You are on page 1of 2

Deutschland

Die Deutschen und ihr Protest: In der vergangenen die sich der Moderne entgegenstellen. In dieser
Woche (SPIEGEL 41/2010) schrieb Dirk Kurbjuweit über Woche antwortet Barbara Supp: Keine Egoisten protes-
„Wutbürger“, Mitglieder einer alternden Gesellschaft, tieren in Stuttgart, sondern Menschen mit Bürgersinn.

E S S AY

D� � M�� ������
D� � P��� ��� � ���� � S��� ����� 21 �� � � �� � S���� � �� �� � D���� ��� � � .
V�� B������ S ���

A
ch ja, sie sind egoistisch, saturiert und zukunftsvergessen, So wird ein altes Mittel wiederbelebt; die Straße als Massen-
sie sind wohlstandsverwöhnt und unduldsam, bequem medium, die Demonstration als Botschaft: Wir sind viele. Und
und gleichzeitig von Hass erfüllt, sie sind alt, sie wollen wir wollen etwas anderes als ihr.
den Status quo verteidigen, und deshalb sind sie gefährlich. So Das Kulturmuster friedliche Straßendemonstration – die
werden sie beschrieben von denen, die nicht mögen, was sie Deutschen haben es vor 100 Jahren entdeckt, im Kampf gegen
tun: dass sie im Stuttgarter Schlossgarten, am Stuttgarter Bahn- das Dreiklassenwahlrecht in Preußen. Damals gingen ernste
hof demonstrieren, Woche für Woche, seit einem Jahr. Dieser Menschen im Sonntagsstaat auf die Straße, lernten Regeln wie
Bahnhof soll gedreht und unter die Erde gelegt werden, sie „den Anweisungen der Ordner ist Folge zu leisten“ und dass es
wollen das nicht, und wenn man ihnen den Willen lässt, so ist falsch wäre, Blumenbeete zu zertreten, auch Sand auf Polizei-
von Regierungsparteien zu hören, ist das eine „Demontage des pferde zu werfen diene der Sache nicht. Damals war die Bot-
Rechtsstaats“. Sie gefährden die Demokratie. schaft: Wir wollen das Wahlrecht. Die Botschaft heute lautet:
Sie sind Zehntausende und Das Wahlrecht allein kann echte
manchmal sogar mehr als hun- Teilhabe nicht garantieren.
derttausend, und manche von Es ist die Sprache der Körper:
ihnen schreiben schlechte Ge- Wir sind viele, und wir könnten
dichte über Bäume und deren auch anders. Aber wir tun es
Schmerz, aber das ist das nicht. Es ist eine Mischung aus
Schlimmste, was man ihnen vor- Druck und Eindruck, ein Spiel
werfen kann. mit Regeln, mit Regelübertretun-
Es ist ein Segen, dass es sie gen auch, doch gewaltfrei, das ist
THOMAS NIEDERMÜLLER / ACTION PRESS

gibt. Für die Demokratie. entscheidend. Fliegen Steine und


Im Stuttgarter Streit inszeniert Brandsätze, dann tritt in der Be-
sich die Stadt als Bühne, auf der richterstattung das Anliegen hin-
verhandelt wird über den Rechts- ter der Methode, dem Krawall
staat. Die Stuttgarter Demon- nämlich, zurück.
stranten sind Ankläger und An-

W
geklagte zugleich. eil es keine vermumm-
Ihr protestiert, sagt man ihnen, ten Autonomen, son-
obwohl das Projekt Stuttgart 21 Demonstranten in Stuttgart dern unter anderem
über Jahre durch alle politischen Schulkinder waren, auf deren
Instanzen ging. Es ist die Sprache der Körper. Körper die Polizei im Schlossgar-
Ihr protestiert, warum nicht Wir sind viele. Wir wollen euch nicht mehr. ten ihren Wasserwerfer richtete,
früher? war es nicht die Landesregierung,
Ihr protestiert, weil ihr alt seid und das Neue fürchtet. Ihr nutzt die von jenem blutigen Tag profitierte. Im Kampf um die Bilder
eure wachsende Zahl und macht den Jungen die Zukunft kaputt. und die Moral kann derjenige, von dem nachweislich Gewalt
Wer tatsächlich dort ist, im klaren Herbstlicht an einem Mon- ausgeht, nur verlieren.
tagabend in jenem Park, wo elf Tage zuvor mit Wasserwerfern In Stuttgart schreiben sie Gedichte, sie beten, sie binden Ted-
und Pfefferspray Demonstranten vertrieben wurden, um die dybären an Platanen, übernachten als Wachposten auf und un-
ersten Bäume zu fällen, sieht neben Schülern und Geschäfts- ter Bäumen, sie rufen Parolen, und manchmal blockieren sie
anzugträgern und Kinderwagenmüttern auch graue Zausel und Straßen. Sie haben in Workshops gelernt, friedlich zu sein, und
Großmütter. Das stimmt, aber neu ist das nicht. wenn einer durchdreht, versuchen sie ihn einzufangen. Wer
Im Streit um die Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, sie treffen will, muss sie dazu bringen, ihre Friedlichkeit zu
in den achtziger Jahren, planten betagte Bäuerinnen ihr Ver- verlieren. Es gibt ja jetzt auch Anti-Anti-Stuttgart-21-Demon-
halten für den Fall, dass sie verhaftet würden. Auch in der Men- stranten. Bis jetzt joggen sie nur für Stuttgart 21, aber wer weiß.
schenkette auf der Schwäbischen Alb waren die Grauen gut In Stuttgart sind die Anti-Antis eine Minderheit auf der Stra-
vertreten, und Heinrich Böll war kein Jungspund, als er sich ße. In Stuttgart hat sich eine neue außerparlamentarische Op-
am Atomwaffendepot Mutlangen zur Sitzblockade niederließ. position gebildet, gegen eine übergroße Koalition, gegen CDU
Nein, verändert hat sich anderes. Verändert hat sich, dass die und FDP, die Regierungsparteien, aber auch gegen die SPD,
Mitte der Gesellschaft mit mehr Misstrauen betrachtet, wie ihre die in der Bahnhofsfrage jahrelang eindeutig an der Seite der
Regierungen regieren. Dass die Menschen das Kleingedruckte Schwarz-Gelben stand. Die an Wörter wie „Zukunft“ glaubte,
verlangen über Ursachen, Risiken und Nebenwirkungen von an die „Modernität“ und sich einmal nicht dieser Modernität
Beschlüssen, weil sie den politischen Sprachformeln nicht trauen. entgegenstellen wollte, einmal an der Seite der Gewinner sein.
42 � � � � � � � � � � 4 2 / 2 0 1 0
Und die nun, da Zehntausende auf der Straße sind, nicht mehr Jetzt, seit diesem Sommer vor allem, kamen durch überre-
weiß, was sie will. gionale Medien neue Fakten auf den Tisch, Gutachten, Papiere,
und vieles davon war nicht nur dem Volk, sondern auch Volks-

S
eit drei Jahren demonstrieren sie zu Tausenden in Stuttgart, vertretern nicht bekannt.
seit einem Jahr jeden Montag, seit diesem Sommer zu Zehn- Es gibt eine Wirtschaftlichkeitsrechnung der Bahn für Stutt-
tausenden, montags, mittwochs, samstags, warum erst jetzt? gart 21, für das Tieferlegen des Bahnhofs also und die ebenfalls
Das Projekt Stuttgart 21 ist fast 20 Jahre alt, warum so spät? geplante Neubaustrecke Stuttgart–Ulm. Noch SPD-Verkehrs-
Die Idee kommt aus England, aus den achtziger Jahren zur minister Tiefensee hatte sie in Auftrag gegeben. Was darin
Zeit des Immobilienbooms; damals sollten in London St. Pan- steht, so erfuhren die Grünen auf dem Weg der Kleinen Anfrage,
cras und King’s Cross unter die Erde, was dann doch nicht ge- darf man nicht erfahren.
schah. Jetzt sind diese Bahnhöfe gläserne Kathedralen, lichte Nicht die Öffentlichkeit.
Empfangshäuser für die Stadt. Nicht ihre gewählten Vertreter, also das Parlament in Berlin.
Von Anfang an gab es die Ablehnung bei denen, die ihren Nicht der Verkehrsausschuss, nicht einmal teilgeschwärzt,
Kopfbahnhof behalten wollen, diesen denkmalgeschützten Bau, weil die Deutsche Bahn es nicht will – die Bahn, ein Staats-
ebenerdig, in dem Anschlusszüge warten können und man betrieb, der zu 100 Prozent dem Steuerzahler gehört.
nicht über Treppen muss von Gleis zu Gleis. Bei denen, die Nicht einmal unter der Bedingung der Geheimhaltung, wobei
ihre bis zu 200 Jahre alten Bäume im angrenzenden Schlosspark das ohnehin sinnlos wäre. Was nützt es, wenn sie das Papier
nicht opfern wollten, Bäume, die selbst den Krieg und die eisi- kennen und können es mit niemandem diskutieren?
gen Nachkriegswinter überstanden hatten. Bei denen, die nicht Volksvertreter, die nicht wissen dürfen, worüber sie befin-
unterirdisch verschickt werden wollen wie Rohrpost, sondern den – das ist die wahre Krise der Demokratie.
anreisen wie Bürger, oberirdisch, mit Blick auf die Stadt. So wächst das Misstrauen weiter, und der Glaube schwindet,
Dass Stuttgart 21 kommen würde, daran glaubten viele jahre- bei einer Vermittlungsmission Heiner Geißlers kämen nicht nur
lang nicht. In 25 deutschen Städten gab es solche Pläne der alle Seiten zu Gesprächen, sondern auch alle Fakten auf den
Bahn, überall wurde die Idee verworfen – teuer, kein Fortschritt Tisch. Und zwar so, dass man sie tatsächlich diskutieren kann.
für die Stadt. Und auch im Fall Stuttgart erklärte 1999 der da- Führungsschwäche, so heißt das immer, wenn es in Kabinet-
malige Bahn-Chef Ludewig: Machen wir nicht. Das war’s. ten oder Parlamenten echte Diskussionen gibt, wenn unter-
Kritik gab es von Beginn an, Demonstrationen gab es erst schiedliche Meinungen bekannt werden und Alternativen er-
nicht. Seltsam wäre es, würden Tausende jedes Mal auf die Straße wogen, und auch Angela Merkel hat nun ihr „Basta“ gesagt.
gehen wegen Projekten, die viel- Stuttgart 21 müsse kommen,
leicht kommen und vielleicht sonst sei Deutschland unregier-
nicht, das würde bedeuten: Dauer- bar, und Europa sei in Gefahr.
alarm. Schlagzeilen würden kla- Wenn dieses Großprojekt nicht
gen: „Die hysterische Republik“. komme, dann könne man keines
Jetzt erst protestieren so viele, mehr bauen, behauptet Merkel.
weil die Verträge zwischen Bahn, Ein seltsames Argument. Als Kal-
Stadt und Land tatsächlich unter- kar gestoppt wurde, der schnelle
zeichnet, weil juristische Einsprü- Brüter, oder die Atomanlage Wa-
che gescheitert sind. Und weil ein ckersdorf, war die Demokratie
Volksentscheid, vor drei Jahren, nicht am Ende. Sie hatte nur sinn-
mit juristischen Winkelzügen ver- lose Großprojekte verloren.
weigert wurde. So legt der Stuttgarter Protest
PEER GRIMM / DPA

Das neue Misstrauen, es nährt tatsächlich den Finger auf die


sich aus der Geschichte der ver- Wunde: das Fehlen von Trans-
gangenen Jahre: Der Glaube an parenz in dieser Demokratie.
die sogenannten Eliten der „Informed Consent“, so heißt
Gesellschaft hat gelitten, in der Stuttgart-21-Vertragsunterzeichner 2007* das in der Medizin, wenn der
Finanzkrise, und davor schon Mensch tatsächlich über Gründe,
wegen Gerhard Schröders „Bas- Die Bürger fordern das Kleingedruckte. Risiken und Nebenwirkungen ei-
ta“-Politik. „Alternativlos“, so Ihr Vertrauen haben sie verloren. ner Operation aufgeklärt wird.
nannte Schröder gern seine poli- „Informed Consent“, das ist es,
tischen Beschlüsse. „Projekt ohne Alternative“, so steht es in was der Stuttgarter Protest verlangt. Mehr noch, informieren
den S-21-Werbebroschüren der Bahn. Von „Kommunikations- allein genügt nicht. Was gebaut werden soll, muss sinnvoll sein.
problemen“ ist ständig die Rede, und das heißt: Das ist groß- Der Wunsch ist, dass Parlamentarier tatsächlich immer wis-
artig, was wir hier planen. Ihr seid nur zu schlicht, um es zu sen, wofür sie stimmen und warum. Dass sie es wissen wollen
verstehen. und wissen dürfen, womöglich gar frei vom Fraktionszwang,
Stuttgart 21 stehe für Zukunft, für Moderne, sagen sie. Die offen für Diskussion. Dann, vielleicht, könnte das Urteil nach
im Park bezweifeln das. einer politischen Entscheidung lauten: Sie ist nicht nur gesetz-
Ein unterirdischer Bahnhof mit 8 Gleisen statt früher 17. Ein lich legitimiert, sie ist auch legitim.
Gutachten renommierter Schweizer, die künftig ein Nadelöhr se- Die Krise der repräsentativen Demokratie – dagegen hilft
hen für den Verkehr. Tunnelbauten, die durch hochriskanten Un- nicht Basta, sondern das Gegenteil eher: frühe Bürgerbeteili-
tergrund zu graben sind. Zugstrecken, die so steil bergauf nach gung, Volksentscheide, das ist die Erkenntnis, die sich von Stutt-
Ulm führen sollen, dass viele Güterzüge sie nicht nützen können. gart aus zu verbreiten beginnt.
Kosten, die von ursprünglich geplanten 4,5 Milliarden auf bis zu Das ist die Botschaft, letztlich, dieser Tage im klaren Herbst-
11 Milliarden gestiegen sind, je nach Gutachten – alles dafür, dass licht des Stuttgarter Schlossgartens, wo es jetzt abends kühl
man 18 Minuten schneller in München ist als vor 15 Jahren. wird und wo sie immer noch stehen und Reden und Gesänge
anhören. Die Schüler, die Mütter, die Anzugträger und die Alten
* Oberbürgermeister Wolfgang Schuster, Ministerpräsident Günther Oettinger, Bun-
mit künstlicher Hüfte, die Bequemen, die Egoistischen und
desverkehrsminister Wolfgang Tiefensee, Bahn-Chef Hartmut Mehdorn, Regional- Wohlstandsverwöhnten, wie es heißt – Gutbürger. Mutbürger.
direktor Bernd Steinacher. Die Bürger, die er in Wahrheit braucht, dieser Staat. �
� � � � � � � � � � 4 2 / 2 0 1 0 43

You might also like