitzenden Piloten Minuten später auf. Sein Flugzeug war in der Zwischenzeit bereits vollgelaufen und untergegangen.

Für schwere Maschinen sind Rettungssysteme bisher nicht geeignet, da die vom Fallschirm oder von der Flugzeugstruktur auszuhaltenden Kräfte sonst zu gross wären. Zudem hat jedes Rettungssystem auch Nachteile. Es braucht Platz, bringt Mehrgewicht, und das Flugzeug muss konstruktiv auch dafür ausgelegt sein. Eine Boeing oder einen Airbus wird es deshalb wohl nie damit geben. Ausserdem müssen Rettungssysteme in genau definierten Intervallen gewartet werden, anders als etwa der Airbag im Auto. Dann wird beispielsweise die Rakete getauscht, die den Fallschirm im Notfall aus dem Rumpf zieht. Zudem muss dieser je nach Hersteller und Typ meist alle fünf bis sechs Jahre ausgebaut und neu gepackt werden, damit seine Stoffbahnen nicht miteinander verkleben. Der Lebensretter kostet in einem Ecolight je nach Typ und Hersteller etwa 3500 bis 6000 Franken. Allerdings sind mehr als 20 000 Franken fällig, wenn er für einen Viersitzer nachgerüstet werden soll. Das geht bis jetzt nur bei den in der Schweiz weit verbreiteten Modellen Cessna 172 und 182 und einigen Selbstbauflugzeugen, nicht aber bei der ebenfalls populären Piper PA-28.

Der Fallschirm ist allerdings kein Allheilmittel für jede Notlage. Fliegt das Flugzeug bereits zu tief über dem Boden, etwa im Landeanflug, reichen je nach Typ die Höhe oder die Zeit womöglich nicht mehr aus, ihn vor dem Aufprall zu entfalten. Auch wenn das Flugzeug schneller fliegt als die zulässige Geschwindigkeit, für die ein Rettungssystem zugelassen ist, kann es zu einem Versagen des Schirms kommen. Dennoch sind Gesamtrettungssysteme in einmotorigen Propellerflugzeugen mittlerweile weltweit Lebensretter Nummer eins.

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