Nach dem Abgang von Rasmussen gibt es neue Chancen für die Nato

Anders Fogh Rasmussen am 5. September auf dem Nato-Gipfel in Wales, wo die neue Aufrüstungs- und Russlandpolitik durchgesetzt wurde. Bild: Nato

Der scheidende Nato-Generalsekretär hat den Konflikt mit Russland zugespitzt, für Walther Stützle, Ex-Staatssekretär im Verteidigungsministerium, ist es für die Nato gut, dass er geht

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Der Däne Anders Fogh Rasmussen verabschiedet sich heute als Nato-Generalsekretär. 2009 hatte er dieses Amt übernommen und ist in der letzten Zeit vor allem im Dienste der US-Regierung als Scharfmacher gegenüber Russland aufgefallen. Die Zuspitzung der Krise diente dazu, die Nato hinter die geopolitischen Interessen der USA zu bringen, sie wieder zu stärken, die Mitgliedsländer zu höheren Rüstungsausgaben und zu mehr Auslandseinsätzen zu bringen.

Anders Fogh Rasmussen am 5. September auf dem Nato-Gipfel in Wales, wo die neue Aufrüstungs- und Russlandpolitik durchgesetzt wurde. Bild: Nato

Rasmussen war von 2001 bis 2009 Ministerpräsident Dänemarks und Vorsitzender der konservativen Venstre-Partei. Als Anhänger des "Minimalstaates", so der Titel eines Buchs von ihm, setzte er neoliberale "Reformen" in Dänemark um, baute demgemäß den Sozialstaat ab, benutzte rechtspopulistisch die Stimmung gegen Ausländer, um die Einwanderungsgesetze drastisch zu verschärfen, und war natürlich bei der Koalition der Willigen unter George W. Bush beim Krieg gegen den Irak 2003 dabei.

Die Verbindung von wirtschaftlichem Liberalismus und starkem Staat im Hinblick auf Sicherheits- und Verteidigungspolitik machte ihn vor allem für die USA und Großbritannien zu einem geeigneten Kandidaten für den Nato-Generalsekretär. Er brachte die gewünschte Ideologie mit und sollte dafür sorgen, dass die durch die "Antiterror-Kriege" und die Finanzkrise hoch verschuldete und geschwächte Supermacht USA durch die übrigen Nato-Staaten entlastet wird, aber gleichzeitig die führende Macht blieb. Da die europäischen Länder aber selbst unter der Wirtschaftskrise litten und für sie bei fehlenden großen Konflikten die Rüstungs- und Verteidigungspolitik kein großes Thema war (was sich etwa auch am maroden Materialzustand der Bundeswehr zeigt, bot erst die Ukraine-Krise und die Zuspitzung des Konflikts mit Russland einen Hebel, um die europäischen Mitgliedsstaaten auf die gewünschte Nato-Linie zu bringen. Der von der US-Regierung begonnene Krieg gegen den Islamischen Staat verstärkte den Druck auf höheres militärisches Engagement, machte aber gleichzeitig deutlich, dass wegen der aufgebauten Gegnerschaft zu Russland ein gemeinsames Vorgehen bzw. ein UN-Mandat nicht möglich war.

Der Politikwissenschaftler Walther Stützle, der lange Zeit im Bundesverteidigungsministerium arbeitete und dort von 1998 bis 2002 Staatssekretär war, gibt Rasmussen im Deutschlandradio nur "mit Bedenken ein knappes Ausreichend" als Note für seinen Job bei der Nato. Es sei gut für die Nato und die Beziehung zu Russland, dass seine Zeit vorbei ist. Es wäre das große Thema seiner Amtszeit gewesen, mit Russland eine "strategische Partnerschaft" zu schmieden. Hier verwies er auf den Ex-Außenminister Genscher, der ebenfalls im Deutschlandfunk gesagt hatte, dass es ohne oder gegen Russland keine Stabilität in Europa geben werde. Das sei, so Genscher, auch der Grundgedanke der KSZE und der Charta von Paris von 1990 gewesen. Nach Stützle war 1990 mit dem Zerfall der Sowjetunion das erste Mal die Chance vorhanden, "auf der nördlichen Halbkugel den Krieg dauerhaft von der Agenda zu verbannen". Daran sei nicht mit der notwendigen Energie gearbeitet worden, Rasmussen habe hierfür auch eine "wesentliche Verantwortung". In der Ukraine-Krise habe er keine gute Figur gemacht und Schärfen ins Spiel gebracht, vor allem habe er den neuen Nato-Mitgliedern, die verständliche Angst vor Russland haben, nicht die notwendige Botschaft vermittelt, dass sie sich in der stärksten Allianz befinden und dass sich die Bedrohung nicht gegen sie richte. Versäumt wurde, mit ihnen eine neue Politik gegenüber Russland zu beginnen. Die Nato müsse zur Entspannungspolitik zurückkehren.

Auf Jens Stoltenberg, den ehemaligen norwegischen Regierungschef, setzt Stützle große Hoffnungen. Der habe in seiner Amtszeit etwa mit Russland einen lange schwelenden Grenzstreit in der Barentsee friedlich mit einem Vertrag beigelegt. Er habe gezeigt, wie man auf einen Nachbarn zugehen kann: "Norwegen ist ein Nachbar Russlands, und wir sind auch Nachbarn Russlands." Innenpolitisch habe ihn überzeugt, wie Stoltenberg auch nach dem Anschlag für eine "offene Demokratie" eingetreten ist.