Person der Woche

Person der Woche Ein linker Nato-Chef

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Die Nato bekommt einen neuen Generalsekretär. Der Norweger Jens Stoltenberg warf einst mit Steinen auf Nato-Gebäude und ist das Gegenteil eines militärischen Falken. Seine Berufung zeigt auch, wie mächtig mittlerweile Angela Merkel ist.

Mit 14 wurde er Mitglied der Arbeiterpartei, mit 20 saß er im Vorstand der Jungsozialisten. Dazwischen demonstrierte er als langhaariger Linkssponti gegen den Vietnamkrieg und warf aus Protest gegen das US-Militär sogar die Fenster der amerikanischen Botschaft in Oslo ein. Bei seiner Bewerbung für den Vorsitz der sozialistischen Parteijugend Norwegens forderte der damals 25-Jährige den Austritt seines Landes aus der Nato. Das hatte zugleich eine pikant-ödipale Note, denn just sein Vater war zu jener Zeit Außenminister Norwegens und Bündnis-Verfechter.

Jens Stoltenberg wird am 1. Oktober Generalsekretär der Nato.

Jens Stoltenberg wird am 1. Oktober Generalsekretär der Nato.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ein Leben später wird ausgerechnet dieser tiefrote Jens Stoltenberg neuer Nato-Generalsekretär. In konfliktreichen Zeiten übernimmt der 55-Jährige das Amt vom knurrig-konservativen Dänen Anders Fogh Rasmussen – und alle sind gespannt, ob das gut gehen kann.

Jens Stoltenberg ist eine Art Joschka Fischer Norwegens. Er mutierte vom Spät-68er-Straßenkämpfer zum Staatsmann und kann heute auf drei Amtszeiten als norwegischer Regierungschef zurückblicken. Als Stoltenberg vor einem halben Jahr den entscheidenden Anruf aus dem Weißen Haus erhielt, war er gerade in Trondheim auf dem Weg zu einer Vorlesung vor Studenten. Thema: "Wie man Karriere macht". Obama sagte ihm, er müsse sich innerhalb von 24 Stunden entscheiden. Vor den Studenten war er daraufhin so aufgeregt und innerlich befasst mit seiner eigenen, plötzlich neu angefachten Karriere, dass er den Vortrag kaum mehr in den Griff bekam.

Teil von Merkels Netzwerk

Obamas Idee war es freilich nicht, ausgerechnet einen prominenten Linken zum Nato-Chef zu befördern. Angela Merkel brachte Stoltenberg ins Gespräch. Die Bundeskanzlerin rief ihn lange zuvor an, nämlich kurz nachdem er im Herbst vergangenen Jahres als Ministerpräsident abgewählt worden war. Merkel sondierte frühzeitig, ob er sich den Spitzenjob bei der Nato vorstellen könne. Dass der Norweger nun tatsächlich das Amt antritt sagt einiges über die langfristige, strategische Personalpolitik Merkels – und über ihre Gestaltungsmacht in Europa. Sie hat damit nacheinander Jean-Claude Juncker, Donald Tusk und nun Jens Stoltenberg in internationale Spitzenämter gebracht und sich damit ein bemerkenswertes Netzwerk der Loyalität geknüpft.

Dabei hat Stoltenberg ganz am Ende noch einmal gezögert mit dem Umzug nach Brüssel – wegen seines hochbetagten Vaters, dem er am Lebensende – nachdem er ihn seinerzeit mit der Nato so geärgert hatte – zur Seite stehen wollte. Doch schließlich forderte Stoltenberg senior seinen Sohn selbst auf, die Mission doch gefälligst anzunehmen. Thorvald Stoltenberg war ein prominenter Diplomat und sozialdemokratischer Spitzenpolitiker Norwegens. Die Mutter Karin war Staatssekretärin. Außenpolitik hat der neue Nato-Generalsekretär damit schon am elterlichen Abendbrottisch geboten bekommen. Das wohlhabende Elternhaus brachte ihm zuweilen den Ruf eines "Salonsozialisten" ein, das Wirtschaftsstudium untermalte dieses Image.

Tatsächlich ist Stoltenberg ein lupenreiner Berufspolitiker. Er machte eine frühe, systematische Parteikarriere, 1990 zog er erstmals ins Parlament ein, drei Jahre später wurde er Minister und weitere sieben Jahre danach stieg er mit 41 Jahren zum jüngsten Ministerpräsidenten Norwegens auf.

Die Taxi-Affäre

Weltbekannt wurde Stoltenberg im Juli 2011 nach dem grausamen Massaker des rechtsextremen Attentäters Anders Behring Breivik. Stoltenberg fand im Drama seiner Nation die richtigen Worte und Gesten. Seine mitfühlende, tröstende Besonnenheit machte Eindruck. Freilich teilten nicht alle Norweger seine politische Reaktion, das Land mit einem "Jetzt erst recht"-Muster noch offener und multikultureller machen zu wollen. Zudem wurde ihm und seiner Arbeiterpartei bei der Parlamentswahl zum Verhängnis, dass die Sicherheitsbehörden bei dem Attentat versagt hatten.

Die Taxi-Affäre schadete Stoltenberg im Wahlkampf. 2013 musste er sein Amt als norwegischer Ministerpräsident abgeben.

Die Taxi-Affäre schadete Stoltenberg im Wahlkampf. 2013 musste er sein Amt als norwegischer Ministerpräsident abgeben.

(Foto: REUTERS)

Im Wahlkampf wagte Stoltenberg zu allem Überfluss ein ungewöhnliches Experiment: Er setzte sich verkleidet hinter das Steuer eines Taxis, versteckte sich hinter einer Sonnenbrille und fuhr Kunden inkognito durch Oslo. Als später publik wurde, dass für das Video mit dem Titel "Taxi Stoltenberg" Passagiere angeheuert und bezahlt worden waren, wurde die PR-Aktion zum Desaster.

Die Taxi-Affäre gilt den Kritikern der Nato-Berufung Stoltenbergs als ein Indiz dafür, dass er immer noch ein Sponti und unberechenbar geblieben sei. Das berge ein Risiko auf dem Spitzenposten der Sicherheitspolitik. Eine zweite Kritiklinie verweist auf die geringe außen- und sicherheitspolitische Erfahrung Stoltenbergs.

Gute Erfahrungen mit Russland

Die Förderer Stoltenbergs erinnern dagegen an seine besonderen Russland-Beziehungen, die gerade jetzt sehr hilfreich werden könnten. So unterzeichnete er im Namen Norwegens wichtige Abkommen mit Russland über die gemeinsame Grenze in der Barentssee und über Visa-Ausnahmen für die Grenzbevölkerung. Er verfügt über gute Kontakte nach Moskau und direkt zu Putin. Andererseits hat er sich durch die Beteiligung am internationalen Afghanistan-Einsatz und an den Luftangriffen gegen den libyschen Ex-Diktator Muammar al-Gaddafi den Respekt der USA gewonnen.

Unbestritten ist Stoltenberg ein eloquenter, souveräner Berufspolitiker, ein Vollprofi auf dem glatten Parkett der Diplomatie. Ihm steht allerdings auch gleich zum Amtsantritt eine schwere Bewährungsprobe bevor. Denn die Ukraine-Krise fordert die Nato grundsätzlich heraus. Das Verteidigungsbündnis steht vor dem Ausbruch eines neuen, kalten Krieges gegen Russland. Die Nato ist daher gezwungen, ihre Präsenz in Osteuropa massiv zu verstärken. Man muss dem angriffslustigen Putin die Stirn bieten – zugleich aber die diplomatischen Friedenkanäle offen halten.

Für Letzteres galt sein Vorgänger Rasmussen manchem als zu forsch. Das ist der konziliante Stoltenberg nicht. Der Wanderfreund und zweifache Vater darf aber auch kein Leisetreter sein. Steinewerfen oder Taxifahren in Oslo war jedenfalls ein Kinderspiel im Vergleich zum Panzerbrausen, das Putin mit ihm veranstalten wird.

Quelle: ntv.de

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