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Deutsche Wirtschaft "Unsere Durststrecke wird Jahre dauern"

Die Bundesrepublik findet nicht aus der Wirtschaftskrise. Der kleine Zwischenspurt in den vergangenen Monaten ist vorerst gestoppt. Daniel Stelter, Partner des Beratungshauses Boston Consulting Group, hatte den Einbruch vorhergesagt. Jetzt bereitet er die Bundesbürger auf lange und bittere Jahre vor - und auf Arbeitslosigkeit.
Von Karsten Stumm

mm: Herr Stelter, das Herz der deutschen Wirtschaft ist getroffen. Die erste Erholung ist Ende des vergangenen Jahres schon wieder erloschen, wie heute bekannt wurde. Und nicht mal der deutsche Maschinenbau wagt, für dieses Jahr von einem kleinen Aufschwung zu sprechen. Was kann uns eigentlich helfen, wenn schon nicht diese eigentlich so wettbewerbsfähige Branche nach oben zurückfindet?

Stelter: Die Lage ist prekär, das ist wahr. Denn die Maschinenbauer stehen beispielhaft für viele Unternehmen hierzulande. Deshalb müssen wir damit rechnen, dass es nach einer kleinen, aktuellen Erholungsphase wohl eher zickzackweise mal rauf, mal runter gehen wird. Aber zu dem guten Niveau aus dem Jahr 2007 finden wir auf absehbare Zeit nicht zurück.

mm: Wie lange werden wir denn wohl brauchen, um neu durchstarten zu können?

Stelter: Lange, bittere Jahre. Nach unseren Analysen* werden die westlichen Volkswirtschaften, und damit auch Deutschland, auf mehrere Jahre hinaus nur geringe Wachstumsraten aufweisen.

mm: Heute wurde auch bekannt, dass die Steuereinnahmen des Bundes im Januar um 7,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat eingebrochen sind. Das ist dreimal so stark, wie vom Arbeitskreis Steuerschätzung für das Gesamtjahr veranschlagt. Müssen sich die Deutschen jetzt ständig auf negative Überraschungen einstellen?

Stelter: Die Crux ist leider gerade, dass sich das niedrige Wirtschaftswachstum, das wir für die kommenden Jahre erwarten müssen, zugleich negativ auf Konsum, Export, Arbeitsplätze und Staatsfinanzen auswirkt. Das ist keine Basis für positive Überraschungen.

mm: Die meisten Wirtschaftsprognosen sind in den vergangenen beiden Jahren ja bemerkenswert an dem vorbeigeschossen, was schließlich eintrat. Können die Bundesbürger hoffen, dass Sie sich ebenfalls komplett irren und es doch besser wird?

Stelter: Wir haben uns die Verläufe der vergangenen großen Finanz- und Wirtschaftskrisen genau angeschaut und auf die aktuelle Situation übertragen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Von den großen Volkswirtschaften werden nur Brasilien, China und Indien wieder auf den Wachstumstrend von vor der Krise zurückfinden. Dies wirkt sich bei uns negativ auf Konsum, Export, Arbeitsplätze und Staatsfinanzen aus.

mm: Sie haben diese Entwicklung im Vorjahr bereits einer Studie für das manager magazin vorweggenommen. Hat sich seitdem etwas verbessert?

Stelter: Leider haben sich die Befürchtungen bestätigt. Nicht nur war der Absturz der Produktion erheblich, sondern es häufen sich auch Indikationen für zunehmende Eingriffe der Staaten in Industriepolitik und Handel. Denken Sie an protektionistische Klauseln in Konjunkturprogrammen, die Strafsteuer auf Reifenimporte aus China in den USA und die Versuche, Arbeitsplätze in einzelnen Industrien zu schützen, etwa in der Autobranche. Und das trifft leider gerade deutsche Unternehmen.

* Boston Consulting Group: "Accelerating Out of the Great Recession - How to Win in a Slow-Growth Economy"

Neue Entlassungswellen

mm: Ist das aus Ihrer Sicht auch eine Erklärung dafür, warum der Maschinenbau sich nicht so recht bekrabbelt?

Stelter: Ja. In einer Welt mit Überkapazitäten, geringem Wachstum und zunehmenden Handelsspannungen wird die Investitionsneigung der Firmen auf Dauer gering sein - also auf Jahre hinaus in einer moderaten Nachfrage nach Maschinen resultieren. Der deutsche Maschinenbau hat damit schon Erfahrungen, wenn auch keine guten. Mitte der 80er Jahre steckte unser Maschinenbau in einer vergleichbaren Situation.

mm: Diese Phase ist uns allerdings nicht als eine gute für Deutschlands Arbeitnehmer in Erinnerung …

Stelter: …. weil es damals viele Entlassungen gab, das ist richtig. Und das ist auch in den kommenden Jahren zu befürchten. Eine Schlüsselindustrie für Deutschland, mit großer Bedeutung für die Beschäftigung und für die Technologieentwicklung, steht vor einer strukturell schwierigen Phase.

mm: Noch halten die Maschinenbauer allerdings größtenteils an ihrer Stammbelegschaft fest. Ist das nur Trotz, oder besteht Hoffnung für sie und deren Beschäftigten - beispielsweise durch mehr Auslandsaufträge infolge der dortigen Staatshilfen?

Stelter: Teils, teils. Zwar greifen Staaten generell eher in Branchen ein, in denen sie viele Arbeitsplätze im Inland sichern können. Der Maschinenbau ist zu fragmentiert, deshalb müssen viele deutsche Maschinenbauer zumindest keine künstlichen Handelshemmnisse im Ausland fürchten. Andererseits gehen die meisten staatlichen Konjunkturmaßnahmen am Maschinenbau vorbei.

mm: Dabei waren viele Politiker so stolz, endlich wieder mehr Einfluss auf die Wirtschaft nehmen zu können. Sogar in Unternehmen reinregieren zu können. Sinkt der Staatseinfluss jetzt wieder genauso schnell, wie er im Laufe der Wirtschaftskrise aufgekommen ist?

Stelter: Nein, im Gegenteil. Global wird der Staatseinfluss sogar zunehmen. Beispiel USA: Dort wird 2012 gewählt, die Arbeitslosenquoten sind jetzt schon in den zweistelligen Bereich hochgeschnellt. Und aufgrund des schwachen Wachstums bis 2012 wird sich die Arbeitsmarktsituation nicht bessern. Zugleich müssen die Privathaushalte von ihren Schulden runter. Was glauben Sie, wird die US-Regierung dort also machen?

Nationen im Wirtschaftskrieg

mm: Wenn Barack Obamas Regierung in der Tradition ihrer Vorgängerregierungen stehen wird, könnte man auf weitere Deregulierungen für die Wall-Street-Banker rechnen. Sowie Zinssenkungen der Zentralbank. Und notfalls noch Steuersenkungen auf Pump. Das haben die Amerikaner schließlich der Welt über Jahre geraten.

Stelter: Richtig. Aber letztlich lässt sich eine Krise, die durch zu viele Schulden ausgelöst wurde, nicht durch noch mehr Schulden lösen. Die USA, wie auch England, Spanien und viele andere Länder, werden um mehrere Jahre sparen müssen und um die Rückzahlung hoher Schuldensummen nicht herumkommen.

mm: Was bleibt den Amerikanern also, wenn ihre althergebrachten Wirtschaftspolitik nicht mehr für die Zukunft taugt?

Stelter: Die US-Regierung wird versuchen, in den Vereinigten Staaten wieder für eine neue Blütezeit der Industrie zu sorgen, um Jobs, Jobs, und noch mehr Jobs zu schaffen. Und zwar mit Staatshilfe. Als Reaktion darauf müssen wir aber damit rechnen, dass die Regierungen in Europa und Asien zurückschlagen werden - ebenfalls mit Staatseingriffen, denn auch dort müssen sich Politiker zwischenzeitlich Wahlen stellen.

mm: Je zäher die Wirtschaftserholung wird, desto mehr Staatseinfluss werden wir also weltweit haben?

Stelter: Ja. Vor allem der Schutz inländischer Arbeitsplätze und Industrien wird sehr bald kräftig vorangetrieben werden. Schließlich müssen Politiker dafür kein Geld ausgeben, sondern nur die entsprechenden Gesetze erlassen. Das ist für Parlamentarier ein Riesenvorteil in Zeiten von Haushaltsnotständen.

mm: Aber das wäre auch ein Riesennachteil für die Exportnation Deutschland, deren Unternehmen vielfach für den Verkauf ihrer Waren auf offene Grenzen ins Ausland angewiesen sind.

Stelter: Genau. Deshalb erleben wir derzeit wirtschaftlich auch nur eine Zwischenstabilisierung. Die Periode der Anpassung, die Durststrecke, wird noch Jahre dauern.

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