Das Spiel, der Staat, die Sucht und das Geld — eine Übersicht
Was hat Glück mit dem Staat zu tun oder gar mit Sucht? Will der Staat, wie geneigte Internetnutzerinnen und -nutzer nicht selten fürchten, nun auch zuständig sein für das Glück des Einzelnen? Gibt es vielleicht einmal mehr Anlass, auf Staat, Bürokratie und Politiker einzudreschen, wie es in den Leserforen von Spiegel-Online und ZEIT bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten gern geschieht. Nein, es geht nicht um staatliche Glückszuteilung und auch nicht um die Freiheit des Spiels, das, wie interessierte Kommentatoren betonen, doch schon im Kind angelegt ist. Stattdessen geht es um berechenbaren Erfolgschancen, um weitgehend unsichtbare staatliche Regulierung, um Interessenten und Lobbyisten — und um richtig viel Geld.
Die staatliche Regulierung des Glücksspiels ist ins Rutschen geraten. Anlass ist das Anfang September vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) in der bisherigen Form in Frage gestellte deutsche Glücksspielmonopol. Der EuGH war nach zahlreiche Klagen von privaten Wettanbietern gegen den deutschen Glücksspielstaatsvertrag angerufen worden. Mit diesem Glücksspielstaatsvertrag, den kaum ein Mensch kennt, hatten sich die Länder in Deutschland insbesondere darauf verständigt, die Werbung für Glücksspiel stark einzuschränken und Internet-Glücksspiele ausnahmslos zu verbieten. Der EuGH hat zwar nun zugestanden, dass es zulässig sei, den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit, mithin gewissermaßen europäische Grundrechte, grundsätzlich zu beschränken, wenn dies dem Allgemeinwohl diene. Zum Allgemeinwohl gehört dann aber auch die Bekämpfung von Spielsucht. Deutschland unterlaufe dieses Ziel jedoch durch zu viel Werbung für Glücksspiele. Auch werde in staatlich ungeregelten Bereichen, nämlich den zahlreichen privaten Spielhallen, eine Suchtgefährdung einfach hingenommen. „Unter diesen Umständen”, so der EuGH, “ ist ein staatliches Monopol nicht mehr gerechtfertigt”.
Dann, so FDP und CDU in Schleswig-Holstein, sei es doch wohl sinnvoll, gleich klar Schiff zu machen und Monopol samt Beschränkungen zugunsten eines Konzessionsmodells aufzugeben. “Oh nein” ruft die sozialdemokratische Opposition, damit werde doch nur der Glücksspielwirtschaft gedient, und wo, bitteschön, bleibt der Schutz vor der Sucht?
Da gibt es einigen Klärungsbedarf. In Teil eins zunächst die Fakten:
Der Glücksspielstaatsvertrag hat in der Tat nur einen Teilbereich geregelt.
Nicht hiervon berührt werden etwa Spielautomaten, die juristisch nicht dem Glücksspiel zugeordnet werden. Ihre Zahl ist in den letzten Jahren geradezu explodiert. Der Umsatz der Spielautomaten macht mittlerweile nach Expertenschätzungen einen wachsenden Teil des Spielumsatzes aus. Er betrug in 2010 bundesweit rund 3,1 Milliarden Euro. Dies sind etwa ein Drittel mehr als 2008 und sogar 69 % mehr gegenüber dem Jahr 2006. Gerade in Schleswig-Holstein ist die Zahl der Spielautomaten in den letzten Jahren drastisch angestiegen: Von 3680 im Jahr 2006 auf über 4500 in 2010. Damit hat Schleswig-Holstein nach Rheinland-Pfalz einen Spitzenplatz bei der Zahl der Automaten je Einwohner inne, wie der Arbeitskreis gegen Spielsucht ermittelt hat: Bei uns entfällt auf 339 Einwohner ein Automat, bundesweit sind es 470.
Der Markt für Sportwetten wird auf mindestens 1,7 Milliarden Euro geschätzt, ein Großteil davon läuft über ausländische Anbieter im Internet. Dieser Markt ist weitgehend ungeregelt. Sie unterstehen lediglich der Aufsicht der örtlichen Ordnungsbehörden. Klagen und Schließungsverfügungen gegen Veranstalter, die Wettbüros (40 in Schleswig-Holstein) betreiben, sind nach dem EuGH-Urteil erst einmal auf Eis gelegt. Sportwetten bergen nach Ansicht von Experten die Gefahr, eigenes Wissen über mögliche Ergebnisse zu überschätzen, je nach Ausgestaltung ist ihr Suchtpotential unterschiedlich.
Das Glücksspiel im Internet ist trotz Verbots alltäglich präsent. Casino/Roulette, Sportwetten und Lotterien sind de facto frei verfügbar, mit wachsenden Umsätzen. Allein das Online-Pokerspiel verzeichnet alltäglich mindestens 40.000 Teilnehmer, beim Schreiben dieses Artikels meldet die einschlägige Informationsseite der Branche 87.541 Spieler. Das Marktvolumen des Pokerspiels wird auf 7,8 Milliarden geschätzt. Es gibt eine Reihe von Anbietern, sämtliche im Ausland. Das Geschäft geht unreguliert am Staat vorbei. Der Bericht der Landesregierung zur Situation des Glücksspiels stellt hierzu fest: “Trotz aller Bemühungen der Glücksspielaufsichtsbehörden ist es bisher jedoch noch (!) nicht gelungen, unerlaubte Internetangebote aus dem Ausland wirksam zu unterbinden.” (S. 29)
Spielbanken, also insbesondere Roulette, aber auch Black Jack und das “kleine (Automaten-)Spiel sollen bundesweit mit rund einem Drittel der Umsätze des Glücksspiels dabei sein. In Schleswig-Holstein ist der Umsatz der fünf Spielbanken, allesamt Töchter der Investitionsbank als öffentlicher Träger, mit 21,4 Millionen Euro in 2009 allerdings durchaus überschaubar. Seit 2007 ist der Umsatz stark zurückgegangen, damals waren es noch fast 30 Millionen Euro. Das Suchtpotential ist nach Untersuchungsergebnissen der Forschungsstelle Glücksspiel der Uni Hohenheim vergleichsweise — insbesondere gegenüber den frei aufgestellten Spielautomaten — gering. Zum einen sind Spielbanken nicht, wie Spielhallen, überall verfügbar, zum anderen begrenzt auch ein Sperrsystem mit Kontrollen den Zugang für Suchtgefährdete — letzteres mag zugleich zu den sinkenden Umsätzen beigetragen haben.
Das öffentliche, als Monopol organisierte Glücksspiel, vor allem Lotto und Toto, hatte einem Bericht der Landesregierung zufolge in den vergangenen Jahren, einen erheblichen Umsatzrückgang zu verzeichnen. Beim NordwestLotto Schleswig-Holstein sank der Gesamtumsatz von 314 auf 245 Millionen Euro in 2009, beim Samstagslotto von 138 auf 108 Millionen. Ein Teil der Verluste erklärt sich dadurch, dass die Spielvermittlung im Internet nicht mehr erlaubt ist. Ein anderer Teil dürfte auf Einschränkung der Werbung, bessere Informationen über Gewinnchancen, Einführung eines Sperrsystems und vermutlich auch den geringeren “Kick” dieser Spielvariante zurückzuführen zu sein. Zugleich entfaltet Lotto nur ein vergleichsweise geringes Suchtpotential (dennoch ist es erstaunlich, dass es Menschen gibt, die ihr Sparkonto in der Hoffnung auf den Jackpot leerräumen).
Mit Steuern und Abgaben auf das Spiel werden erhebliche Einnahmen erzielt. Das Gesamtvolumen der Einnahmen des Landes betrug in 2009 knapp 48 Millionen Euro Lotteriesteuer zuzüglich rund 60 Millionen Euro Zweckabgaben, die für Natur- und Umweltpflege, Wohlfahrt, Kultur und insbesondere Sport, aber auch Suchtprävention verwendet werden müssen. Dies ist aber noch nicht alles: Hinzu kommen Einnahmen aus der Spielbankabgabe nebst Zusatzabgabe (insgesamt 14 Millionen Euro in 2009), die ebenfalls für gemeinnützige Zwecke verwendet werden müssen.
Allerdings hat die zurückgehende Lotto-Spielfreude unmittelbare Auswirkungen auf die Landeskasse. So sanken die Einnahmen aus der Lotteriesteuer von 2006 bis 2008 von 56 auf 47 Millionen Euro. Die Zweckabgaben, mit denen zum Beispiel der Sport, der Naturschutz, Kultur- und Jugendprojekte oder der Kampf gegen Spielsucht finanziert werden, brachen ebenfalls ein: von 68 auf 59 Millionen Euro Und die Spielbankabgaben gingen um 3,7 Millionen Euro zurück.
“Die einzige Möglichkeit, ein Spielkasino mit einem kleinen Vermögen zu verlassen, besteht darin, es mit einem großen zu betreten.” — Mireille Darc
Die Gesamtzahl der pathologischen Spieler in Deutschland wird in zwei Erhebungen übereinstimmend mit rund 100.000 angegeben (vgl. Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (PDF-Dokument)). Pathologischer Spieler zu sein ist kein Spaß. Glücksspiel wird zu einem zentralen Lebensinhalt, es beherrscht das Leben der Betroffenen. Sie richten ihr Leben so ein, dass alle anderen Interessen zunehmend dem Glücksspiel untergeordnet werden. Sobald mit dem Glücksspiel begonnen wird, verlieren die Spieler ihre Kontrolle über ihr Spielverhalten. Vorsätze, nur einen bestimmten Betrag zu verspielen, werden nicht eingehalten. Abstinenzversuche sind erfolglos. Ein dauerhafter Verzicht auf das Spielen erscheint den Betroffenen unerträglich. Fehlen die finanziellen Mittel für das Glücksspiel treten entzugsähnliche Erscheinungen auf (innere Unruhe und Reizbarkeit, Ungeduld, Konzentrations- oder Schlafstörungen etc.); Folgeschäden sind Konflikte mit Angehörigen, Schuldgefühle, Verheimlichung des Spielens, Verstrickung in ein Netz von Lügen und Vorspiegelungen, zunehmende Verschuldung, Verlust des Überblicks über die finanzielle Situation.
In den letzten Jahren hat insbesondere die Zahl der Spielsüchtigen im Bereich der Spielautomaten stark zugenommen. Nach einer Untersuchung der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim haben Geldspielautomaten mit Abstand die größte Bedeutung für krank machendes Spielverhalten: Für rund 80 Prozent der Betroffenen sind Geldspielautomaten das größte Problem, darunter 69 Prozent Geldspielautomaten in Spielhallen/Gaststätten und 11 Prozent in Spielbanken.
Aus Spiel wird Elend. Ein guter Grund also, das Glücksspiel zu reglementieren. Oder steht dem nicht doch der freie Zugang zum Netz entgegen? In Frankreich wird diese Kontroverse gegenwärtig ausgetragen. Dort wird mit allen Mitteln versucht, den Zugang zum Glücksspiel im Netz für nicht lizenzierte oder ausländische Anbieter zu sperren. Provider sind verpflichtet, per IP-Adresse, Domain, URL oder Deep Packet Inspection (DPI) zu filtern, um sicherzustellen, dass ausschließlich bei in Frankreich zugelassenen Online-Plattformen gespielt werden kann.
Die Aufgabe ist nicht einfach: Spaß am Spiel, Netzfreiheit, Suchtgefahr und wohl auch staatliche Einnahmen müssen politisch in eine Balance gebracht werden. Welche Konzepte die Parteien und schleswig-holsteinischen Landtagsfraktionen hierzu verfolgen, wird in Teil zwei näher beleuchtet.
In dem Text wimmelt es von Zeichensetzungs- und Rechtschreibfahlern!
Sollte man so einen Text nicht erst einmal ausgiebig prüfen, bevor man ihn veröffentlicht?
Pingback: Der Glücksspielstaatsvertrag ist kein Glücksfall | Landesblog Schleswig-Holstein