Mehr Glück und Geld oder mehr Freiheit und Elend?

Von | 17. Oktober 2010

Das Spiel, der Staat, die Sucht und das Geld — eine Übersicht

Was hat Glück mit dem Staat zu tun oder gar mit Sucht? Will der Staat, wie geneig­te Internetnutzerinnen und -nut­zer nicht sel­ten fürch­ten, nun auch zustän­dig sein für das Glück des Einzelnen? Gibt es viel­leicht ein­mal mehr Anlass, auf Staat, Bürokratie und Politiker ein­zu­dre­schen, wie es in den Leserforen von Spiegel-Online und ZEIT bei allen pas­sen­den und unpas­sen­den Gelegenheiten gern geschieht. Nein, es geht nicht um staat­li­che Glückszuteilung und auch nicht um die Freiheit des Spiels, das, wie inter­es­sier­te Kommentatoren beto­nen, doch schon im Kind ange­legt ist. Stattdessen geht es um bere­chen­ba­ren Erfolgschancen, um weit­ge­hend unsicht­ba­re staat­li­che Regulierung, um Interessenten und Lobbyisten — und um rich­tig viel Geld.

Die staat­li­che Regulierung des Glücksspiels ist ins Rutschen gera­ten. Anlass ist das Anfang September vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) in der bis­he­ri­gen Form in Frage gestell­te deut­sche Glücksspielmonopol. Der EuGH war nach zahl­rei­che Klagen von pri­va­ten Wettanbietern gegen den deut­schen Glücksspielstaatsvertrag ange­ru­fen wor­den. Mit die­sem Glücksspielstaatsvertrag, den kaum ein Mensch kennt, hat­ten sich die Länder in Deutschland ins­be­son­de­re dar­auf ver­stän­digt, die Werbung für Glücksspiel stark ein­zu­schrän­ken und Internet-Glücksspiele aus­nahms­los zu ver­bie­ten. Der EuGH hat zwar nun zuge­stan­den, dass es zuläs­sig sei, den frei­en Dienstleistungsverkehr und die Niederlassungsfreiheit, mit­hin gewis­ser­ma­ßen euro­päi­sche Grundrechte, grund­sätz­lich zu beschrän­ken, wenn dies dem Allgemeinwohl die­ne. Zum Allgemeinwohl gehört dann aber auch die Bekämpfung von Spielsucht. Deutschland unter­lau­fe die­ses Ziel jedoch durch zu viel Werbung für Glücksspiele. Auch wer­de in staat­lich unge­re­gel­ten Bereichen, näm­lich den zahl­rei­chen pri­va­ten Spielhallen, eine Suchtgefährdung ein­fach hin­ge­nom­men. „Unter die­sen Umständen”, so der EuGH, “ ist ein staat­li­ches Monopol nicht mehr gerecht­fer­tigt”.

Dann, so FDP und CDU in Schleswig-Holstein, sei es doch wohl sinn­voll, gleich klar Schiff zu machen und Monopol samt Beschränkungen zuguns­ten eines Konzessionsmodells auf­zu­ge­ben. “Oh nein” ruft die sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Opposition, damit wer­de doch nur der Glücksspielwirtschaft gedient, und wo, bit­te­schön, bleibt der Schutz vor der Sucht?

Da gibt es eini­gen Klärungsbedarf. In Teil eins zunächst die Fakten:

Der Glücksspielstaatsvertrag hat in der Tat nur einen Teilbereich gere­gelt.

Nicht hier­von berührt wer­den etwa Spielautomaten, die juris­tisch nicht dem Glücksspiel zuge­ord­net wer­den. Ihre Zahl ist in den letz­ten Jahren gera­de­zu explo­diert. Der Umsatz der Spielautomaten macht mitt­ler­wei­le nach Expertenschätzungen einen wach­sen­den Teil des Spielumsatzes aus. Er betrug in 2010 bun­des­weit rund 3,1 Milliarden Euro. Dies sind etwa ein Drittel mehr als 2008 und sogar 69 % mehr gegen­über dem Jahr 2006. Gerade in Schleswig-Holstein ist die Zahl der Spielautomaten in den letz­ten Jahren dras­tisch ange­stie­gen: Von 3680 im Jahr 2006 auf über 4500 in 2010. Damit hat Schleswig-Holstein nach Rheinland-Pfalz einen Spitzenplatz bei der Zahl der Automaten je Einwohner inne, wie der Arbeitskreis gegen Spielsucht ermit­telt hat: Bei uns ent­fällt auf 339 Einwohner ein Automat, bun­des­weit sind es 470.

Der Markt für Sportwetten wird auf min­des­tens 1,7 Milliarden Euro geschätzt, ein Großteil davon läuft über aus­län­di­sche Anbieter im Internet. Dieser Markt ist weit­ge­hend unge­re­gelt. Sie unter­ste­hen ledig­lich der Aufsicht der ört­li­chen Ordnungsbehörden. Klagen und Schließungsverfügungen gegen Veranstalter, die Wettbüros (40 in Schleswig-Holstein) betrei­ben, sind nach dem EuGH-Urteil erst ein­mal auf Eis gelegt. Sportwetten ber­gen nach Ansicht von Experten die Gefahr, eige­nes Wissen über mög­li­che Ergebnisse zu über­schät­zen, je nach Ausgestaltung ist ihr Suchtpotential unter­schied­lich.

Das Glücksspiel im Internet ist trotz Verbots all­täg­lich prä­sent. Casino/​Roulette, Sportwetten und Lotterien sind de fac­to frei ver­füg­bar, mit wach­sen­den Umsätzen. Allein das Online-Pokerspiel ver­zeich­net all­täg­lich min­des­tens 40.000 Teilnehmer, beim Schreiben die­ses Artikels mel­det die ein­schlä­gi­ge Informationsseite der Branche 87.541 Spieler. Das Marktvolumen des Pokerspiels wird auf 7,8 Milliarden geschätzt. Es gibt eine Reihe von Anbietern, sämt­li­che im Ausland. Das Geschäft geht unre­gu­liert am Staat vor­bei. Der Bericht der Landesregierung zur Situation des Glücksspiels stellt hier­zu fest: “Trotz aller Bemühungen der Glücksspielaufsichtsbehörden ist es bis­her jedoch noch (!) nicht gelun­gen, uner­laub­te Internetangebote aus dem Ausland wirk­sam zu unter­bin­den.” (S. 29)

Spielbanken, also ins­be­son­de­re Roulette, aber auch Black Jack und das “klei­ne (Automaten-)Spiel sol­len bun­des­weit mit rund einem Drittel der Umsätze des Glücksspiels dabei sein. In Schleswig-Holstein ist der Umsatz der fünf Spielbanken, alle­samt Töchter der Investitionsbank als öffent­li­cher Träger, mit 21,4 Millionen Euro in 2009 aller­dings durch­aus über­schau­bar. Seit 2007 ist der Umsatz stark zurück­ge­gan­gen, damals waren es noch fast 30 Millionen Euro. Das Suchtpotential ist nach Untersuchungsergebnissen der Forschungsstelle Glücksspiel der Uni Hohenheim ver­gleichs­wei­se — ins­be­son­de­re gegen­über den frei auf­ge­stell­ten Spielautomaten — gering. Zum einen sind Spielbanken nicht, wie Spielhallen, über­all ver­füg­bar, zum ande­ren begrenzt auch ein Sperrsystem mit Kontrollen den Zugang für Suchtgefährdete — letz­te­res mag zugleich zu den sin­ken­den Umsätzen bei­ge­tra­gen haben.

Das öffent­li­che, als Monopol orga­ni­sier­te Glücksspiel, vor allem Lotto und Toto, hat­te einem Bericht der Landesregierung zufol­ge in den ver­gan­ge­nen Jahren, einen erheb­li­chen Umsatzrückgang zu ver­zeich­nen. Beim NordwestLotto Schleswig-Holstein sank der Gesamtumsatz von 314 auf 245 Millionen Euro in 2009, beim Samstagslotto von 138 auf 108 Millionen. Ein Teil der Verluste erklärt sich dadurch, dass die Spielvermittlung im Internet nicht mehr erlaubt ist. Ein ande­rer Teil dürf­te auf Einschränkung der Werbung, bes­se­re Informationen über Gewinnchancen, Einführung eines Sperrsystems und ver­mut­lich auch den gerin­ge­ren “Kick” die­ser Spielvariante zurück­zu­füh­ren zu sein. Zugleich ent­fal­tet Lotto nur ein ver­gleichs­wei­se gerin­ges Suchtpotential (den­noch ist es erstaun­lich, dass es Menschen gibt, die ihr Sparkonto in der Hoffnung auf den Jackpot leer­räu­men).

Mit Steuern und Abgaben auf das Spiel wer­den erheb­li­che Einnahmen erzielt. Das Gesamtvolumen der Einnahmen des Landes betrug in 2009 knapp 48 Millionen Euro Lotteriesteuer zuzüg­lich rund 60 Millionen Euro Zweckabgaben, die für Natur- und Umweltpflege, Wohlfahrt, Kultur und ins­be­son­de­re Sport, aber auch Suchtprävention ver­wen­det wer­den müs­sen. Dies ist aber noch nicht alles: Hinzu kom­men Einnahmen aus der Spielbankabgabe nebst Zusatzabgabe (ins­ge­samt 14 Millionen Euro in 2009), die eben­falls für gemein­nüt­zi­ge Zwecke ver­wen­det wer­den müs­sen.
Allerdings hat die zurück­ge­hen­de Lotto-Spielfreude unmit­tel­ba­re Auswirkungen auf die Landeskasse. So san­ken die Einnahmen aus der Lotteriesteuer von 2006 bis 2008 von 56 auf 47 Millionen Euro. Die Zweckabgaben, mit denen zum Beispiel der Sport, der Naturschutz, Kultur- und Jugendprojekte oder der Kampf gegen Spielsucht finan­ziert wer­den, bra­chen eben­falls ein: von 68 auf 59 Millionen Euro Und die Spielbankabgaben gin­gen um 3,7 Millionen Euro zurück.

“Die einzige Möglichkeit, ein Spielkasino mit einem kleinen Vermögen zu verlassen, besteht darin, es mit einem großen zu betreten.” — Mireille Darc

Die Gesamtzahl der patho­lo­gi­schen Spieler in Deutschland wird in zwei Erhebungen über­ein­stim­mend mit rund 100.000 ange­ge­ben (vgl. Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (PDF-Dokument)). Pathologischer Spieler zu sein ist kein Spaß. Glücksspiel wird zu einem zen­tra­len Lebensinhalt, es beherrscht das Leben der Betroffenen. Sie rich­ten ihr Leben so ein, dass alle ande­ren Interessen zuneh­mend dem Glücksspiel unter­ge­ord­net wer­den. Sobald mit dem Glücksspiel begon­nen wird, ver­lie­ren die Spieler ihre Kontrolle über ihr Spielverhalten. Vorsätze, nur einen bestimm­ten Betrag zu ver­spie­len, wer­den nicht ein­ge­hal­ten. Abstinenzversuche sind erfolg­los. Ein dau­er­haf­ter Verzicht auf das Spielen erscheint den Betroffenen uner­träg­lich. Fehlen die finan­zi­el­len Mittel für das Glücksspiel tre­ten ent­zugs­ähn­li­che Erscheinungen auf (inne­re Unruhe und Reizbarkeit, Ungeduld, Konzentrations- oder Schlafstörungen etc.); Folgeschäden sind Konflikte mit Angehörigen, Schuldgefühle, Verheimlichung des Spielens, Verstrickung in ein Netz von Lügen und Vorspiegelungen, zuneh­men­de Verschuldung, Verlust des Überblicks über die finan­zi­el­le Situation.
In den letz­ten Jahren hat ins­be­son­de­re die Zahl der Spielsüchtigen im Bereich der Spielautomaten stark zuge­nom­men. Nach einer Untersuchung der Forschungsstelle Glücksspiel der Universität Hohenheim haben Geldspielautomaten mit Abstand die größ­te Bedeutung für krank machen­des Spielverhalten: Für rund 80 Prozent der Betroffenen sind Geldspielautomaten das größ­te Problem, dar­un­ter 69 Prozent Geldspielautomaten in Spielhallen/​Gaststätten und 11 Prozent in Spielbanken.

Aus Spiel wird Elend. Ein guter Grund also, das Glücksspiel zu regle­men­tie­ren. Oder steht dem nicht doch der freie Zugang zum Netz ent­ge­gen? In Frankreich wird die­se Kontroverse gegen­wär­tig aus­ge­tra­gen. Dort wird mit allen Mitteln ver­sucht, den Zugang zum Glücksspiel im Netz für nicht lizen­zier­te oder aus­län­di­sche Anbieter zu sper­ren. Provider sind ver­pflich­tet, per IP-Adresse, Domain, URL oder Deep Packet Inspection (DPI) zu fil­tern, um sicher­zu­stel­len, dass aus­schließ­lich bei in Frankreich zuge­las­se­nen Online-Plattformen gespielt wer­den kann.

Die Aufgabe ist nicht ein­fach: Spaß am Spiel, Netzfreiheit, Suchtgefahr und wohl auch staat­li­che Einnahmen müs­sen poli­tisch in eine Balance gebracht wer­den. Welche Konzepte die Parteien und schles­wig-hol­stei­ni­schen Landtagsfraktionen hier­zu ver­fol­gen, wird in Teil zwei näher beleuch­tet.

2 Gedanken zu “Mehr Glück und Geld oder mehr Freiheit und Elend?”:

  1. Jan Ole Thomas

    In dem Text wim­melt es von Zeichensetzungs- und Rechtschreibfahlern!
    Sollte man so einen Text nicht erst ein­mal aus­gie­big prü­fen, bevor man ihn ver­öf­fent­licht?

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  2. Pingback: Der Glücksspielstaatsvertrag ist kein Glücksfall | Landesblog Schleswig-Holstein

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