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Kultur

„Keine Science Fiction. Leider“

Filmredakteur
Der vierte „Bourne“-Film malt ein Bild der totalen Überwachung. Ein Gespräch mit dem Drehbuchautor Tony Gilroy

Der Drehbuchautor Tony Gilroy (geb. am 11. September! 1956) ist der Hauptarchitekt der Überwachungsparanoia im modernen Kino. Nach Büchern zu den ersten drei „Bourne“-Filmen hat er beim vierten auch die Regie übernommen.

Die Welt:

Wie überwachungsparanoid sind Sie? Schalten Sie Ihr Handy ab, damit nicht jede Verbindung registriert wird? Benutzen Sie Pretty Good Privacy bei Mails?

Nein, aber mir passt dieser Gedanke des Nachverfolgens überhaupt nicht. Aber bei mir wäre eine andere Gefahr viel größer.

Welche?

Ich müsste mehrere Such-Accounts anlegen, denn ich recherchiere sehr viel im Netz. Bei meinen Suchbegriffen wäre ich sehr überrascht, wenn diese Matrix nicht aufgefallen wäre. Es gibt Algorithmen, die auf sensitive Begriffe reagieren: Wenn du nur einen verwendest, kommst du in eine niedere Überwachungsstufe, und mit jedem Zusatzbegriff wirst du verdächtiger. Aber wahrscheinlich lässt sich die Menge an Informationen von den Überwachern gar nicht verarbeiten.

Wie viel von dem in den vier „Bourne“-Filmen ist technische Realität?

Das Verfolgen und Auffinden von Menschen, die Krisenstäbe, die Überwachung – das ist nichts Besonderes mehr. Ich wünschte, die Technik in unseren Filmen wäre Science Fiction. Sie ist es nicht.

Reden wir über eine spezielle Sequenz: Die beiden Helden begeben sich auf den Weg auf die Philippinen - und die Überwacher, die keine Ahnung haben, wie sie aussehen, wie sie heißen oder wohin sie fliehen, haben neunzig Minuten, um sie zu finden. Und finden sie. Ist das realistisch?

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Durchaus. Was sie am Anfang haben, ist die Silhouette eines Wagens – und von da an zeigen wir in absolut logischen Schritten, wie sie darauf kommen, dass Jeremy Renner und Rachel Weisz in einem Flugzeug nach Manila sitzen.

Hat der Krisenstab wirklich Zugang zu sämtlichen Überwachungskameras, die in Amerika hängen?`

Keinen direkten. Aber er kann ihn sich verschaffen. Er kann z.B. sämtliche Bilder von Mautstellen der Autobahn von Wilmington nach Philadelphia verlangen - und bekommt sie in kürzester Zeit.

Mautstellen sind hoheitliche Einrichtungen. Was ist mit den Kameras in privaten Parkhäusern? Oder Einkaufszentren?

Auch von dort gibt es eine Schaltung in den Krisenraum, wenn der es will. Um die Ecke von wo ich wohne, hat sich kürzlich ein Mord ereignet. Binnen weniger Stunden klingelte die Polizei bei mir, der ich keine Kamera vor dem Haus habe. „Ihr Nachbar hat eine Kamera, ist aber nicht daheim“ sagten die Polizisten. „Wissen Sie, wie wir an seine Bilder kommen?“ „Das ist eine Kameraattrappe“ habe ich ihnen gesagt. „Aber meine Nachbarin auf meiner anderen Seite hat eine Kamera installiert, die nicht sichtbar ist. Gehen Sie doch zu der.“ So funktioniert das.

Auch das Filmgeschäft ist zu einem Teil der Sicherheitsindustrie geworden…

Ohne Zweifel. Jeder Schritt des Filmemachens wird inzwischen von einem Sicherheitsprotokoll begleitet.

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Wie kann man sich das vorstellen?

Nehmen Sie das Drehbuch. Niemand bekommt es. Wenn ich mit Schauspielern proben will, kann ich es denen nicht geben, nicht einmal eine Szene. Ich muss eine Scheinszene proben. Ich habe 40 Seiten Drehbuch nur zur Täuschung geschrieben! Anfangs dachte ich, das werfe ich an einem Wochenende hin. Pustekuchen! Ich habe gemerkt, dass ich eine Idee für einen neuen Film brauche und meine Scheinszenen all die Intensität „richtiger“ Szenen haben müssen.

Wie sollen Schauspieler so überhaupt wissen, ob ihnen die Rolle gefällt?

Jeremy Renner war in Berlin. Also haben wir einen Boten ins Flugzeug gesetzt, ihn über den Ozean nach Berlin fliegen und Jeremy im Hotel aufsuchen lassen. Während Jeremy das Drehbuch las, saß der Bote vor dem Zimmer. Danach nahm er das Skript wieder in Empfang und flog zurück nach New York. Dort kam es wieder in den Tresor.

Völlig irre.

Was tat Christopher Nolan bei „Batman“? Was tut Zack Synder beim neuen „Superman“? Wir alle reden und tauschen Tipps: Wie mache ich einen Riesenfilm und halte Inhalte geheim?

Andererseits lässt sich das Drehbuch zu „Django Unchained“, dem neuen Tarantino, der Anfang nächstes Jahr ins Kino kommt, schon seit Monaten im Netz lesen. Absicht oder ein Leck?

Ich weiß es nicht. Es gibt eine dritte Möglichkeit: Es ist gar nicht das richtige, sondern ein Lockvogelskript.

Zumindest liest es sich sehr tarantinoesk. Und: Bei den „Inglourious Basterds“ geschah das gleiche – und der Film stimmte mit dem zirkulierenden Skript dann überein.

Es herrscht eine neue Dynamik im Filmgeschäft. Und jeder geht mit einer anderen Motivation an seinen Film heran. Ich jedenfalls kann kein Drehbuch schreiben, wenn ich das Gefühl habe, dass mir 100.000 Leute über die Schulter schauen.

Hat „Bourne-Vermächtnis“ bis zur Premiere alle Geheimnisse bewahrt?

Absolut alle. Auch von „Batman“ und „Prometheus“ ist nichts herausgedrungen. Es ist merkwürdig. Als ich als Autor begann, wollte ich nichts sehnlicher, als dass die Leute meine Skripte lasen. Heute haben wir den Punkt erreicht, dass fast niemand mehr dein Drehbuch lesen darf.

Der erste Film, der diese von Satellitenüberwachung thematisierte, war „Staatsfeind Nr. 1“ von Tony Scott…

… an dem ich auch mitgearbeitet habe.

Aber Sie stehen nicht im Vorspann!

Ich habe drei Wochen daran gearbeitet, einiges eingebracht, auch viel gelernt. Der Produzent Jerry Bruckheimer besitzt Zugang zu einer Menge Leuten, zu denen man sonst keinen Zugang bekommt.

Weil Bruckheimer viele Filme drehte, für die das US-Militär Flugzeuge und Schiffe bereit stellte und dementsprechend positiv dargestellt wurde?

Nein. Ein Beispiel. Ich habe einen Film namens „Lebenszeichen“ geschrieben, wo es um das Kidnapping-Business ging, mit Russell Crowe. Nun gibt es in London eine Riesenfirma namens „Control Risk“, die sich weltweit mit Sicherheitsrisiken beschäftigt. Die reden nie mit Reportern. Mit mir haben sie geredet, denn ich habe ihnen versprochen: „Ihr könnt mich belügen. Ihr braucht nicht reale Ereignisse verraten. Ihr dürft Geschichten erfinden. Alles was ich will, ist eine Vorstellung davon, wie euer Geschäft läuft.“

Jeder liebt, über den Beruf zu reden.

Und wie! Erinnern Sie sich an „Extrem… mit allen Mitteln“ mit Gene Hackman als Arzt? Es ging um neurologische Experimente an Menschen, und bei der Vorher-Recherche wurde mir ein bestimmter Chirurg als Gesprächspartner empfohlen. Nach vielen Anläufen erklärte er sich zum Gespräch bereit, erschien aber mit einem halben Dutzend Pagen, die dauernd piepsten; „Sie haben fünf Minuten“, sagte er. Ich skizzierte ein Szenario: Wenn er 300 Millionen zur Verfügung habe, einen Durchbruch im Nachwachsen von Nerven und zwanzig Patienten zum Experimentieren – was für ein Programm würde er dann beginnen? Wie hat er reagiert? Er stellte alle Pager ab und besprach zwei Kassetten mit seinem „Programm“!

Haben Sie „Bourne-Vermächtnis“ Überwachungs-Profis gezeigt?

Eine Freundin, die tief in diesen Dingen drin steckt, hat mir eine E-Mail geschickt. Sie mochte den Film sehr.

Ein Normalzuschauer dürfte weniger „mögen“ als sich gruseln.

Ich war am 11. September in New York. Ich liebe die Stadt. Ich möchte meine Familie sicher wissen. Andererseits bin ich ziemlich verwirrt ob all der Dinge, die im Namen meiner „Sicherheit“ angestellt werden. Und frage mich, ob ich wirklich so viel Angst haben sollte. Denn nur große Angst rechtfertigt all diese Überwachung. Sind Sie nicht auch verwirrt?

Nicht mehr. Elf Jahre nach 9/11 bin ich überzeugt, dass nicht alles verhindert werden kann und die Beschränkung unserer Freiheit durch Überwachung größer geworden ist als der Schaden, der geschehen könnte.

Tja… Ich vermute, dass das stimmt.

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