Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Politik
  3. Ausland
  4. Wahlkampf: Warum die Israelis auf die rechten Parteien setzen

Ausland Wahlkampf

Warum die Israelis auf die rechten Parteien setzen

Arbeiter befestigen ein Wahlplakat für Premierminister Benjamin Netanjahu in Tel Aviv Arbeiter befestigen ein Wahlplakat für Premierminister Benjamin Netanjahu in Tel Aviv
Arbeiter befestigen ein Wahlplakat für Premierminister Benjamin Netanjahu in Tel Aviv
Quelle: dapd
Eine zerrissene Gesellschaft wählt ein neues Parlament, aber wohl auch den alten Premier. Benjamin Netanjahu vermittelt den Israelis in unsicheren Zeiten zumindest ein Gefühl der Sicherheit.

Als Benjamin „Bibi“ Netanjahu zu später Stunde den beliebten Club im Hafen von Tel Aviv betritt, blitzen die Discolichter und aus den Lautsprechern dröhnt der beliebte israelische Popsong „Wer glaubt, hat keine Angst“. Netanjahu hat seinen Anzug abgelegt und trägt Jeans, umringt von seinen Personenschützern winkt er von der DJ-Kanzel.

Er hat seine beiden Söhne mitgebracht, der Ältere mischt sich locker unter die etwa 1000 feiernden jungen Likud-Anhänger, die in Bussen aus dem ganzen Land nach Tel Aviv hierher transportiert wurden. Netanjahu sagt nur wenige Sätze. Wer ihn als Ministerpräsident wolle, müsse auch seine Partei wählen, warnt er: „Wählt Likud, sonst wird es eine Linksregierung geben.“

Likud ist dramatisch nach rechts gerutscht

Nach einem Blick auf die letzten Umfrageergebnisse scheint die Gefahr nicht besonders groß zu sein. Zwar steht die gemeinsame Liste von Netanjahus Likud-Partei und der Partei „Unser Haus Israel“ des jüngst zurückgetreten Außenministers Avigdor Lieberman mit 32 Mandaten etwas schlechter da als erwartet.

Da aber ein nicht unerheblicher Teil der Likud-Beiteinu-Wähler ausgerechnet zur noch etwas weiter rechts stehenden Partei „Das jüdische Haus“ von Netanjahus ehemaligem Bürochef Naftali Bennett abgewandert ist, dürfte der rechtsnationale Block in der Knesset seine Mehrheit behalten. Vielleicht aber macht gerade das Netanjahu Sorgen?

Seine Partei ist in den internen Vorwahlen dramatisch nach rechts gerutscht, Vertreter einer Zwei-Staaten-Lösung sind im Likud heute in der Minderheit. Das bei den Vorwahlen ausgerechnet jene Abgeordneten die größten Erfolge verbuchen konnten, die es mit demokratischen Grundrechten nicht mehr so genau nehmen wollen und denen die Gewaltenteilung ein Dorn im Auge ist, sollte dem Ministerpräsidenten zu denken geben.

Netanjahu macht kein Geheimnis daraus, dass er nach dem 22. Januar am liebsten keine stramme Rechtsregierung bilden würde. Sowohl der Arbeitspartei als auch der Zukunftspartei des ehemaligen Fernsehmoderators Jair Lapid oder der „Bewegung“ der ehemaligen Außenministern Tzipi Livni stehe der Weg in eine Koalition offen, hat Netanjahu mehrfach angekündigt.

„Bei uns ist deine Stimme sicher gegen Bibi“

Und eben darum wird Gila Peri ihre Stimme der Meretz-Partei geben. „Nach der Wahl werden sie doch alle wieder umfallen und so schnell wie möglich die Ministersessel im Kabinett besetzen“, fürchtet die kurz vor der Rente stehende Architektin. Und wer bliebe dann in der Opposition: Meretz eben, deren Wahlkampfslogan laute: „Meretz – bei uns ist deine Stimme sicher gegen Bibi“.

Gila hat schon immer Meretz gewählt – mit einer Ausnahme: „1992, da habe ich Rabin meine Stimme gegeben.“ Damals hätten in ihrem Bekanntenkreis alle die Arbeitspartei unterstützt. Heute sei sie die Einzige. „Es ist sehr seltsam: Damals hatten wir mit Jassir Arafat eigentlich keinen Partner für den Frieden, mit Machmud Abbas haben wir heute möglicherweise einen.“

Wut über Intifada hat das Land verändert

Doch die Enttäuschung über den gescheiterten Friedensprozess und die Wut über die Intifada hätten das Land verändert, sagt sie. „Die meisten Israelis glauben heute, ihre Hoffnungen seien naiv gewesen und die Palästinenser hätten sie enttäuscht. Auch ich denke, dass unsere Hoffnungen naiv waren. Aber ich glaube eben auch, dass wir an der Enttäuschung eine erhebliche Mitschuld tragen.“

Anzeige

Wie für die meisten Israelis ist auch für Gila Peri der Friedensprozess kein entscheidendes Kriterium bei der Wahl: „Ich mache mir Sorgen um unsere Demokratie, ich will eine Partei unterstützen, die sich auch für die Rechte der Minderheiten einsetzt. Weißt du, Worte wie ‚links‘ und ‚Menschenrechte‘ sind in Israel heute Schimpfwörter geworden.“

Nicht einmal Arbeiterpartei will noch links sein

Tatsächlich will im Heiligen Land niemand mehr links sein: Die Vorsitzende der Arbeitspartei, Schelly Jechimowitsch, stellte schon im November klar, die Arbeitspartei sei keine Linkspartei und das auch nie gewesen. Livnis „Bewegung“ und Lapids „Zukunftspartei“ wollen ebenso das politische Zentrum belegen wie die vor einem dramatischen Absturz stehende Kadima-Partei.

Nur Meretz wagt es, gegen den Strom zu schwimmen, und kokettiert mit der Entwicklung: „Linke – go home“ steht auf ihren Plakaten und darunter „Meretz – die israelische Linkspartei“. In den amüsanteren Werbespots dieses Wahlkampfes lässt die Partei einen jungen Mann an seiner Kleidungsgröße zweifeln mit den Worten: „Bin ich Zentrum oder Extra-Zentrum?“

In einem anderen ruft ein Clown Kinder dazu auf, ihre Hände zu schütteln, die rechte und die Zentrumshand, und eine junge Frau erklärt den Weg zur Schalom-Alechem-Straße mit den Worten: „Nach dem Kreisel kommt eine Kreuzung, da gibt es keine Einfahrt, und Sie biegen ins Zentrum ab. Dann Zentrum, Zentrum, Zentrum und am Ende gelangen sie nach rechts.“

Verzweifelte Kadima-Partei beleidigt das Volk

Man kann aus den Wahlwerbespots einiges über den Zustand des Landes lernen. Da gibt es die üblichen Wahnsinnigen: eine Partei für die Rechte der Väter in der Familie und einen von Gott zur Rettung seines Volkes berufenen Messias.

Die sefardisch-orthodoxe Schas-Partei geht mit der Angst vor Überfremdung hausieren und zieht gegen Eheschließungen von Juden und Nichtjuden zu Felde.

In einem verzweifelten Befreiungsschlag beleidigt die Kadima-Partei mit ihrem Vorsitzenden Schaul Mofas gleich das gesamte Volk: „Politik ist Scheiße“, heißt es da. Es sei ja nun ein Trend, dass „kleine Leute mit schlechtem Charakter“ sich über Mofas erheben würden. Am 22. Januar wird Kadima trotzdem von heute 28 auf bestenfalls drei Mandate abstürzen. Die von Ariel Scharon gegründete Partei ist am Ende.

Jüdischer Nationalismus steht hoch im Kurs

Anzeige

Der Likud versucht derweil, die rasante Abwanderung von nationalreligiösen Wählern zu Naftali Bennet „Das jüdische Haus“ zu verhindern. Warum sonst würde Netanjahu mit einer Kippa auf dem Kopf um Gottes Hilfe bitten?

Und Bennett, ein eloquenter Hightech-Millionär, tut alles dafür, seine in den Umfragen bei 14 Mandaten stehende Partei als hippe Alternative zu präsentieren und nicht als die siedlerfreundliche Nischenpartei, die sie eigentlich ist.

Beide Parteien übertreffen sich gegenseitig in ihrem jüdischen Nationalismus. Von einem „jüdischen Volk“ in einem „jüdischen Staat“ ist da natürlich die Rede, aber auch von „jüdischen Werten“, einem „jüdischen Frühling“, dem „jüdischen Erwachen“, „dem jüdischen Land“ und der „jüdischen Tradition“.

„Viele von uns Arabern gehen gar nicht erst wählen“

Mahmoud Sana kann damit gar nichts anfangen: „Als Araber finde ich diese Fixierung auf das Jüdische total daneben“, sagt er. Andererseits spreche daraus vielleicht ja auch eine große Unsicherheit: „Kann es sein, dass die Juden nach so vielen Jahren immer noch um ihre Identität ringen?“ fragt der Medizinstudent.

Sana ist zu einer Wahlveranstaltung der arabischen Balad-Partei gekommen, die entschieden anti-zionistisch ist. Bisher habe er sich nicht für Politik interessiert: „Viele von uns Arabern gehen gar nicht erst wählen“, erklärt er. „Es hat sich ja eh nie was geändert. Unsere Abgeordneten haben keinen Einfluss.“

Tatsächlich ist die Wahlbeteiligung im arabischen Sektor in den vergangenen Jahrzehnten konstant gesunken, 2009 lag sie unter 50 Prozent. Orthodoxe Juden hingegen gehen fast geschlossen an die Urne. Bei einem ähnlichen Wahlverhalten könnten die Araber 20 der 120 Knesset-Abgeordneten stellen – ein Albtraum für die jüdischen Parteien, bei denen die ungeschriebene Regel gilt, für wichtige Entscheidungen mindestens eine jüdischen Mehrheit zu haben und nicht auf die Stimmen der Araber angewiesen zu sein.

Von Rissen durchzogene Gesellschaft

Die arabischen Parlamentarier provozieren und überspitzen auch in der Knesset; die kaum abzustreitende Diskrimierung der arabischen Bürger wird da zu systematischem Rassismus, von Apartheid ist schnell die Rede und von Faschismus. Wenn dann die polternde junge Likud-Garde etwas von Verrätern brüllt und Ausweisungen der Araber nach Syrien fordert, ist schnell der tatkräftige Einsatz der Ordner gefragt.

Mit der Toleranz haben es beide Seiten nicht besonders. Kaum besser steht es allerdings um den Diskurs zwischen Orthodoxen und Säkularen. Und der im Sommer 2011 begonnene Kampf gegen die zunehmende soziale Ungleichheit ist für viele Israelis noch immer das wichtigste politische Ziel.

Die israelische Gesellschaft wird von vielen Rissen durchzogen. Vielleicht werden die Israelis am Dienstag auch deshalb wieder einen Mann wählen, der ihnen in diesen unsicheren Zeiten zumindest ein Gefühl der Sicherheit gibt: Netanjahu.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema