Wirtschaftsbücher Das Geschäft mit der Angst

Wer derzeit einen Blick ins Bücherregal der Buchhändler wirft, sieht die düstere Zukunft der Weltwirtschaft. Die ökonomische Literatur des Frühjahrs prognositiziert das Ende des Eigentums, den Untergang des Westens und den Tod der bisherigen Wirtschaftsordnung. Der populäre Pessimismus wird zum Verkaufsschlager.

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Nicht nur an der New Yorker Börse breitet sich die Angst aus. Quelle: Reuters

ERDING. In der Not klammert sich ein Ertrinkender an jeden Strohhalm. So heißt es im Volksmund. Das gilt auch für die Wirtschaftsbuchverlage, deren Situation sich im letzten Jahr weiter verschlechtert hat. Im Zentrum der Krise steht vor allem das populäre Sachbuch. Die Verkäufe und damit die Auflagen sinken, die Zeit der großen Bestseller scheint im Moment vorbei zu sein. Noch schlimmer: Die meisten Bücher dümpeln am Rande der blitzlichternden Aufmerksamkeitsökonomie. Sie sind kaum sichtbar und wenig bis gar nicht ins soziale Zeitgespräch einbezogen. Wirtschaftsbücher sind eben nur Bücher zweiter bis dritter Klasse, heißt es vielerorts bräsig.

Diese Haltung färbt offenbar ab. Nur noch wenige Wirtschaftssachbücher schaffen es in die Regale und auf die Verkaufstische. Beim Stöbern in den Wirtschaftsbuchabteilungen der großen Buchhandelsketten hat man mittlerweile den Eindruck, dass die gesamte Produktion der Branche nicht mehr als zwei Handvoll Bücher umfasst. Und oft findet man diese Bücher nur im obersten Stockwerk oder im letzten Winkel.

Man könnte den Verlagen unterstellen, sie würden nur noch langweilige, uninteressante Bücher herausbringen, die eben deshalb keine Käufer mehr finden. Doch das ist zu kurz gedacht, denn auch in diesem Frühjahr sind Qualität und Heterogenität der Erörterungslagen nicht übel. Bei Durchsicht der Vorschaukataloge ist man eher erstaunt über die Vielfalt und Qualität der angebotenen Bücher. Doch wie bringt man sie an den Leser?

Mit einem alten Bauerntrick. Das Geschäft mit der Angst soll es richten. In den Nachwirren der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise setzen die Wirtschaftsbuchverlage auf Ende und Untergang jener Wirtschaftsrealität, die wir bisher als Globalisierung, Kapitalismus und Weltwirtschaft bezeichnet haben. Ganz nach dem Motto: Wenn nicht mehr mit Angst, mit was sonst sollen wir die Leute zum Buchkauf motivieren? Der Panikregler wird aufgedreht, die kapitalistische Wirtschaft wird als gigantische Fehlentwicklung der Menschheit entlarvt. Parallel dazu werden einige ideologische Süppchen aufgekocht, die doch eigentlich längst von der Speisekarte gestrichen wurden.

So treffen wir alte Bekannte wieder. Zum Beispiel den amerikanischen Literaturwissenschaftler Michael Hardt und den Philosophen Antonio Negri, der in Italien leider immer noch von vielen als geistiger Brandstifter der Roten Brigaden stigmatisiert wird. Vor acht Jahren haben die beiden unter dem Titel "Empire" von einer kommenden Weltordnung geschrieben, die alle Menschen durchdringen und an die Ketten legen wird. Flucht unmöglich.

Jetzt heben sie zu einem weiteren Abgesang auf den globalen Kapitalismus an und skizzieren in "Common Wealth" eine gerechte Gesellschaft auf der Idee des gemeinsamen Besitzes von Ressourcen wie Wasser und Luft sowie Wissen und Information. Jenseits von Profit, Ellenbogen und Besitzdenken. Ins alte Horn stößt auch der amerikanische Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. Falsche Anreize, entfesselte Märkte und eine ungerechte Reichtumsverteilung hätten die Welt an den Abgrund geführt.

Es geht auch zeitgemäßer und konkreter. Zum Beispiel bei dem kanadischen Ökonomen Jeff Rubin. Sein Buch heißt: "Warum die Welt immer kleiner wird". Er glaubt, dass die zu starke Ausbeutung der Ressourcen der Globalisierung bald ein Ende bereiten und ein neues prosperierendes Zeitalter anbrechen wird. Der Grund: Energie, zumindest Erdöl, wird immer teurer, man schaue auf die Peak-Oil-Debatte. Und deshalb werden die davon abhängigen Industriezweige ein Kostenproblem bekommen, das sie nicht in den Griff kriegen werden. Rubins These: "Teures Öl bedeutet das Aus für das Leben, wie wir es kennen - doch vielleicht war dieses Leben ohnehin nicht gar so großartig. Smogverseuchte Städte, globale Klimaerwärmung, Ölteppiche und andere Umweltschäden sind allesamt Folgen von billigem Öl." Die Globalisierung legt also den Rückwärtsgang ein. Lokale Produkte werden wieder stärker unsere Märkte prägen. Die heimische Wirtschaft wird aufblühen, so Rubin. Sein Rat: "Stellen Sie sich auf eine kleinere Welt ein! Schon bald werden Ihre Lebensmittel von einem Acker in Ihrer Nähe kommen, und die Dinge, die Sie kaufen, werden eher von einer Fabrik im Ihrem Heimatort produziert als am anderen Ende der Welt." Wenn das kein Neuanfang ist.

Das große Geschäft erhoffen sich die Verantwortlichen des Campus-Verlages von Nouriel Roubini, dessen neues Buch im Mai mit einer Startauflage von 50 000 Stück ins Rennen geschickt wird. Roubini wird gerne als "Dr. Untergang" bezeichnet, der im zweijährigen Rhythmus nationalökonomische Havarien voraussagt. Armin Reller wiederum, der an der Universität Augsburg Professor für Ressourcenstrategie ist, ist eine satisfaktionsfähige Größe. Er beeindruckt in "Wir konsumieren uns zu Tode" allerdings nur mit einer längst bekannten Verschwörungstheorie. Unser Lebensstil zerstöre unsere Lebensgrundlagen, schreibt er. Alter Inhalt mit neuer Verpackung.

Eine sehr interessante Persönlichkeit ist Dambisa Moyo. Die 40-jährige Ökonomin aus Sambia, die bis vor kurzem bei der Investmentbank Goldman Sachs gearbeitet hat, ist neben James Shikwati die wichtigste afrikanische Entwicklungshilfekritikerin. In ihren Schriften weist sie eindrucksvoll nach, weshalb Afrika aufgrund der Entwicklungshilfe heute ärmer ist als noch vor 50 Jahren. "Lebten damals nur zehn Prozent der Einwohner unter der Einkommensgrenze von zwei Dollar, sind es heute 70 Prozent. Während der letzten 30 Jahre sank das Wirtschaftswachstum jährlich um 0,2 Prozent."

Jetzt aber dreht sich der Wind - das eigentliche, unsichtbare Drama heißt: der Untergang des Westens. Seit Jahren produziere der Westen immer weniger, die Innovationen finden längst anderswo statt. Für Afrika sieht Moyo Licht am Horizont: "Auf mittlere Sicht wird die Entwicklungshilfe sinken, und Afrika kann endlich seine eigene Strategie für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum abstecken." Ein provozierendes Buch, das wir aufmerksam lesen sollten.

Fazit: In der umkämpften Nische des populären Wirtschaftssachbuchs soll die eigene Krise mit Krisenbüchern bewältigt werden. Dafür wurde in teure Auslandslizenzen investiert, die wiederum höhere Übersetzungs- und Herstellkosten nach sich ziehen. Das erhöht den Erfolgsdruck.

M. Hardt, A. Negri: Common Wealth. Das Ende des Eigentums

Campus, Frankfurt 2010, 437 Seiten, 34,90 Euro

Jeff Rubin: Warum die Welt immer kleiner wird. Öl und das Ende der Globalisierung

Hanser, München 2010, 282 Seiten, 19,90 Euro

Nouriel Roubini: Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft

Campus, Frankfurt 2010, 352 Seiten, 24,90 Euro (lieferbar ab 11. Mai)

Armin Reller: Wir konsumieren uns zu Tode

Westend, Frankfurt 2010, 240 Seiten. 14,95 Euro (lieferbar im August)

Dambisa Moyo: Der Untergang des Westens

Piper, München 2010, 288 S., 19,95 Euro (ab 7. Juni)

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