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Geozentrismus: Die Erde im Mittelpunkt

Foto: STRINGER/ITALY/ REUTERS

Religiöse Astronomie Und sie bewegt sich doch nicht!

Die Kirche hatte Recht, und Galilei lag falsch: Einige christliche Astronomen halten die Erde nach wie vor für das unbewegliche Zentrum des Universums. Im November treffen sich die Fans des geozentrischen Weltbilds in den USA - und sorgen bereits jetzt für Kopfschütteln unter Forschern.

Ein Wissenschaftler muss immer wieder zweifeln, das Unmögliche denken, alles in Frage stellen. Nur dann kann er sich prüfen, ob er der Wahrheit auf der Spur bleibt - Irrwege sind dabei nicht ausgeschlossen. Und so gibt es immer wieder Forscher, die gegen den Mainstream schwimmen und Meinungen vertreten, für die sie von ihren Kollegen belächelt werden. Vielleicht aus gutem Grund - womöglich aber auch zu Unrecht.

Sonnensystem

Zu den absoluten Außenseitern zählt zweifellos Robert Sungenis. Der Theologe aus Buffalo im US-Bundesstaat New York veranstaltet am 6. November bei Chicago eine Tagung, auf der die heute praktisch unbestrittenen Modelle von und Universum grundsätzlich in Frage gestellt werden sollen. "Galileo irrte sich: Die Kirche hatte Recht"  heißt der kleine Kongress, zu dem sich zehn Vortragende angekündigt haben.

Urknall

Sungenis ist eine Art Missionar. Der Katholik will den weit verbreiteten Glauben an den erschüttern - obwohl die meisten Wissenschaftler an den Ereignissen zu Beginn unserer Welt nicht den kleinsten Zweifel haben und sie längst für praktisch bewiesene Fakten halten. Für den Theologen hingegen ist die Erde sowohl der Mittelpunkt des Sonnensystems als auch des gesamten Universums.

Sonne

Demzufolge hat Papst Johannes Paul II. einen Fehler gemacht, als er 1992 rehabilitierte. Die Heilige Inquisition hatte dem Forscher aus Pisa im 17. Jahrhundert den Prozess gemacht, nachdem dieser behauptet hatte, dass die Erde um die kreist und nicht umgekehrt. 1633 musste Galilei seinem "Irrtum" abschwören, um dem Tod auf dem Scheiterhaufen zu entgehen. Angeblich habe er beim Verlassen danach gemurmelt: "Und sie bewegt sich doch!"

Einstein und Hawking als Zeugen

Planeten

Sungenis ist überzeugt, dass das Sonnensystem ganz anders aussieht als die meisten Wissenschaftler glauben. "Am wahrscheinlichsten ist das Modell von Tycho Brahe ", erklärt der Theologe. "Die bewegen sich um die Sonne, und die Sonne bewegt sich um die Erde." Die Erde sei bewegungslos im All, und bilde dessen zentralen Punkt, womöglich sogar den Schwerpunkt des Universums.

Albert Einstein

Stephen Hawking

Geschickt reiht der Amerikaner in seinem Buch "Galileo was wrong: The Church was right" Zitate von großen Wissenschaftlern aneinander, auch wenn diese nur in einem Nebensatz erwähnen, dass man glauben könnte, wir Menschen befänden uns im Mittelpunkt des Universums. Von Edwin Hubble über bis zu - sie alle werden unfreiwillig zu Zeugen für ein Weltbild, in dem die Erde und damit die Schöpfung Gottes das absolute Zentrum bildet.

Relativitätstheorie

Die Konsequenzen eines solchen geozentrischen Modells  stehen für Sungenis fest: Es kann keinen Urknall gegeben haben, wenn die Erde sich regungslos im Zentrum des Universums befindet. Er beruft sich dabei auf die gleichen Experimente und Beobachtungen, die letztlich zur Albert Einsteins führten, nur interpretiert er sie anders.

Beispiel: das Michelson-Morley-Experiment  von 1887. Dabei ging es um die Frage, ob es einen Äther gibt, in dem sich Licht mit konstanter Geschwindigkeit ausbreitet - ähnlich wie Schallwellen in Wasser. Schon damals waren viele Forscher vom heliozentrischen Weltbild  überzeugt, bei dem die Erde mit 30 Kilometern pro Sekunde um die Sonne kreist. Dann müsste sich jedoch die Relativgeschwindigkeit von Erde und Äther im Laufe einer Sonnenumkreisung ändern. Also dürfte das Licht für ein und dieselbe Strecke unterschiedlich viel Zeit benötigen. Das Experiment ergab jedoch, das die Lichtgeschwindigkeit unveränderlich war, egal auf welchem Punkt der Umlaufbahn um die Sonne die Erde war.

"Die meisten haben Einsteins Sicht verworfen"

Das Denkgebäude der Physiker braucht also keinen Äther, folgerte Einstein - weil die Lichtgeschwindigkeit konstant ist. So entstanden die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie. Sungenis interpretiert das Ergebnis hingegen als klares Indiz dafür, dass die Erde sich keinen Millimeter um die Sonne bewegt. "Die meisten Wissenschaftler haben heute Einsteins Sicht verworfen", schreibt er. Sie würden nach und nach begreifen, dass der Raum nicht aus Nichts bestehe, sondern sehr wohl eine Substanz enthalte, die bis an die Außengrenzen reiche.

"Die Äther-Theorie ist längst widerlegt durch die Relativitätstheorie", sagt Jakob Staude vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Diese sei eine der erfolgreichsten physikalischen Theorien aller Zeiten. "Ihre Aussagen sind mit sehr hoher Präzision verifiziert."

"Die heutigen Geozentriker bestreiten die Evidenz uralter, längst verstandener Experimente", erklärt Staude. Die interplanetare Raumfahrt sei der tägliche Beweis für die Richtigkeit des heliozentrischen Systems. "Die Erde kann die Sonne nicht in einer Umlaufbahn halten, genauso wie eine Ameise keinen Hammer werfen kann."

Das Zentrum des Universums, in dem sich die Erde angeblich befinden soll, gibt es nach Staudes Aussage gar nicht. "Das Universum hat keine Mitte im dreidimensionalen Raum", sagt er im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Das sei analog zur Oberfläche einer Kugel, die auf ihrer zweidimensionalen Oberfläche keine Mitte habe. "Wir stehen im Mittelpunkt des beobachtbaren Universums, denn wir können in alle Richtungen gleich weit sehen", betont der Astronom. So entsteht der Eindruck, dass die Erde der Mittelpunkt des Alls sei. Der Horizont habe einen Radius von 13,7 Milliarden Lichtjahren. "Licht aus größerer Entfernung kann uns noch nicht erreicht haben, es ist noch unterwegs. Denn der Urknall, mit dem unsere Welt begonnen hat, fand vor 13,7 Milliarden Jahren statt."

Moderne Geozentriker wittern hinter dem Wissenschaftsbetrieb von heute hingegen eine Verschwörung. Wichtige Informationen würden ignoriert, totgeschwiegen oder verschleiert. "Die ehrlichen Forscher erkennen in ihren Büchern den Geozentrismus an, sie gestehen jedoch zugleich, dass sie das Modell aus philosophischen Gründen nicht akzeptieren können", meint Robert Sungenis. "Selbst wenn wissenschaftliche Beweise für den Geozentrismus sprechen, wollen ihn die Wissenschaftler nicht akzeptieren, denn sie müssten dann eingestehen, dass das Universum nicht zufällig entstanden ist."

Bis in die großen Wissenschaftsmetropolen wie New York, Boston oder London ist der katholische Theologe freilich noch nicht vorgedrungen. Der Kongress "Galileo irrte sich: Die Kirche hatte Recht" , Sungenis rechnet mit bis zu 190 Teilnehmern, findet in der amerikanischen Provinz statt: in South Bend, einer kleinen Stadt im Bundesstaat Indiana.

Die Offiziellen der Katholische Kirche, freilich, haben auch noch nicht endgültig ihren Frieden mit Galileo Galilei gemacht. Das zeigte sich 2009 im Jahr der Astronomie. Ursprünglich sollte der Astronom eine Statue im Vatikan bekommen. Doch schließlich rückte man von der Idee wieder ab. Statt des angekündigten Denkmals gab es nur einen Gottesdienst zu Ehren Galileis.