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Kalifornien: Erdbebenforschung 2.0

Foto: AFP

Einzigartiges Projekt in Kalifornien Bebenforscher rüsten sich mit Twitter und Volks-Seismografen

Mein Haus, mein Auto, mein Seismograf - in Kalifornien suchen Forscher Freiwillige, die Bebenmessgeräte in ihrem Keller installieren. Via Internet werden die Messdaten gesammelt. Auch Twitter-Nachrichten sollen helfen, Epizentren zu lokalisieren und binnen Sekunden Alarmsysteme zu aktivieren.

Von japanischen Verhältnissen können kalifornische Erdbebenforscher nur träumen. In dem Land existiert ein dichtes Netz von Seismografen, das jede kleine Erschütterung sofort an Zentralcomputer weiterleitet. Diese werten die Daten vollautomatisch aus - und können vor einem schweren Beben warnen, das in den folgenden zehn Sekunden stattfinden wird.

Über ein solches Frühwarnsystem verfügt Kalifornien bisher nicht. Unter anderem mangelt es an Seismografen und an ausgefeilten Modellen, um binnen weniger Sekunden entscheiden zu können, ob ein schweres Beben außerhalb San Franciscos die Stadt ernsthaft bedroht oder nicht.

Um genauer zu verstehen, welche Folgen ein Beben in der dicht besiedelten Bay Area um San Francisco haben kann, suchen Wissenschaftler vom US Geological Survey USGS derzeit nach Bürgern, die einen Seismografen in ihrer Garage oder ihrem Keller aufstellen möchten. Netquakes  heißen die Geräte, die kaum größer sind als ein Aktenkoffer und mit Beschleunigungssensoren bestückt sind. Via Internet werden die Messdaten zur USGS-Zentrale in Menlo Park südlich von San Francisco übertragen.

In Kalifornien sind jederzeit schwere Erdbeben möglich. Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass in der Bay Area rund um San Francisco in den nächsten 30 Jahren ein Beben der Stärke von 6,7 oder höher auftritt, liegt bei 63 Prozent. Rund um Los Angeles sind es 67 Prozent. Für Kalifornien insgesamt beträgt die Wahrscheinlichkeit sogar 99,7 Prozent.

3000 Dollar kostet der Volksseismograf, der beispielsweise an das Betonfundament eines Hauses geschraubt wird und seinen Strom aus der Steckdose bezieht. Ein integrierter Akku liefert für 36 Stunden Energie im Falle eines Stromausfalls. Wenn Netquakes keine Daten mehr an die USGS-Zentrale liefern kann, weil die Verbindung gestört ist, werden die Messdaten im Gerät zum späteren Auslesen zwischengespeichert.

Mechanik von Beben besser verstehen

Die Seismologen erhoffen sich von dem Netquakes-Projekt eine große Menge qualitativ hochwertiger Daten zu minimalen Kosten. Einige Dutzend Geräte sind bereits installiert. Auf einer Karte können sich Interessenten informieren , ob ihr Haus in einem Bereich liegt, wo der USGS bisher keinen Seismografen aufgestellt hat.

Die Daten sollen unter anderem helfen, drohende Schäden an Gebäuden besser abschätzen und vorhersagen zu können. Dazu benötigen die Forscher möglichst detaillierte Informationen über die Mechanik von Beben. Sie wollen wissen, wie die Erde an jedem einzelnen Messpunkt gewackelt hat.

Der Volksseismograf ist aber nur eine Idee der Wissenschaftler, Bürger in die Forschungsarbeit mit einzubeziehen. Auch Twitter-Nachrichten wollen die Forscher per Filter-Software gezielt durchforsten, um frühzeitig Details von Erdbeben erfahren zu können. Twitter Earthquake Detection (kurz USGSted)  - heißt das Projekt, das Paul Earle und James Luetgert vom USGS jetzt auf dem Herbsttreffen der American Geosciences Union (AGU) in San Francisco vorgestellt haben.

Die Betroffenen werden Beben binnen Sekunden twittern, davon sind die Wissenschaftler überzeugt. Vor allem in Regionen mit nur wenigen Seismografen dauere es dagegen eine Weile, bis Wissenschaftler mithilfe des weltweiten Netzes an Messstationen ein Beben genau lokalisiert hätten. In diesen Fällen könne sich Twitter als der schnellere Informationskanal erweisen. Bei dem Projekt geht es auch darum, Bebenschilderungen aus erster Hand zu sammeln.

Frühwarnsystem in Pilotphase

Wie aber steht es um ein Frühwarnsystem für Kalifornien? Geologen halten es für möglich, ein solches System in den kommenden Jahren zu installieren. Seit August 2009 läuft eine dreijährige USGS-Studie, in der das California Integrated Seismic Network (CISN) ShakeAlert System aufgebaut werden soll. Das Pilotsystem solle zunächst einer kleinen Testgruppe wie Katastrophenschützern und Verkehrsunternehmen Warnungen weiterleiten. In der Testphase solle es keine öffentlichen Warnungen geben, teilte das Team von USGS-Forscher David Oppenheimer auf dem AGU-Treffen mit.

Derartige Frühwarnsysteme gibt es nicht nur in Japan, sondern auch in Taiwan und Mexiko. Sie nutzen die Tatsache, dass Verdichtungswellen (P-Wellen) sich schneller bewegen als sogenannte Scherwellen (S-Wellen), die für die schlimmen Schäden verantwortlich sind. In der kurzen Vorwarnzeit können Fahrstühle gestoppt oder Gasleitungen geschlossen werden.

Die Länge der Vorwarnzeit liegt im Bereich von einigen wenigen bis zu Dutzenden Sekunden - je nach Entfernung zum Epizentrum. Im Epizentrum selbst ist eine Frühwarnung nicht möglich.