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iPad-Fans im Glück: Was Apple-Jünger verzückt

Foto: Paul Sakuma/ AP

iPad im Test Apples Atemräuber

Nerds waren skeptisch: Was soll man mit einem iPad anfangen? Es gibt doch Smart-Handys und Netbooks, die alles besser können. Auch SPIEGEL-ONLINE-Korrespondent Marc Pitzke in New York zählte zu den Zweiflern. Bis er am Erstverkaufstag mitspielen durfte.

iPhone

Es ist schwerer als erwartet. Mit seinen 680 Gramm liegt einem das iPad ganz schön fest in der Hand. Ein "iPhone on steroids" haben die ersten US-Kritiker den neuen Tablet-Computer genannt, ein gedoptes, aufgepumptes . Und in der Tat: Auf den ersten Blick kann es wirklich nicht viel mehr als das iPhone auch - abzüglich des Telefonierens.

Apples

Doch ein Tag im SPIEGEL-ONLINE-Test zeigt: Das iPad ist viel mehr. Allem Zynismus zum Trotz, allem Widerstand gegen nervige Marketingshow: Das iPad kann (fast) alles, was ein iPhone oder ein iPod Touch auch kann - nur besser, schöner, atemberaubender. Es beschreitet alte Pfade und steuert zugleich ganz neue Ufer an. Es ist völlig überflüssig - doch nach wenigen Minuten will man ohne es nicht mehr leben. Es ist Steve Jobs' "Avatar".

Wie jedes Tech-Wunder der ersten Generation hat das iPad noch viel Raum für Verbesserungen. Es ist ein Nirwana mit Kommerzpotential: ein reines Nutzgerät, ein Wunderapparat zum Konsumieren statt Schaffen. Bei allem ist es jedoch, entgegen allen Unkenrufen, auf Anhieb eine Revolution, eine Zeitenwende - ob man sie will oder nicht.

Das beginnt bereits, wenn der Kunde es aus der schlichten, weißen Pappschachtel nimmt, begleitet vom typischen "new gadget smell", jenem unverwechselbar bitteren Geruch eines neuen Hightech-Spielzeugs. Nichts sonst ist in dem Karton drin. Kein Beipackzettel. Keine Gebrauchsanweisung. Als versichere Apple dem Novizen: Das kannst du schon alleine.

Die Hardware

Äußerlich wirkt das iPad tatsächlich wie der große Bruder des iPhones. Die gleiche filigrane Gestalt, 13,4 Millimeter dünn. Die gleiche sanfte, matt-metallene Rückfläche. Der gleiche funkelnde LED-Glasbildschirm, rund 19 mal 24 Zentimeter, mit öl-, fett- und schmiersicherer Schutzschicht. Fingerabdrücke sind sichtbar, lassen sich aber leicht entfernen, durch einfaches Wischen am Ärmel oder Hosenbein.

Kein Knopf, keine Tastatur stört die Eleganz der schwarzen Hardware. Der Home-Button ist, genau wie beim iPhone, diskret vorne unten eingelassen, daneben gibt es nur noch den Lautstärkeregler und eine winzige "Tastensperre" an der Seite sowie den An/Aus-Knopf rechts oben. Sobald man den drückt, ist aber, trotz der vergleichbaren Optik, sofort alles anders als beim iPhone - als sei man vom Stummfilm aufs 3-D-Imax-Kino umgestiegen.

Das iPad-Display, mit seiner 1024-mal-768-Pixel-Auflösung, strahlt einen an wie eine Megawatt-Großbildprojektion. Der virtuelle Schieber offenbart einen dem iPhone ähnlichen Home Screen, auf dem die einzelnen Apps und Funktionen erscheinen sowie die (bisher) vier Hauptprogramme (Safari-Browser, Mail, Fotos, iPod), angeordnet auf einem Dock, wie es jeder Mac-Fan kennt.

Und das großzügige Layout lässt ahnen: Hier ist mehr im Kommen.

Der 1GHz-A4-Chip des iPads sorgt dafür, dass hier alles enorm viel schneller flutscht als beim iPhone oder sogar beim MacBook Pro, dem bisherigen Vorzeigeprodukt Apples in Sachen transportabler Präsentation. Websites öffnen sich in Sekunden, Apps laden, kaum dass man blinzelt - und alles ohne Maus, die plötzlich zum Dinosaurier des Computerzeitalters wird.

Das Bild rotiert mit dem iPad mit, horizontal und vertikal. Man kann es sogar auf den Kopf kippen, wenn man seinem Gegenüber etwas zeigen will, durch einfaches "Flippen" des iPads. Das Bild flippt mit - und wieder zurück. Von allen Seiten und allen Positionen ist es gleich gut einzusehen, ob im Stehen, Liegen, Sitzen, auf dem Bauch oder auf dem Rücken.

Über die genaue Batteriedauer des iPads lässt sich Apple nicht konkret aus. Im SPIEGEL-ONLINE-Test - bei dem alle Funktionen mehrfach zum Einsatz kamen, darunter auch das Abspielen von Filmen und Fernsehserien - war nach zwölf Stunden gerade mal etwas mehr als die Hälfte der Batterie verbraucht.

Der Internetbrowser

Die rasante Prozessor-Geschwindigkeit des iPads kommt vor allem dem Safari-Browser zugute. Er drückt einem das Internet geradezu in die Hand - ein Gefühl, das einem kein Desktop-Computer geben kann. Die Funktionen und kleinen Tricks sind die gleichen wie beim iPhone-Browser: Websites lassen sich durch schlichtes Antippen der Links binnen Sekunden öffnen oder durchs "pinching" mit den Fingern vergrößern oder verkleinern.

Vorübergehender Nachteil: Die aktuelle iPad-Version funktioniert in den USA nur mit Wifi-Verbindung. Das begrenzt die Transportabilität: Selbst in der selbsternannten "Hauptstadt der Kommunikation", in New York City, sind die meisten Hot Spots noch gebührenpflichtig. Ein späteres Modell soll ans 3G-Mobilnetz gehen - ohne Bindung an die Knebelverträge von AT&T, unter denen das US-iPhone derzeit noch leidet.

E-Mail

Das iPad bietet einen renovierten Zwitter der bekannten Mail-Programme des iPhones und des Macs. Die Präsentation ist ansprechender und wesentlich smarter als in den vorherigen Versionen. Ein einfacher Druck mit dem Finger reicht zum Beispiel, um eine Mail zu speichern. Mail-Anlagen lassen sich allerdings nur ansehen, nicht herunterladen oder als Dokumente separat bearbeiten. Netter Trick: Adressen in E-Mails lassen sich durch simples Antippen auf einer Straßenkarte anzeigen.

Die Tastatur

Die virtuelle Tastatur des iPads ist zwar gewöhnungsbedürftig, da sie ganz neue, andere Tipp-Verzögerungen hat als ein physisches Keyboard. Aber sie ist auch viel besser zu bedienen als die berüchtigte Fingerfolter der ähnlichen, doch kleineren iPhone-Tastatur - sowohl in vertikaler (kleiner) wie auch horizontaler (großer) Darstellung, die einer realen Tastatur in kaum etwas nachsteht.

Derzeit beherrscht die Tastatur zehn Sprachen, die parallel laufen können: Englisch, Deutsch, Chinesisch, Holländisch, Flämisch, Französisch, Italienisch, Japanisch, Russisch und Spanisch.

Videos und Filme

Das phantastische High-Resolution-Display und die belastbare Batterie machen das iPad zum tragbaren Kino. Der iTunes-Store bietet einem das bekannte Repertoire an Filmen, TV-Serien und Musikvideos, doch auf dem iPad kommen sie viel frischer und brillanter daher als bisher, in einer Bildqualität, an die kein iPhone, kein MacBook und auch kein großer Mac herankommt. Filme können gekauft oder geliehen werden, Billigfilme gibt es schon ab 99 Cent - ideale Begleitung für den nächsten Langstreckenflug.

Die YouTube-App dagegen ist eine Enttäuschung, wie beim iPhone zeigt sie nur eine vorsortierte Auswahl, und die oft miese Qualität der Videoclips wird durch die Vergrößerung und die sonstige Qualität des iPads nur noch unterstrichen. Da bietet sich der Umweg über den Safari-Browser an.

Perfekt dagegen ist die Gratis-App des US-Filmleihdienstes Netflix: Jetzt lassen sich dessen Film-Abos auch auf dem iPad einlösen - ein noch kaum abschätzbarer Zukunftsmarkt.

Medien-Apps

Der App-Store fürs iPad ist im Moment noch vergleichsweise leer - pro Kategorie finden sich da etwa 50 Apps. Doch es ist zu erwarten, dass die Programmierer erst mal abwarten wollten, wie sich das iPad im ersten Kaufrausch macht. Der Store läuft wie beim iPhone über das iTunes-Konto des Kunden: klicken und kaufen.

Am meisten Wirbel und Spekulationen hatte es vorab um die möglichen iPad-Apps der US-Medienkonzerne gegeben. Kann das iPad die etablierten Medien aus ihrer Sinnkrise retten?

57 Medien-Apps hat das Premieren-iPad. Einige kosten einen geringen Betrag, andere sind gratis. Doch nur wenige der Großen wagen sich bisher auf dieses Feld. Das dürfte sich ändern.

Die Zeitung "USA Today" macht's allen vor. Ihre iPad-App zeigt (gratis), wie die Zukunft des Zeitungslesens aussehen könnte. Keine Print-Ausgabe, keine Online-Ausgabe, sondern die Summe der besten Elemente beider: flotter, eleganter - eine wahrhaft lebendige Zeitung. Noch verlinken die Artikel einen zwar nicht weiter, aber das kommt sicher bald auch.

Das "Wall Street Journal" ist auch schon dabei. Die App ist umsonst, doch sie bietet nur Teaser für die Artikel, den vollen Zugang ermöglicht allein - wie bei der WSJ.com-Website - ein Abo. Brillant die Videos innerhalb der Berichte, die einem auf dem iPad geradezu entgegenfliegen.

Die Rivalin "New York Times" wartet den iPad-Boom dagegen offenbar noch ab. Sie bietet bisher nur eine App namens "Editor's Choice" mit einer mageren Auswahl von Artikeln (am Wochenende waren es insgesamt neun). Ansonsten muss sich der Nutzer mit der alten iPhone-App zufriedengeben. Die lässt sich, wie alle iPhone-Apps, zwar auch aufs iPad synchen, erscheint jedoch dort in Original-iPhone-Größe.

Weiter nennenswert: Die iPad-App des US-Radiosenders NPR, quasi Bildungsfunk zum Herumtragen, und die App von BBC. Die App des TV-Networks ABC hingegen brach auf dem SPIEGEL-ONLINE-Testgerät stets zusammen.

iBooks

Die spektakulärste iPad-App ist iBooks, Apples Version des E-Book-Stores. iBooks steckt beim ersten Test noch spürbar in den Kinderschuhen und verlangt dringend nach einem Ausbau, doch schon jetzt degradiert das iPad damit Amazons Kindle über Nacht zur "älteren Generation". Der Kindle verhält sich zum iPad nun wie der PC zum Mac.

iBook funktioniert genauso wie iTunes oder der App-Store. Die Bücher kosten in der Regel zwischen 9,99 und 12,99 Dollar. "The Pacific", das neue Weltkriegspanorama des Historikers Hugh Ambrose, ist hier mit 9,99 Dollar um die Hälfte billiger als bei Amazon (17,79 Dollar).

Das Buchangebot ist noch relativ übersichtlich. Immerhin gibt es die gesamte aktuelle Bestsellerliste der "New York Times" (Sachbuch und Belletristik) sowie Dauerbrenner und alte Klassiker, die meisten sogar umsonst ("Alice in Wonderland", "Huckleberry Finn", "Sherlock Holmes", selbst Grimms Märchen auf Englisch).

"Courage and Consequences", die Memoiren des Bush-Beraters Karl Rove, sind ebenso zu haben wie der aktuelle Wahlkampf-Enthüllungsschocker "Game Change" oder Sarah Palins "Going Rogue". Das Herunterladen eines Buches dauert nicht mal zehn Sekunden. Der Leser kann sich dann Schrift und Schriftgröße seiner Wahl einstellen, virtuell blättern (ein sehr ansprechender Effekt und typisch Apple) und zwischen einzelnen Kapitel nach Herzenslust herumspringen. Das Potential ist unübersehbar, etwa auch für akademische Lehrbücher (die bisher noch fehlen) oder grafische, optisch opulente Werke.

"Das iPad ist seinen Preis allein wegen iBooks wert", jubelte Andy Ihnatko, der Tech-Korrespondent der "Chicago Sun Times" - völlig zu Recht. Und wer gerne auf der Seite liegend liest, kann die automatische iPad-Bildschirmrotation per Knopfdruck arretieren.

Andere Apps

Yellow Pages, die Gelben Seiten der USA, nutzen die Multifunktionalität des iPads: Ihre iPad-App ist eine geniale Mischung aus technologischer Spielerei und Nutzwert. Sie offenbart nicht nur Namen, Adressen, Telefonnummern und zugehörige GPS-Position (die des SPIEGEL-ONLINE-Testers erschien in zwei Sekunden), sondern auch, auf einen Fingerdruck hin, Kinos, Restaurants, Banken, Krankenhäuser und Ähnliches in der Nähe. Da fehlt nur noch eines - das eigentliche Telefonieren.

Wer gerne per Instant Message kommuniziert, wird in der iPad-Version der AIM-App neue Freude finden. Die dröge AIM-Liste wird da zum bildschirmfüllenden Spektakel. Gleiches gilt für die einzelnen Twitter-Apps (Twitterific, Tweetdeck): Schon auf dem iPhone eine Lust, lassen sie einen auf dem iPad nicht mehr los.

Auch Spiele bekommen auf dem iPad eine ganz andere Dimension - transportabler als auf dem Computer, besser als auf dem iPhone. Etwa ReMovem, das legendär-simple Schiebespiel: Das iPad macht's zum packenden Nervenkitzel.

3-D-Spiele wie Aurora Feint reißen einen mehr mit als auf einem richtigen Computer. Sie kommen einerseits strahlender, heller, realer daher - und ziehen einen andererseits tief ins Geschehen, da man sie direkt in der Hand hält.

Die herkömmlichen iPhone-Apps funktionieren auf dem iPad auch - allerdings eben nur in der Originalgröße eines iPhones. Zwar kann man sie mit einem Fingerdruck aufblasen, doch dann "verpixeln" sie bis zur Unschärfe. Da dürften die Hersteller aber schnell nachziehen.

Fotos

"Sie werden Ihre Bilder nie wieder im gleichen Licht sehen", verheißt Apple. Das stimmt: Fotos erscheinen auf dem iPad so klar und plastisch wie rückbeleuchtete Dias. Sie lassen sich ganz einfach über iTunes-Synch von jeder Festplatte importieren - oder auch direkt von der Kamera, via UBS-Kabel oder Chipkarte.

Die Foto-App des iPads hat ähnliche Elemente wie das herkömmliche iPhoto-Programm des Macs. Bilder können jedoch nur präsentiert werden, nicht bearbeitet. Diese Präsentation hat es allerdings in sich: Mit dem passenden Ständer wird das iPad zum elektronischen Bilderrahmen, dessen Inhalt sanft wechselt - bei Bedarf sogar mit passendem Soundtrack.

iPod

Das iPad ist gleichzeitig ein gigantischer iPod. Die Playlists sind ähnlich angeordnet, nur funktioniert auch hier alles viel schöner und feinfühliger als beim kleinen Stiefbruder. Der Sound ist vor allem mit Kopfhörern atemberaubend voll und tief, und mit Lautsprechern kann es das iPad mit jeder raumfüllenden Stereoanlage aufnehmen.

iTunes bietet auch auf dem iPad die Funktion iTunes U. Dort lassen sich Vorlesungen der besten US-Unis herunterladen. Darunter eine Podiumsdiskussion an der Stanford University zum trefflichen Thema: "Is News Journalism Under Siege?" - Befindet sich der Nachrichten-Journalismus im Belagerungszustand?

Das iPad könnte nun seine neue Hoffnung sein.