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Neue Firmenphilosophie: Wachstum mal anders

Foto: Jörg Sarbach

Neue Firmenphilosophie Wohlstand ohne Wachstum

Die Wirtschaft muss wachsen, wachsen, wachsen - das predigen Ökonomen und Politiker immer wieder. Doch manche Firmenchefs denken um. Ein Bremer Unternehmer verweigert sich dem Wachstumsdiktat: "Wir haben eine optimale Größe."
Von Daniela Schröder

An der hohen Decke des Büros hängt ein Seil mit einer alten Bahnhofsuhr aus England. Mittags um 12.30 Uhr stehen die Zeiger auf 6.55 Uhr. Völlig normal, sagt der Firmenchef, richtig gegangen sei die Uhr noch nie, sie laufe wohl nach eigenen Maßstäben. Vermutlich hängt Harald Rossol deshalb so an der Uhr. Denn auch er tickt anders als andere. Der Bremer Unternehmer setzt nicht auf das Mantra: schneller, größer, mehr. Er will nicht wachsen.

In dem langgestreckten Büroloft, Endetage eines sanierten Kaffee- und Kakaospeichers im ehemaligen Bremer Hafen, sitzen Rossol und seine fünf Mitarbeiter an großen Schreibtischen mit Blick auf die Weser. Von hier aus kümmern sie sich um die Computersysteme kleiner Firmen in der Region, die keine eigenen Experten beschäftigen. Als Sechser-Team läuft Rossols Technologie- und Rechendienstleister bereits seit 1995, vier Jahre zuvor hatte er sein IT-Unternehmen in Bremen gegründet.

"Wir haben eine optimale Größe", sagt der 47-Jährige. Nicht mehr und nicht weiter, lautet daher seine ungewöhnliche Firmenphilosophie. Das gelte für die Zahl der Kunden, das gelte für die Zahl der Mitarbeiter.

Wenn die kleine IT-Firma jetzt wachsen wollte, sagt Rossol, müsste sie einen richtigen Sprung machen, müsste mindestens doppelt, besser noch dreimal so groß werden. "Aber dann könnte ich mich nicht mehr um meine Kunden kümmern, sondern wäre nur noch der Geschäftsführer. Und das würde mir nicht gefallen."

Sätze, die nach wenig unternehmerischem Ehrgeiz klingen. Oder aber nach mittelmäßigem Erfolg, den der Firmengründer als Revolte gegen die üblichen Denkmuster verkaufen will. Beides Fehlanzeige, wehrt Rossol entschieden ab. Sein Auftragsbuch sei voll, der Umsatz seit Jahren konstant. Gleichzeitig verbuche sein Betrieb jedes Jahr einen höheren Gewinn. "Ist ganz einfach", sagt Rossol. "Wir drehen hier permanent an der Kostenschraube."

Geheizt wird mit der Wärme der Rechner

Bestes Beispiel dafür ist ein riesiger Kasten, der wie ein Extra-Zimmer mitten im Raum steht. Hinter den orangefarbenen Schallschutzwänden stecken die Computerserver des Rechenzentrums. Vor einigen Jahren stockte die Firma die Server auf und sollte dafür eine neue, teure Klimaanlage bekommen. "Warum eigentlich?", fragte Rossol, Wirtschaftswissenschaftler und ehemaliger Verwaltungsangestellter.

Weil es keine Alternative gibt, meinten seine Techniker, Rechner brauchen nun mal kühle Temperaturen. "War schon immer so, das konnte ich als Antwort noch nie akzeptieren", sagt Rossol. Also ließ er sein Team experimentieren, und nach drei Jahren Tüfteln stand fest: Hochleistungsrechner kommen auch mit molligen 30 bis 35 Grad gut klar. Man muss nur die einzelnen Komponenten anders zusammenbauen und die Temperatur schrittweise erhöhen.

Durch den Verzicht auf die Klimaanlage spart die Firma ganze 60 Prozent Strom, sagt Rossol. Um weitere fünf Prozent drückte er die Energiekosten mit der Wärme, die seine Rechenanlage produziert. Denn sie stellt nicht nur das Herz des Unternehmens dar, sondern dient auch als seine Heizung: Über eine Lüftungsanlage fließt die Abwärme der Geräte in das 360 Quadratmeter große und fast vier Meter hohe Büro. "Es ist nicht nur betriebswirtschaftlich ein Gewinn", sagt Rossol über seinen ungewöhnlichen Umgang mit den Rechenservern. "Es ist auch ein Gewinn für die Umwelt."

Energiesparender produzieren statt mehr produzieren

Statt immer mehr zu produzieren, will Rossol immer energiesparender produzieren - der Bremer IT-Unternehmer symbolisiert damit einen Denkwandel. Wirtschaftswachstum über alles lautete bisher das Glaubensbekenntnis in Politik und Ökonomie. Nur mehr Wachstum schaffe Arbeitsplätze, nur die wachsende Leistung der Wirtschaft garantiere Wohlstand und sichere unsere Zukunft. Doch während im vergangenen Jahrzehnt das Wirtschaftswachstum in Deutschland stieg, wuchs auch die Zahl der Arbeitslosen.

Schon vor 30 Jahren warnten Wissenschaftler, dass die Rohstoffe der Erde irgendwann verbraucht sind, dass die Natur kaputtgeht und das materielle Wachstum daher seine Grenzen hat. Der britische Ökonom John Maynard Keynes sah in einer "Stagnationswirtschaft" gar die Chance auf eine "gute Gesellschaft". Doch erst die Finanz- und Wirtschaftskrise machte bewusst, dass im 21. Jahrhundert ein Weiterso nicht möglich ist.

Auch das Weltwirtschaftsforum in Davos diskutierte in diesem Jahr zum ersten Mal über neue Formen des Wachstums. Mehr Waren und mehr Dienstleistungen, so hieß es, könnten nicht mehr alleiniger Maßstab für den Wohlstand einer Gesellschaft sein.

Auf die Qualität der Produkte kommt es an

Noch gibt es kein offizielles Alternativmodell zum klassischen Konzept von Wachstum und Wohlstand. Doch selbst konservative Wirtschaftsexperten fordern mittlerweile, dass sich die Ökonomie an Bildung und Gesundheit ausrichten sollte, oder am Einsatz energiesparender Technik. Die Umwelt schonen und dabei Kosten sparen, so lautet auch Rossols Motto: Da seine Firma nur Unternehmen in der Region betreut, fahren seine Mitarbeiter mit Bus und Bahn zum Kunden.

Energieeffizienz

Für sein Geschäftsmodell hat der Bremer mittlerweile diverse Preise bekommen, außerdem berät er andere IT-Unternehmen beim Thema . "Damit sind wir dann doch gewachsen", sagt Rossol. Allerdings mit einem Angebot, das es zuvor auf dem Markt nicht gegeben habe und daher keine Konkurrenten ausboote. Ein kompletter Wachstumsverweigerer, versichert der Unternehmer, sei er ohnehin nicht. "Natürlich will ich den Gewinn steigern und meinen Leuten höhere Gehälter zahlen."

Wachstum im herkömmlichen Sinn aber würde den Erfolg seiner Firma kaputtmachen, sagt Rossol. Nicht Umsatzhöhe und Firmengröße, allein die Qualität der Produkte und die Effizienz der Arbeitsabläufe sei für ihn entscheidend. Die Basis dafür liege im eingespielten Miteinander, in der Motivation jedes Einzelnen und in flexiblen Arbeitszeiten. "In einem großen und hierarchischen System", sagt der Bremer Unternehmer, "würde diese Art von intelligentem Wachstum nicht funktionieren."