Aufsteiger Mainz 05 Karnevalsclub mit Konzept
18 ist in der Bundesliga eine bedrohliche Zahl, denn sie steht für den letzten Platz in der Tabelle. Genau dort hatten viele FSV Mainz 05 erwartet, doch nach dem elften Spieltag steht die Zahl 18 für die Punkte, die der Aufsteiger bislang schon sammeln konnte. Das ist nur ein Zähler weniger, als der FC Bayern und mehr als zehn andere Bundesligisten bislang verbucht haben. Auch wenn der unverhoffte Höhenflug des FC Schalke 04 spektakulärer oder die Tiefenbohrungen von Hertha BSC dramatischer sein mögen: Die Überraschungsmannschaft dieser Saison heißt bislang Mainz 05.
Dabei ist wohl selten ein Team unter schlechteren Vorzeichen in eine Spielzeit gestartet. Vor dem Auftakt gegen Bayer Leverkusen blickte der Aufsteiger auf eine katastrophale Vorbereitung mit epidemischer Verletzungsserie. Zum Start fehlten dann sechs nominelle Stammspieler, überdies hatte der Club fünf Tage vorher auch noch den Aufstiegstrainer Jörn Andersen entlassen und dafür den 35-jährigen Coach der A-Jugend, Thomas Tuchel, mit der Aufgabe betreut. Thomas wer? Selbst für treue Anhänger des Clubs klang das so, als sei der Abstieg schon besiegelt, bevor es losgegangen war.
Erzwungenes Glück
Sicher, die Mainzer wurden für die katastrophale Vorbereitung in einigen Spielen durch die Gunst des Schicksals entschädigt. Gleich zum Saisonauftakt heillos gegen Leverkusen unterlegen, verpasste Bayer die Gelegenheit, einen hohen Vorsprung herauszuschießen, als der Aufsteiger nach unberechtigtem Freistoß noch ausglich. Beim Heimsieg gegen Hoffenheim profitierte Mainz ebenfalls von Fehlentscheidungen. Den Sieg über die Bayern brachten sie höchst glücklich über die Zeit. Beim Erfolg in Bochum halfen die dortigen Fans mit, als sie unbedingt den Heimtrainer stürzen wollten.
Trotzdem wäre der Eindruck falsch, dass sich Mainz 05 wie ein Roulettespieler mit unerklärlicher Glückssträhne durch die Saison zockt. Denn die Mannschaft von Tuchel erzwingt dieses Glück auf vorbildliche Weise. Sie arbeitet gut organisiert, kaum nachlassend gegen den Ball und lässt auch nach Rückschlägen selten den Kopf hängen. Außerdem steckt mehr spielerische Qualität in der Mannschaft, als zu vermuten war, obwohl Neuzugänge wie Eugen Polanski und Filip Trojan wegen langwieriger Verletzung überhaupt noch keine Rolle spielten. Doch der Österreicher Andreas Ivanschitz, als derzeit bester Vorbereiter der Bundesliga und sechsfacher Torschütze, ist einer der besten Transfers überhaupt. Denn er gibt seiner Mannschaft genau jene Kreativität, die sie von einem zähen zu einem mitunter auch inspirierten Gegner macht.
Realistische Erwartungen, stabile Identität
Die Spielweise unter Tuchel unterscheidet sich wenig von der unter Jürgen Klopp, sie steht für Kontinuität. Mainz 05 ist es im Laufe der vergangenen Jahre gelungen, als Club eine stabile fußballkulturelle Identität zu entwickeln. Dazu gehört einerseits ein erkennbarer Stil auf dem Platz und eine vergleichweise sichere Hand bei der Auswahl passender Profis. Zugleich versteht es die Vereinsführung, keine falschen Erwartungen zu wecken, und das Publikum fordert ebenfalls nicht Unmögliches. Die Idee vom trotzigen Karnevalsverein lebt noch immer, und das ist eine große Managementleistung.
Die Zeiten der Niedlichkeit sind bei Mainz 05 in der vierten Bundesliga-Saison des Clubs aber längst vorbei. Er hat seine Infrastruktur kontinuierlich verbessert, steht in der Nachwuchsarbeit inzwischen gut da, und wenn das neue Stadion im Laufe der kommenden Saison fertig ist, werden die wirtschaftlichen Spielräume größer. Bis dahin wird sich für Mainz 05 an der Außenseiterrolle nicht viel ändern. Auch in der kommenden Spielzeit werden sie vermutlich wieder vielfach als Abstiegskandidat getippt. Aber die Sensation ist ja, dass es dann vermutlich um den Klassenerhalt geht und nicht um den Wiederaufstieg in die Bundesliga.