Zum Inhalt springen
Fotostrecke

"Black Swan": Dirty Dancing

Foto: 20th Century Fox

Tanzdrama "Black Swan" Ballerina brutal

Tanzen, üben, hungern, bis Körper und Geist versagen: In seinem Psychothriller "Black Swan" zeigt US-Regisseur Darren Aronofsky die Ballettwelt von ihrer grausamsten Seite. Natalie Portman brilliert als Primaballerina am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Noch ein jeté, noch ein demi-plié, noch einmal mit der geschundenen Fußspitze auf das harte Parkett, bis der Knochen schließlich nachgibt. Ein leises, aber so entsetzlich trockenes Krachen, das einem buchstäblich durch Mark und Bein geht. Die Tänzerin, blass, dünn, angestrengt verschwitzt, fällt mit einem Aufschrei zu Boden. Nicht so sehr vor Schmerz, vor allem aus Wut: Der Geist will üben, üben, üben, bis die komplizierte Tanzfigur perfekt ist, aber der Körper macht nicht mehr mit, knickt ein, bricht zusammen.

"Black Swan" heißt der neue Film von Darren Aronofsky, in dem der Regisseur die Geschichte der Primaballerina Nina Sayers erzählt, die endlich ihre große Hauptrolle erhält, an der psychischen und physischen Herausforderung jedoch zu scheitern droht. Erneut schafft es der Filmemacher, der zuletzt furios Mickey Rourke als alternden Wrestler inszenierte, mit furchterregendem Sounddesign und der suggestiven Kameraführung seines langjährigen Mitarbeiters Matthew Libatique, den Zuschauer körperlich in die Qualen des Leinwandpersonals zu involvieren. Man kauert sich in seinen Kinosessel bei jedem Knirschen der Gelenke, man schnappt zischend nach Luft, wenn sich die immer nervöser werdende Nina die Fingernägel bis aufs Blut herunterschneidet oder ihren grün und blau getanzten Zeh betastet. Aronofskys Kino ist immer auch Kino der psychischen Beklemmung und der körperlichen Grenzerfahrung, und mit "Black Swan" treibt der Filmemacher aus Brooklyn die Intensität seiner Bilder auf die Spitze.

Kratzspuren am Rücken

Nina, gespielt von Natalie Portman, ist eine der besten Tänzerinnen am so ehrwürdigen wie Ehrfurcht gebietenden Kunsttempel Lincoln Center in New York City. Doch sie wird schnell älter, und der Druck, endlich eine, die große Rolle zu landen, wächst ins Unermessliche. Als der französische Ballettmeister Thomas (diabolisch und viril: Vincent Cassel) eine Version des Tschaikowsky-Klassikers "Schwanensee" ankündigt, die "visceral and real", also ans Eingemachte gehen soll, ist es so weit: Nina soll beide Hauptrollen tanzen - die unschuldige, hehre Odette, aber auch ihren dunklen Gegenpart, die lustvoll-laszive Odile. Thomas traut ihr zunächst nur Odettes Part zu, fordert die verzagte, hyperkontrollierte Tänzerin jedoch heraus, sich ausnahmsweise mal fallen- und gehen zu lassen, um auch Odiles Rolle überzeugend auf die Bühne zu bringen.

Fotostrecke

"Black Swan": Dirty Dancing

Foto: 20th Century Fox

Als hätte Nina mit ihren eigenen Unsicherheiten und Hemmungen noch nicht genug zu tun, lauert auch noch die Ensemble-Newcomerin Lily (Mila Kunis), gerade eben aus dem Sündenpfuhl Los Angeles eingeflogen, auf die so anspruchsvolle wie prestigeträchtige Rolle. Lily ist das krasse Gegenteil der zarten, ätherischen Nina, eine extrovertierte Sexbombe mit lockeren Umgangsformen und verführerischem Charme, der auch Thomas nicht unbeeindruckt lässt. Auch daheim findet Nina wenig Ruhe, denn ihre obsessive Mutter (Barbara Hershey) hat das Ballett einst aufgegeben, um Nina zur Welt zu bringen - und lässt den Frust über die verpasste Karriere nun mehr oder minder subtil an ihrer Tochter aus. Als sie erfährt, dass Nina ihre große Chance bekommt, kauft sie eine fetttriefende Sahnetorte, um zu feiern - wohl wissend, dass Nina im Training kaum Kalorien zu sich nehmen darf und ohnehin ständig droht, der Bulimie zum Opfer zu fallen. Als die Tochter die Torte verweigert, baut Mutti so lange Psychodruck auf, bis Nina angeekelt zugreift.

Kein Wunder, dass die fragile Ballerina, die auch mit Mitte Zwanzig noch ein Kleinmädchenzimmer im Apartment ihrer Mutter bewohnt, wo eine Spieluhr auf dem Nachtschränkchen den berühmten Tschaikowsky-Schwanengesang abspielt, langsam aber sicher durchdreht. Eines Morgens entdeckt sie im Spiegel Kratzspuren auf ihrem Rücken, kann sich aber nicht erinnern, woher sie stammen. Später, gefangen in der Schizophrenie zwischen weißem und schwarzem Schwan, wird sie eine schwarze Feder aus den immer größer werdenden Wunde pulen.

Kein Sex, keine Kunst

Doch zu diesem Zeitpunkt, und so bleibt es bis zum blutigen Ende des Films, hat Aronofsky seinem Publikum bereits den sicheren Boden unter den Füßen weggezogen: Was ist noch real, was existiert nur noch in Ninas Phantasie? Gibt es die konkurrierende Lily wirklich, lässt sich Nina tatsächlich von ihr zu einem feuchtfröhlichen Club-Abend überreden, an dessen Ende die beiden Frauen Sex in Ninas rosa Kinderzimmer haben? Oder ist alles nur Halluzination eines bis zum äußersten gereizten, überforderten Geistes, eine Überidentifizierung mit der auferlegten Rolle, das totale Method Acting einer auf Perfektion gedrillten Tanzmaschine?

Vor allem amerikanische Kritiker warfen Aronofsky vor, sein zwischen Drama, Horrorschocker und Psychothriller changierender Film fiele zwischen zu vielen verschiedenen Stühlen ins Bodenlose. Andere bemäkelten, die Symbolik - Schwarzweiß-Farbcode, überall Spiegel, hektische Handkamera - sei so aufdringlich und plakativ, dass jeglicher Kunstanspruch verpuffe. Tatsächlich verzichtet Aronofsky weitestgehend auf Subtilitäten, um seine Geschichte des brutalen Ballettbetriebs zu erzählen. Stattdessen macht er die Quälerei, der sich junge Frauen zu Tausenden unterwerfen, um die perfekte Körperhaltung, die größtmögliche Beherrschung zu erlangen, auf drastische Weise nachfühlbar, auch wenn am Ende die ziemlich banale Erkenntnis steht, dass mit Kontrolle keine Sinnlichkeit, ohne Triebhaftigkeit keine Lust auf die Bühne gezaubert werden kann: Kein Sex, keine Kunst.

Aber wie in jedem guten Genrefilm ist die Botschaft zweitrangig, wenn der Thrill stimmt. Und Aronofsky schafft es einerseits, einen nervenzerrenden Thriller im Stile Alfred Hitchcocks und Brian De Palmas zu erschaffen, und andererseits einen schonungslosen Blick hinter die Kulissen der Ballettwelt zu werfen, der weitaus mehr an Stress, Druck und Schmerz entlarvt als das ewige Ballerinendrama "Die roten Schuhe" von 1948, das natürlich auch hier als Referenz herhalten muss. Kaum eine Kunstform wird mehr bewundert als das Ballett - vielleicht, weil es ein künstlerisches Genre ist, das nicht so vergleichsweise leicht zu erobern ist wie Gesang oder Schauspiel. Wer nicht als Kind bereits anfängt mit der Formung und Schinderei des eigenen Körpers, hat keine Chance, Teil eines besseren Ensembles zu werden, von Weltruhm ganz zu schweigen. "Black Swan" zeigt diese Perfektionsmühle als Höllenmaschine, in der junge Frauen, an ihrem Ehrgeiz, ihren ureigenen Komplexen um Körperlichkeit und Sexualität gepackt - und um den Verstand gebracht werden, wenn sie nicht stark genug sind.

Realität und Leinwandgeschehen verwischen

Man kann dieses Bild herunterbrechen auf viele andere Bereiche des Kunstbetriebs: Anders als Nina geht es auch den zahllosen Kandidaten von "Deutschland sucht den Superstar" nicht. Oder den Aspiranten beim Vorsprechen des "Hamlet" an einer großen Theaterbühne. Auch Aronofsky selbst führt hier ein Selbstgespräch: Nach seinen ähnlich verstörenden ersten beiden Filmen "Pi" und "Requiem for a Dream" wurde er als neuer Star des Independent-Kinos gefeiert, dann versuchte er, mit dem verquasten Liebesdrama "The Fountain" den perfekten Film zu drehen - und scheiterte grandios. Erst mit "The Wrestler", der Geschichte eines alten Kämpfers, der noch einmal ein Comeback versucht, gelang ihm, viele Nummern kleiner, erneut ein großer Wurf.

Wie im "Wrestler", wo sich die Rolle von Randy "The Ram" Robinson mit der echten Biografie des Schauspielers Mickey Rourke vermischte, ist es auch in "Black Swan" die spürbare Konzentration und Verbissenheit, mit der Natalie Portman ihre Nina Sayers gibt, die letztlich den Film in die Realität transportiert: Portman, selbst Balletttänzerin seit Jugendjahren, trainierte monatelang, um die Tanzszenen selbst absolvieren zu können. Zwar zeigt die Kamera hauptsächlich Kopf, Rumpf und Schultern, selten ihre Beinarbeit, und doch sieht man in jeder Szene, wie echt die Anstrengung ist, wie groß die Verzweiflung, an der Herausforderung dieser wohl größten und intensivsten Rolle ihrer Karriere zu scheitern. So ist der gnadenlos manipulative Ballettmeister Thomas ein bisschen auch der Filmregisseur Darren Aronofsky, der seine Darsteller bekanntermaßen gerne zu Höchstleistungen antreibt - und die ehrgeizige Tänzerin Nina ist zum großen Teil auch die nach Höherem strebende Schauspielerin Natalie Portman.

Anders als für den sterbenden Schwan Nina scheint sich die Anstrengung für Portman durchaus auszuzahlen: Am vergangenen Sonntag wurde sie mit einem Golden Globe für die beste Hauptrolle ausgezeichnet, in wenigen Wochen könnte der Oscar folgen. Es wäre ihr erster. Gut, dass sie sich nicht wirklich ein paar Knochen brechen musste, um so weit zu kommen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.