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Was Hans Magnus Enzensberger gegen Abkürzungen hat

Literarischer Korrespondent
Vorsicht vor künstlicher Intelligenz: Hans Magnus Enzensberger warnt Vorsicht vor künstlicher Intelligenz: Hans Magnus Enzensberger warnt
Vorsicht vor künstlicher Intelligenz: Hans Magnus Enzensberger warnt
Quelle: picture alliance / dpa
Ist die Verwendung von kryptischen IT-Abkürzungen ein Symptom des Kulturverfalls? Im jüngsten „Spiegel“ geißelt Hans Magnus Enzensberger „Elektronik als Massenbetrug“. Aber was ist daran neu?

Ende 1999 zitterte die Welt vor dem Millenniumscrash. Die rasante technologische Entwicklung der Neunziger hatte damals schon allerlei apokalyptische Naherwartungen freigesetzt: Die Wirklichkeit werde komplett virtuell, der Mensch durch Cyborgs und der Weltgeist durch künstliche Intelligenz ersetzt.

Kurzfristig fürchtete man, die Jahreszahlumstellung werde weltweit die Computer abstürzen lassen oder gleich die ganze Menschheit per irrtümlichem Atomschlag vernichten. Y2K-Bug hieß das damals fachchinesisch, wie die Zukunftsangst überhaupt irgendwie mit dem allgemeinen Sprachverfall zusammenhing: Die Fantastischen Vier hatten 1999 den Hit „MfG“, dessen Strophen aus der Aufzählung von Abkürzungen bestanden: „ARD, ZDF, C&A / BRD, DDR und USA / BSE, HIV und DRK / GbR, GmbH – ihr könnt mich mal“.

Benutzer heißen hier User

An diese zwar sinnfreien, aber kulturkritisch klingenden Lyrics fühlt man sich bei der Lektüre des neuen Enzensberger-Essays im „Spiegel“ erinnert: „Auf den Benutzer, der den Namen User führt, prasseln immer neue Abkürzungen herunter: VGA, WXGA, DDR3L, DIMM, SATA, HDMI und so weiter. In der Branche gilt Unaussprechliches als Vorzug: ITK, CFI, DDoS, SXSW …“

Enzensberger vermutet hinter diesen unverständlichen und unaussprechlichen Kürzeln eine perfide Manipulationsstrategie der Großkonzerne. Die „IT-Branche“ ist es, die uns mit ihren „Stummelwörtern“ in Unmündigkeit hält. Um es mit den Fanta 4 zu sagen: „PVC, FCKW – is nich o.k.“

Feindbild Reklame

Den intellektuellen Einmanngroßkonzern Hans Magnus Enzensberger, Brancheninsidern auch als HME bekannt, stören eine Menge Dinge, die schon in den Neunzigern No-Gos waren: die KI (ein Kürzel, hinter dem „die künstliche Intelligenz lauert“), die Cyborgs („ein Schachtelwort, das ausgeschrieben Cybernetic Organism heißt“), die immer kürzeren Produktzyklen („infam“) und die „Reklame“ – ein Übel, dem schon die Dichterkollegin Ingeborg Bachmann in den Fünfzigern ein immer noch mittelstufentaugliches Gedicht widmete („ohne sorge sei ohne sorge …“), nur ein Jahr bevor Enzensberger seinen epochalen Band „Verteidigung der Wölfe“ veröffentlichte.

Ein Hoch also auf die guten alten Zeiten des vordigitalen Literaturbetriebs. Als die Buchwelt noch technik-, herrschafts- und stummelwörterfrei war. Als HME noch der APO nahestand. Als MRR oder FJR im LCB oder der AdK die neuesten HCs von KiWi, HoCa und der DVA diskutierten.

Josef K. und Christa T.

Später kamen die Stipendiaten des DAAD hinzu, Menschen, denen man nicht groß erklären musste, wer Josef K., Christa T. oder „der neue W.“ ist. Die Thomas Pynchons „V“ (rororo) oder Georges Perecs „W“ (aus der BS) auf dem Nachttisch liegen hatten, mit klugen, jedermann verständlichen Worten auf der U4. Als der Bachmann-Preis noch nicht TDDL hieß. Und der P.E.N. noch etwas zu sagen hatte.

Wir von der LW sind natürlich von Natur aus solidarisch mit solch kulturpessimistischen Betrachtungen, halten uns aber lieber an einen anderen großen Gesellschaftskritiker, der im Gedicht „Vom armen B.B.“ schrieb: „Wir wissen, dass wir Vorläufige sind / Und nach uns wird kommen: nichts Nennenswertes“.

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