Alex Antwi hat seinen Katalog dabei. In den abgegriffenen Plastikhüllen stecken die Fotos seiner Kandidaten. "Wie wäre denn der hier? Er heißt Chris und ist Designer." Die ghanaische Familie schaut interessiert, aber der Funke springt erst bei Gisela über. "Die wäre doch was für Opa!", finden der Schwiegersohn und die Tochter. "Dann ist er nicht so allein, wenn wir arbeiten." Opa ist einverstanden und so wird Gisela, 70, pensionierte Lehrerin aus Meetzen in Mecklenburg-Vorpommern, neues Mitglied einer ghanaischen Großfamilie.

Gleich zwei Dokumentarfilme auf dem Max-Ophüls-Festival in Saarbrücken kehren das klassische Thema Migration um: Es geht nicht um Menschen, die aus materieller Not ein armes Land verlassen, sondern um solche, die aus seelischer Not ein reiches Land verlassen.

Adopted von Gudrun Widlok und Rouven Rech begleitet drei Europäer, die von ghanaischen Familien aufgenommen werden. Menschen wie Gisela, die nach dem Tod ihres Mannes allein ist und nicht darauf warten will, "abgewrackt" und von ihren Kindern ins Heim gesteckt zu werden.

Flucht in die andere Richtung von Ralf Jacobs handelt von den Zehntausenden Europäern, die jedes Jahr mit ihren Wohnmobilen nach Marokko fahren, um zu überwintern. Dort stehen sie dann auf den Campingplätzen an der Küste, mit ihren Hunden, ihren Toilettentanks und Satellitenschüsseln – eine bierbäuchige Parallelgesellschaft mit viel Weltschmerz im Gepäck.

Warum es die Reisenden nach Afrika zieht? Sie sehnen sich nach der Sonne, sagen die meisten. Aber bei genauerer Nachfrage wird klar: Es ist es nicht die äußere Wärme, die ihnen fehlt. Sondern die seelische. Kalt ist es geworden in der Festung Europa. Das Klima im Arbeitsleben ist rau, die Familie bietet nur noch selten eine Zuflucht.

Wie kann es sonst sein, dass sich ein Mittdreißiger wie Ludger eine Ersatzfamilie in Ghana sucht, obwohl seine leiblichen Eltern noch leben? Als er seinem ghanaischen Gastbruder zu erklären versucht, dass er trotz seines Wohlstands in Berlin nicht glücklich gewesen sei, schaut dieser ihn an, als habe er den Verstand verloren.

Doch die Menschen in diesen beiden Dokumentarfilmen sind eben keine Spinner und Fantasten. Es sind die Ausgelaugten, Enttäuschten. "Ich bin ein bisschen deutschlandmüde", sagt die Rentnerin Gisela. Wie viele andere, die zu Wort kommen, hat sie immer ein geregeltes Leben geführt, gerackert, sich abgestrampelt – und merkt nun, dass sie sozial isoliert ist.