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EU-Netzwerk Citzalia: World of Lawcraft

Foto: ESN

Chatten über die EU Wie war das noch mal mit der Lego-Männchen-Richtlinie?

Das Europäische Parlament will mehr Nähe zu den Bürgern. In dem interaktiven sozialen Netzwerk Citzalia sollen sie bald Gesetze diskutieren und EU-Prozesse nachvollziehen können. Doch das Konzept, Bürokratie nachzuspielen, wirkt dröge - genau wie die Optik der Plattform.
Von Anika Kreller

Europäischen Parlament

Etwas steif in den animierten Beinchen tappst der Avatar durch einen Raum im virtuellen . Er ist kantig wie ein Lego-Männchen, nur der Kopf ist deutlich größer. Mit den aufgerissenen Kulleraugen und schrägen Augenbrauen sieht er irgendwie besorgt aus. Vielleicht liegt das an seiner tristen Umgebung. Oder daran, dass er bisher nicht mehr machen kann, als sich ein halbstündiges Video zur Expo 2010 in China anzuschauen.

Ein bisschen Geduld muss der kleine Mann im blauen Anzug noch haben, bis mehr los ist in seiner virtuellen Welt. Erst im Januar 2011 wird das interaktive soziale Netzwerk Citzalia offiziell gestartet. Das Internetvideo , in dem der Avatar zu sehen ist, soll schon einmal einen Einblick geben. Die Plattform will den Bürgern der Europäischen Union ihr Parlament näherbringen. Sie sollen dessen Arbeit selbst nachspielen und sie so besser verstehen. Andererseits will das Netzwerk die Möglichkeit bieten, selbst aktiv über aktuelle Themen mitzudiskutieren und so ein Forum für die Meinungen der Bürger bieten. In 23 Sprachen soll es zukünftig nutzbar sein.

Jeder Teilnehmer erstellt sich dazu seinen eigenen eckigen Avatar, mit dem er durch die virtuellen Flure des Europäischen Parlaments stapfen kann. Mit ihrem Pixel-Abbild können sie "herumlaufen, interagieren, Kontakte knüpfen und die Angelegenheiten des Tages debattieren", verkündet die Internetseite des Projekts . So werde man Teil einer "dynamischen virtuellen Gemeinschaft".

Citzalia wird von der Brüssler Kommunikationsagentur European Service Network (ESN) entwickelt. Sie hat mit ihrer Idee eines interaktiven Netzwerks eine Ausschreibung des Europäischen Parlaments gewonnen: Es war auf der Suche nach einer innovativen Internetseite, um seine Arbeit bekannter zu machen. ESN ist so überzeugt von dem Konzept hinter "Citzalia", dass sie ein Viertel des 275.000-Euro-Budgets selbst stellen, den Rest finanziert das Parlament.

Ein paar mehr Möglichkeiten als der kleine Pixel-Mann im Promo-Video wird man in dem sozialen Netzwerk zwar schon haben: Es wird ein Diskussionsforum geben, man kann einen Artikel für Citzalias Online-Zeitung schreiben, Gesetze vorschlagen, bewerten und debattieren und sich ein virtuelles Büro mieten, um zum Beispiel Ausstellungen zu organisieren. Darin soll man dann Bilder, Videos, Blogs, etc. posten können. Aber es stellt sich die Frage, ob das ausreicht, um die kritische Masse an Leuten zu begeistern, die nötig ist, um so ein Netzwerk am Leben zu halten.

Erfahrungspunkte für Gesetzesvorschläge

World of Warcraft

Die Entwickler bei ESN sind sich dieses Problems bewusst. Als Anreiz wird es daher ein Erfahrungspunkte-System geben. In der ursprünglichen Beschreibung des Projekts war gar von Citzalia als einem Rollenspiel die Rede. Diese Bezeichnung verwendet ESN inzwischen nicht mehr. "Das macht nur einen kleinen Teil aus", sagt Projektmanager Paolo Malloggi. Wahrscheinlich haben die Entwickler auch erkannt, dass sie sich damit in eine andere Liga begeben würden, denkt man bei dem Begriff Rollenspiel schnell an actiongeladene 3D-Wunderwelten, wie" " oder "Herr der Ringe Online".

Statt für das Töten von Monstern, bekommt man bei "Citzalia" seine Erfahrungspunkte für eher bürokratische Quests wie das Übersetzen von EU-Texten, oder wenn man einen bei anderen Nutzern beliebten Gesetzesvorschlag macht. Und statt für mehr Kraft oder Ausdauer der Spielfigur tauscht man die Punkte dann gegen eine schöne Topfpflanze für sein Büro oder ein Ringelshirt für den Avatar.

Neben die Frage, ob das Netzwerk die Nutzer inhaltlich fesseln kann, tritt eine ziemlich dröge optische Umsetzung. Zwar preist die Citzalia-Internetseite das Europäische Parlament in 3D an. Durch die feste isometrische Perspektive wirkt es aber eher starr. Zudem haben die Entwickler von ESN die Ausstattung und Möbel des Originals detailgenau nachgebaut. Das sorgt neben Authentizität vor allem für optische Langeweile. Ein bisschen sieht Citzalia aus wie eine phantasielose Version der Kinder-Community Habbo Hotel. Ob das auch die Menschen anspricht, die hier über die neuesten EU-Richtlichten diskutieren sollen, ist ungewiss.

Chatten mit den Abgeordneten

Web 2.0

Citzalia ist nicht der erste Versuch, die EU fit für das zu machen. Bereits vor zwei Jahren war laut britischen Medien ein soziales Netzwerk geplant, das unter dem Namen "MyParl" ein Facebook für EU-Parlamentarier werden sollte. Das Projekt wurde allerdings wieder eingestellt. Zudem hat das Parlament seit Frühjahr 2009 Profile bei Facebook , Flickr , und MySpace  eingerichtet, mit denen vor allem junge Wähler erreicht werden sollen.

Mit Citzalia soll die Interaktion mit den Bürgern noch unmittelbarer werden. "Die Parlamentarier können sich auch anmelden und werden dann als solche erkennbar sein", sagt Projektmanager Malloggi. "Man kann sie treffen und direkt ansprechen. Und die Abgeordneten sehen, was die Menschen bewegt." Allerdings müssen sich dazu genug Politiker finden, die bereit sind, auch als virtuelle Mini-Ausgabe ihrer selbst über die digitalen Flure des Parlaments zu streifen. "Die Beteiligung der Abgeordneten ist noch ein großes Fragezeichen", gibt Malloggi zu.

Ein paar interessierte Bürger haben sich zumindest schon gefunden: Mehr als 900 Leute haben sich laut Malloggi bisher als freiwillige Tester registriert. Ende Oktober soll die Beta-Version von Citzalia starten. Auf der Internetseite kann man sich dafür noch anmelden . Wie viele der Teilnehmer tatsächlich ernsthaft über EU-Politik diskutieren wollen ist fraglich: Die Reaktionen auf das Demo-Video bei YouTube reichen von Skepsis bis zu wüsten Hasstiraden auf die EU. Damit wird Citzalia umgehen müssen. "Nutzertexte werden von einem Redakteur geprüft", sagt Malloggi. Zudem könnten Kommentare, die gegen die Regeln der Website verstoßen, von Teilnehmern gemeldet und dann von Administratoren gelöscht werden.

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Bei manchen scheint Citzalia dagegen durchaus das Nachdenken über die EU - und die Phantasie - angeregt zu haben. In einem Blog schlägt jemand vor, man könne das Projekt ja noch ausbauen - mit einem "Erweiterungspack Türkei".

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