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Die wunderbare neue Beziehungswelt des Homo Connectus: Eine Studie von Grey und Google

von , 20.10.10

Sie sind mitten unter uns und es werden immer mehr: Menschen, die permanent mit dem Internet verbunden sind. Auf manche wirken sie wie die Personen in einem Werbespot von Microsoft: Nicht vernetzt, sondern eher der Welt entrückt. Trifft das zu? Die Werbeagentur Grey Worldwide hat erstmals zusammen mit Google Deutschland eine Studie zum vernetzten Menschen erstellt. Unter dem Titel “Homo Connectus” wird der Frage nachgegangen, was ihn ausmacht, wie er Medien nutzt und seine Urteile bildet.

Altruistisch darf man sich diese Studie dennoch nicht vorstellen. Denn mit Grey und Google stehen zwei Unternehmen hinter “Homo Connectus”, die eine ganz entscheidende Frage eint: Wie muss moderne Werbung aussehen, damit sie diesen Homo Connectus erreicht? Es geht also um Markenkommunikation im Zeitalter der Digitalisierung und damit auch um sehr viel Geld.

Der Studie zufolge zeichnet sich der vernetzte Mensch dadurch aus, dass er ein Smartphone besitzt. Das kann man für eine Simplifizierung halten, aber eine leichte Unschärfe an den Rändern vermag auch den Blick auf den Kern der Sache zu verbessern. Dort findet sich der interessante Befund, dass dieser Mensch neuen Typs von einem inneren Zwiespalt geprägt wird: Einerseits will er immer erreichbar sein, andererseits fühlt er sich von der medialen Fülle, die ihn umgibt, hin und wieder genervt und überfordert.

Leider trennt auch diese Studie, ähnlich wie die unlängst erschienene Allensbacher Computer- und Technikanalyse (ACTA), nicht ganz sauber zwischen Medium und Kanal. Denn wer das mobile Internet über ein Smartphone nutzt, kann damit im Prinzip auch Radio hören oder sogar fernsehen. Die alten Frage-Schemata helfen im Prozess der Medienkonvergenz eben nicht weiter.

Interessant sind die Beispiele, die zeigen, dass das Internet kein eigenständiger Medienkanal (neben TV, Radio und Print) ist und keine Parallelwelt zum realen Leben, sondern etwas, das in immer stärkerem Maße Aspekte des täglichen Lebens unterstützt und erweitert. Praktisch können das Applikationen auf dem Smartphone sein, wie etwa Google Goggles, meistens aber sind es Dialoge mit Menschen:

“Der Homo Connectus ist nicht in erster Linie technisch vernetzt, sondern vor allem sozial. Durch die digitale Revolution werden Beziehungen intensiviert, moderiert oder erst geschaffen.”

Für die Werbung hat das gravierende Folgen. Denn der vernetzte Mensch ist kein passiver Konsument mehr, der sich medial “versorgen” lässt und dabei neben redaktionell erstellten Inhalten, seien es Nachrichten oder Unterhaltung, auch noch die Werbung zur Kenntnis nimmt. Zwar läuft der Fernseher heute länger denn je, aber der Homo Connectus hat eben immer auch einen zweiten Bildschirm zur Hand, über den er recherchieren, empfehlen, kommentieren oder (hinter-)fragen kann.

Auf diese Weise bleibt kaum etwas aus den Medien ohne Feedback und über alles legt sich der Schleier einer meinungsbildenden Konversation, über deren Intensität und Wirkung man sich in vielen Redaktionen und Werbeagenturen noch kaum bewusst sein dürfte. Das eigentlich Neue an ihr ist ihr Netzwerkcharakter, der Gedanken, Meinungen und spontane Appelle weit über das einzelne Wohnzimmer hinaus tragen und verstärken kann.

Was tun angesichts dieser neuen Realität? Die Studie empfiehlt den Spagat zu wagen, zwischen alten Mechanismen und radikal neuen Ansätzen. Sie betont richtigerweise, dass die neue, vernetzte Welt eben erst partiell da ist und dass die alte Welt der Massenmedien und der klassischen Werbung längst noch nicht zu Ende gegangen ist.

Für die neue Welt gilt die Losung: Zuhören und an der Konversation teilnehmen. Das Recht zu sprechen müsse erst “neu erworben werden”. Das ist ein erstaunliches Maß an Bescheidenheit und Einsicht, von der man nur hoffen kann, das sie so auch in der Praxis ankommt.

Die Stärke dieser Studie liegt denn auch eindeutig in den Beschreibungen und Empfehlungen für die Markenpolitik im digitalen Zeitalter.

“Menschen wollen nicht alles wissen. Aber sie wollen vertrauen können. Menschen vertrauen Marken, die zu ihrem Wort stehen. Die ändern was sie falsch gemacht haben. Die auf Augenhöhe kommunizieren und ihre Werte vertreten.”

Kritiker mögen einwenden, dass das nicht wirklich neu ist und in ähnlicher Form schon vor über 10 Jahren im Cluetrain-Manifest formuliert wurde. Allerdings kannten dieses Manifest damals nur wenige Menschen und Google war ein gerade frisch gegründetes Startup-Unternehmen mit noch ungewisser Zukunft.

In diesem Sinne ist es gut, wenn mit dieser Studie den Verantwortlichen in den Bereichen Marketing und Werbung einmal mehr vor Augen geführt wird, dass der vernetzte Mensch und mit ihm die digitale Gesellschaft heute andere Ansprüche an die Kommunikation stellen.

Was aber wird von der klassischen Werbung in Zukunft bleiben? Welchen Stellenwert wird die Bildkommunikation künftig noch haben? Bei Grey sieht man die Dinge nüchtern: “Die inhaltliche Relevanz steht über der Form“, sagt Christian Heuer, Co-Autor der Studie und Strategic Planner bei Grey. “Die Marke der Zukunft wird demnach zu ihrem Auftritt viel stärker über ihren konkreten Nutzen definiert, sowie dem was die Kunden und Fans einbringen.”

So gesehen wird die Marke zum Ergebnis eines zweiseitigen Prozesses werden, bei dem die Menschen im Grunde gemeinsam mit den Unternehmen die Markenführung übernehmen. Eine schöne Perspektive, aber ganz sicher wird es auch ein bisschen chaotisch und anstrengend werden.

Wer übrigens zwischen den Zeilen der Studie nach einer Perspektive für die Medien im publizistischen Sinn sucht, wird sicher etwas finden. Die Stichworte dazu sind: Konvergenz, Zersplitterung, Individualisierung und Demokratisierung.

Am Ende steht das große Wort “Beziehung” und damit ein anderes Menschenbild als jenes, welches das Marketing des 20. Jahrhunderts geprägt hat. Die digitale Gesellschaft ist damit so etwas wie ein Versprechen auf eine Zukunft mit mehr Beziehungen – intensiveren, aber auch komplexer zu handhabenden Beziehungen. Der vernetzte Mensch hat es jetzt buchstäblich selbst in der Hand.

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