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Panorama Late Night "Markus Lanz"

Andre Agassi – Wer beichtet, dem wird verziehen

Andre Agassi, damals und heute: der Tennisstar kämpfte mit Drogenproblemen und einem übermächtigen Vater Andre Agassi, damals und heute: der Tennisstar kämpfte mit Drogenproblemen und einem übermächtigen Vater
Andre Agassi, damals und heute: der Tennisstar kämpfte mit Drogenproblemen und einem übermächtigen Vater
Quelle: AFP
Im Gespräch mit Markus Lanz und Studiogast Michael Stich sprach Tennislegende Andre Agassi im ZDF schonungslos über seine Vergangenheit als Drogenabhängiger – und was ihn dazu bewegte, die kontrovers diskutierte Autobiografie "Open" zu schreiben.

Pure Strategie oder einfach nur abgrundtief ehrlich? Der Medienrummel um Andre Agassi geht munter weiter. Schlag auf Schlag, wie in alten Zeiten, lieferte der Rocker unter den Ex-Tennislegenden in den vergangenen Wochen eine Schlagzeile nach der nächsten.

Hatte man eben erst verdaut, dass Agassis Glanzzeit nicht dem Leben entsprach, das er es sich gewünscht hätte, schockt der mähnenlose Tennisprofi sofort mit einer Drogenbeichte der Superlative.

Doch das war erst der Anfang. Die glorreichen Locken waren nur ein Toupet, der Vater ein Choleriker und von den kontroversen Bemerkungen gegenüber Ex-Kollegen Boris Becker fangen wir gar nicht erst an. Andre, eins ist klar: der Medienknall ist dir gelungen.

Doch bleibt es nicht aus, wer sich mit solch einem Aufmarsch zurück in die Medien katapultiert, schockiert nicht nur die Fans, sondern liefert auch ausreichend Stoff für die Kritiker.

Sollte an dieser Stelle das Buch erwähnt werden? Richtig, "Open", die Autobiografie des Spitzenspieler aus vergangen Zeiten ist seit dieser Woche offiziell im Handel erhältlich und outet auf 600 Seiten die oben genannten Erlebnisse des Familienvaters in ausführlicher Form. 600 Seiten Agassi, 600 Seiten wie er war, ist und sein wollte, und 600 Seiten, die es zu promoten gilt.

So erinnerte die Lifeschaltung zu Andre nach Los Angeles, bei der ZDF-Sendung Markus Lanz im Studio Hamburg, für einen kurzen Moment an die Rekapitulation vom Finale der US Open in Jahre 1994. Die gleichen Spieler, anderer Sport. Einzig die Positionierung des Gewinners scheint heute, 15 Jahre nach dem entscheidenden Schlag gegen Michael Stich, auf einer weiteren Ebene neu entschieden zu sein.

Und obwohl es absehbar war, dass die gewohnte, wohlwollende Talkmanier von Moderator Markus Lanz keinen Indikator für wilde Diskussionen liefern würde, war eine leichte Anspannung dennoch spürbar.

Offen und ehrlich, zwanglos und frei, wurden die Zuschauer vor dem Fernseher als auch die Gäste im Studio für knappe 20 Minuten Zeugen der mehr als eindeutigen Argumentation Agassis. Ein Mann, der seine Vergangenheit verarbeitet hat und Verantwortung für das übernimmt, was ihn 12 Jahre lang nicht loslassen wollte, die Wahrheit.

Ständig im Dialog einbezogen, stand Tennisstar Michael Stich im Studio auf deutscher Seite Rede und Antwort. Auf die Frage, wie er zu der späten Drogenbeichte von Freund und Kollege Agassi stehe, reagierte der Wimbledongewinner ambivalent.

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Zum einen sprach er seinem Freund die Hochachtung aus und beglückwünschte ihn zu diesem einzigartigen Schritt der Vergangenheitsbewältigung. Zum anderen kritisierte er den durch Agassi entstanden Imageverlust für die ATP und den Tennissport.

Resolute Ansagen seitens Andre auch auf die Frage nach dem Risiko für sein Handeln: "Natürlich waren ich und auch meine Frau Steffi uns darüber im Klaren, welches Risiko ich mit diesem Schritt eingehe. Aber die Vergangenheit lässt sich nicht wegdiskutieren. Ich wollte offen und ehrlich sein und vor allem jenen Menschen helfen, die heute unter dem gleichen Druck funktionieren müssen, wie ich damals. Und wenn der Preis darin besteht, dass ich für mein Handeln verurteilt werde, dafür aber anderen helfen kann, zahle ich diesen Preis sehr gerne.“

Doch worum geht es wirklich? Ist Agassi tatsächlich die erste Person im Diskurs über Drogen und Sport in der heutigen Gesellschaft? Oder gibt er dem längst existierenden Problem endlich ein Gesicht, schafft Platz für Fragen und Diskussionen und stellt allen voran die Wahrheit über einen Sport, der eben mehr abverlangt als einfach nur ‚überdurchschnittlich’ zu sein.

Tatsache ist, beide Spitzensportler hatten und haben ihr Standing in der Medienwelt und zeigen Verantwortung. Stich, nach wie vor der Saubermann des Tennissports, nutzte seine Popularität und gründete 1994 die Michael-Stich-Stiftung.

Eine mildtätige und gemeinnützige Organisation, die sich erfolgreich für HIV-Infizierte, Betroffene und AIDS erkrankte Kinder einsetzt. Und spätestens seit 2007, als Steffi Graf und Ehemann Andre Agassi mit dem Deutschen Medienpreis für besonderes soziales Engagement ausgezeichnet wurden, dürfte jedem Bürger bewusst sein, dass beide Parteien ihre Stellung als Multiplikatoren in der Öffentlichkeit mehr als professionell genutzt haben.

So konnte auch gestern Abend weder ein Markus Lanz, noch ein Michael Stich oder gar der musikalische Höhepunkt des Abends, Geigenspieler David Garrett einen passenden Kodex liefern, der künftigen Spitzenkandidaten als Leitfaden dienlich wäre.

Aber Fakt ist, das Netzwerk aus Geheimnissen um den ehemaligen Spitzensportler mit der Supermähne ist definitiv geplatzt. Der Mann welcher acht Grandslam-Titel erkämpfte, zerstörte die Maschine die er einst war, stand nach 13 Jahren auf und fordert seine Rechte als Mensch. Die Relevanz des Wortes ‚Strategie’ verliert sich demnach im Diskurs.

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Andre Agassi hat gebeichtet. Das tun Menschen seit Jahrhunderten. Früher gingen sie dafür in die Kirche, heute tun sie es im Fernsehen. Aber eines hat sich bis dato nicht geändert: „Wer beichtet, dem wird verziehen!“

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