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Literatur

Wie war es denn im Krieg?

Kevin Powers kämpfte im Irak. Darüber zu sprechen, fiel ihm lange Zeit schwer. Also schrieb er einen gefeierten Roman. Ein Interview

Kevin Powers ist ein höflicher junger Mann, eher von der stillen Sorte – die zahlreichen Tätowierungen auf seinen Armen bleiben an diesem Nachmittag unter seiner leichten Lederjacke verborgen. Fragen zu seinem vielfach übersetzten, von der Kritik gerühmten Irakkriegs-Roman „Die Sonne war der ganze Himmel“ beantwortet er mit Bedacht, manchmal fast zögerlich. Die Geschichte, die der Roman erzählt, ist nicht autobiografisch – den Krieg jedoch hat Powers hautnah erlebt. Von 2004 bis 2005 war er als Maschinengewehrschütze in Mosul und Tal Afar, einem der zentralen Schauplätze des Romans, stationiert.

Literarische Welt:

Gewöhnliche amerikanische Schriftstellerbiografien beginnen so: Geboren – vielleicht in Chicago –, College – vielleicht Amherst –, erste Kurzgeschichte – vielleicht in „Harper’s“ –, dann erster Roman. Ihre beginnt ein wenig anders.

Kevin Powers:

Ich bin anders aufgewachsen. Meine Mutter arbeitete bei der Post, mein Vater in einer Fabrik. Schriftsteller zu werden, schien komplett unrealistisch. Natürlich habe ich geschrieben. Aber aus einem wie mir wurde einfach kein Schriftsteller. Wir lebten eine halbe Stunde außerhalb von Richmond, Virginia, in einer eher ländlichen Gegend. Meine Freunde interessierten sich für Sport und die Jagd. In der High School gab es ein paar Lehrer, mit denen ich über das Schreiben hätte sprechen können – aber für Schule habe ich mich nicht interessiert. Als ich mit Ach und Krach meinen Abschluss gemacht hatte, dachte ich, die Army wäre eine gute Idee …

Sie haben sich für sechs Jahre verpflichtet.

1998, ja. Und kurz vor Schluss kam der Marschbefehl in den Irak.

Eine Mittelklasse-Familie könnte darüber zerbrechen.

Ich nehme an, ja. Aber gerade im Süden ist es nicht ungewöhnlich, für ein paar Jahre zur Army zu gehen. Mein Vater und mein Großvater haben beide gedient. Meiner Mutter hat meine Entscheidung mehr Kummer gemacht. Sie stand politisch auch weiter links.

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Wie haben denn Sie damals politisch gedacht?

Ich war immer liberal, aber damals war ich viel idealistischer als heute.

Sie waren ein Patriot.

Das gehört auch zu einer Kindheit in Virginia; man fühlt sich den Gründervätern dort sehr nah. Und ich vertraute meiner Regierung. Ich glaubte an ihre Tugendhaftigkeit. Ich habe an Amerika und seine Ideale geglaubt. Und letztlich tue ich das immer noch.

Es fällt mir nicht ganz leicht, Sie mir als Soldat vorzustellen.

Die Army ist sehr gut darin, einen normalen Menschen in einen Soldaten zu verwandeln, und den Machismo, der in einem steckt, hervorzukehren – selbst wenn der nur ein sehr kleiner Teil der eigenen Persönlichkeit ist.

Im Original heißt Ihr Roman „The Yellow Birds“, nach einem Marschlied, das davon erzählt, wie man einen kleinen gelben Vogel ins Zimmer lockt, um ihm dann „den Scheiß-Schädel zu zerschmettern“. Haben Sie dieses Lied gesungen?

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Oh ja, das Lied ist weit verbreitet. So ziemlich jeder in der Army hat es gesungen. Der größte Schock aber war, dass das Lied mich irgendwann nicht mehr schockierte. Erst als ich wieder zu Hause war, habe ich begriffen, wie grundlegend meine Verwandlung gewesen war.

Zu Hause wurden Sie oft gefragt, wie es denn war, im Krieg.

Ich wusste nicht, wie ich diese Erfahrung vermitteln sollte. Ich suchte nach Vergleichen – etwas wie Krieg – und fand keine. Der Roman war der Versuch, das Innenleben eines Soldaten zu beschreiben.

Können Sie die Frage, wie es war, heute beantworten?

Eine einfache Antwort gibt es immer noch nicht. Andererseits haben die, die im Krieg waren, kein Monopol auf Gefühle wie Isolation, Angst, Scham, Reue und Schuld. Wenn heute jemand zu mir sagt, er könne sich nicht vorstellen, wie es im Krieg sei, antworte ich: Wenn du je große Angst gehabt hast, dich geschämt hast, bereut hast und dir vorstellst, dass du all diese Gefühle zugleich empfindest, bekommst du einen Eindruck.

Wofür haben Sie sich geschämt?

Im speziellen Fall des Irak war es die Einsicht, dass es keinen unmittelbaren Grund gab, dass wir da waren. Es gab keine unmittelbare Gefahr für Amerika. Als mir das klar geworden war, musste ich rechtfertigen, was ich tat und was ich dort sah. Selbst, wenn ich sage, dass wir in die Irre geführt worden sind, ist das am Ende ja doch nur der Versuch, Verantwortung abzuschieben. Ich war im Irak aufgrund der Entscheidungen, die ich getroffen hatte. Das haben Bartle, der Erzähler im Roman, und ich gemeinsam: Solange man die eigene Verantwortung nicht akzeptiert, kann man dem Teufelskreis dieser Gefühle nicht entkommen.

In welcher Verfassung waren Sie, als Sie zurückkamen?

Ich fühlte mich schrecklich isoliert. Ich war wieder unter meinen Landsleuten, aber es war fast so, als spräche ich eine andere Sprache und atmete andere Luft. Mein Lebenslauf schien zum Halten gekommen. Eine Zeit lang habe ich für meinen Bruder gearbeitet, der Zimmermann ist. Dann habe ich einen ziemlich üblen Job bei einer Kreditkartenfirma gefunden. Schließlich habe ich angefangen, Abendkurse zu besuchen. Ich habe ein Jahr gebraucht, um mich wieder daran zu erinnern, wie wichtig Literatur für mich war.

Das hatten Sie vergessen?

Ich hatte alles vergessen. Das Interesse kam erst in diesen Kursen zurück. Das Interesse am Leben, schätze ich.

Und wann nahm der Roman Gestalt an?

Anfang 2008 vielleicht. Ich schrieb eine Geschichte über einen jungen Soldaten, der einfach das Basislager verlässt.

Das ist die Geschichte von Murph, der zweiten Hauptfigur des Romans.

Ja. Es ist so etwas wie eine moderne Legende, die wir Soldaten uns erzählten, vielleicht einfach eine Art Gerücht: Ein Junge betrinkt sich, zieht sich nackt aus und haut dann einfach aus dem Basislager ab. Ich kann nicht sicher sagen, dass die Geschichte erfunden ist, aber eigentlich glaube ich nicht, dass es wirklich so passiert ist. Mir kam es jedenfalls wie etwas sehr Mutiges vor. Es war wie ein Entschluss, einfach nicht mehr mitzumachen. Nicht mehr teilzuhaben an der Gewalt. Es war auf verrückte Weise heldenhaft. Heldenhaft jenseits aller sonst dort üblichen Vorstellungen von Heldenmut.

Der Roman macht nie ein Geheimnis daraus, dass Murph nicht überleben wird.

Er wäre mir unverantwortlich vorgekommen, daraus ein Element der Spannung zu machen. Ich wollte nicht, dass der Tod dieser Figur ein narrativer Anreiz wäre, Lohn für den Leser. Murphs Tod sollte nicht die Antwort sein auf die Fragen des Romans.

Warum spielt die halbe Geschichte nach der Rückkehr in die Heimat?

Weil die akute Gefahr, in der sich die Heimkehrer befinden, viel weniger im Bewusstsein ist. Wir haben ja erst in den letzten ein, zwei Jahren angefangen, darüber zu sprechen. Über die vielen Selbstmorde unter den Heimkehrern zum Beispiel. Gewissermaßen betragen die Verluste hundert Prozent.

Der Roman springt hin und her, zeitlich wie räumlich. „Die Ereignisse zu beschreiben, die banalen Fakten, die Chronologie“, erklärt Bartle, „das wäre gewissermaßen Verrat gewesen.“ Wieso?

Bartles Versuch, herauszufinden, wie und wann er Murph verloren hat, wäre unehrlich gewesen, wenn es ihm dabei nur um Kausalitäten gegangen wäre. Um eine Reihe von Ereignissen, die aufeinander folgen, weil sich das eine aus dem anderen ergibt. Bartle muss akzeptieren, dass es nicht so ist. Dass nicht alles einfach so aus dem Vorherigen folgt.

Ist das nicht auch die Antwort auf die Frage nach der Scham, den Schuldgefühlen, die Sie empfunden haben?

Ja, ich glaube schon. Der Verrat, von dem Bartle spricht, bestünde darin, Sinn zu machen, wo keiner ist. Bartle beginnt zu begreifen, dass er die Antwort, die er sucht, womöglich gar nicht verdient.

Kevin Powers: Die Sonne war der ganze Himmel. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. S. Fischer, Frankfurt/M. 240 S., 19,99 €.

Das Gespräch führte Wieland Freund.

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