Italiener verkaufen Häuser für einen Euro

Eine Idee des Benetton-Fotografen Oliviero Toscani greift inzwischen in ganz Italien um sich: Gemeinden bieten Häuser zum Preis von nur gerade einem Euro an. Die Käufer müssen allerdings eine Bedingung erfüllen.

Marc Zollinger, Rom
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Im sizilianischen Dorf Sambuca wurden 16 Häuser für einen Euro angeboten – eine weitere Aktion ist geplant.

Im sizilianischen Dorf Sambuca wurden 16 Häuser für einen Euro angeboten – eine weitere Aktion ist geplant.

Simone Padovani / Alamy

Es klang lange Zeit wie ein Aprilscherz: ein Haus zum symbolischen Preis von einem Euro. Doch die sogenannten 1-Euro-Häuser in Italien sind inzwischen mehr als nur eine Marketingidee. Soeben hat wieder ein Dorf zu diesem Mittel gegriffen: Cantiano in den Marken, eine 2200 Einwohner zählende Gemeinde bei Pesaro. Dieses Jahr seien nur gerade 3 Geburten verzeichnet worden, dafür aber 40 Todesfälle, sagt der Bürgermeister Alessandro Piccini. «Wenn wir eine Zukunft haben wollen, müssen wir Ungewöhnliches wagen.»

Ende November wurde auf der Homepage der Gemeinde denn auch eine Liste mit Häusern publiziert, die für einen Euro erstanden werden können. Gemäss Piccini sind bereits Interessenten aus aller Welt angereist: aus Argentinien, Chile, Norwegen, Dänemark und Deutschland. Sollte die Aktion erfolgreich sein, will der 35-jährige Bürgermeister nachlegen: «Es gibt mindestens 100 Häuser, die unbewohnt und/oder am Zerfallen sind», sagt er. An den Kauf eines Hauses ist jedoch eine Bedingung geknüpft: Innerhalb von sechs Monaten müssen Renovationsarbeiten beginnen. Und der Preis für ein Haus kann höher sein als ein Euro. Gibt es nämlich mehrere Interessenten, erhält der Meistbietende den Zuschlag – wie bei einer Versteigerung.

Quantensprung dank CNN

In 25 Dörfern Italiens sind laut dem Marketingspezialisten Maurizio Berti bereits ähnliche 1-Euro-Aktionen durchgeführt worden. Insgesamt hätten so bereits rund 400 Häuser einen neuen Besitzer bekommen. Berti betreibt zusammen mit seiner Frau seit fünf Jahren eine Homepage zu dem Phänomen. Hier sammelt und publiziert er alles, was Interessierte wissen möchten. Jeden Tag melden sich per E-Mail über hundert Personen bei ihm, Amerikaner etwa, die ihre Hochzeit in Italien feiern und dann auch gleich noch ein Haus kaufen möchten. Sehr viele der Interessenten haben italienische Vorfahren, die in Zeiten grosser Not ausgewandert sind.

Berti bietet seit kurzem auch Rundreisen an, auf denen er die potenziellen Käufer durchs Land führt und ihnen Häuser zeigt. Dazu gibt es immer auch einen Crash-Kurs in italienischer Alltagskultur. Auch wenn die Italiener als gastfreundlich und unkompliziert gälten, sollte man die wichtigsten Gepflogenheiten kennen, meint Berti. Fast alle Liegenschaften befinden sich in einer Altstadt, in der man sich eben ziemlich nahe kommt. Das Häuschen auf einem Hügel, umgeben von Reben und Olivenbäumen – der Standardtraum ausländischer Kaufinteressenten –, gibt es nicht für einen Euro.

Als Berti vor fünf Jahren online ging, verzeichnete seine Website www.casea1euro.it kaum mehr als 50 Klicks pro Tag. Seit dem 30. Januar 2017 sind es bis zu 50 000. Grund für den Quantensprung ist eine Reportage, die auf CNN erschienen ist und danach von weiteren grossen Medien aufgenommen wurde. Erzählt wurde die Geschichte aus dem sizilianischen Hügeldorf Sambuca, wo gerade 16 Häuser zum Preis von einem Euro angeboten worden waren.

«Plötzlich kamen Menschen aus aller Welt»

Der im Tessin lebende Manfred Walder war der erste Ausländer, der in Sambuca ein Haus erworben hat. 2013 war das Dorf noch schwer gezeichnet von der Landflucht. Wer jung war und arbeiten wollte, musste wegziehen. Nach dem CNN-Bericht änderte sich das schlagartig, wie sich der 78-Jährige erinnert. «Plötzlich kamen Menschen aus aller Welt nach Sambuca.» Die meisten von ihnen erwarben allerdings Häuser, die mehr als einen Euro kosteten. Und auch die 16 1-Euro-Häuser gingen dank der kostenlosen CNN-Werbung schliesslich für ein Vielfaches davon weg. Bis zu 25 000 Euro wurden für Objekte in tadellosem Zustand bezahlt – verglichen mit Hauspreisen in Ländern wie der Schweiz ist das aber immer noch fast gratis.

Leonardo Ciaccio, der Bürgermeister von Sambuca, erinnert sich an den Tag, als CNN sein Dorf wachküsste: «Innerhalb von 48 Stunden bekamen wir 45 000 E-Mails und rund 2000 Telefonanrufe. Auch ein Mann aus Dubai meldete sich. Er fragte, wie viel er bezahlen müsse, wenn er das ganze Dorf kaufen wolle.»

Die einzige Liegenschaft, die dann tatsächlich für nur gerade einen Euro verkauft wurde, ging an die amerikanische Schauspielerin Lorraine Bracco, die durch eine Nebenrolle in Martin Scorseses «Goodfellas» bekannt geworden war. Bracco arbeitet heute für den Discovery Channel, der aus dem Hauskauf und der Renovation eine Reality-Serie dreht. Im kommenden Februar wird die Serie weltweit gezeigt. Das wiederum wird gewiss weitere Interessenten anziehen. Der Bürgermeister Caccio plant darum für den Frühling eine weitere Aktion, bei der 10 bis 15 Häuser angeboten werden sollen. Er nennt diese 2-Euro-Häuser.

Toscani wollte dem Land eine Lektion erteilen

Erfinder der 1-Euro-Häuser ist kein Geringerer als der Fotograf Oliviero Toscani, der mit seinen provozierenden Bildern für Benetton weltweit für Schlagzeilen gesorgt hat. Toscani wurde 2008 zum Kulturabgeordneten des sizilianischen Dorfes Salemi ernannt. Sein Freund Vittorio Sgarbi, Kunstkritiker und TV-Persönlichkeit, hatte sich zum Bürgermeister der 10 000 Einwohner zählenden Gemeinde wählen lassen. Gemeinsam wollten sie ein «kleines sizilianisches Wunder» schaffen, wie Toscani gegenüber der NZZ sagt. «Wir wollten dem ganzen Land eine Lektion erteilen, wie man aus der Asche aufersteht.»

Der italienische Fotograf Oliviero Toscani

Der italienische Fotograf Oliviero Toscani

Pier Marco Tacca / Getty

1968 war die Altstadt von Salemi durch ein Erdbeben weitgehend zerstört worden. «Die Idee war banal», sagt Toscani: «Wir verschenken 1000 Häuser. Doch die Käufer müssen sie renovieren.» Weil die Gemeinde aber aus rechtlichen Gründen Häuser nicht einfach verschenken konnte, wurde der symbolische Preis von einem Euro festgesetzt. Zum Plan gehörte, dass der berühmte italienische Architekt Renzo Piano einen Gestaltungsplan erarbeitete.

Tatsächlich meldeten sich Tausende von Interessierten, unter ihnen auch Prominente wie der Regisseur Giuseppe Tornatore, der Liedermacher Lucio Dalla oder der damalige Besitzer von Inter Mailand, Massimo Moratti. Das Projekt scheiterte dann aber an juristischen Problemen, wie es hiess, in deren Folge sich auch die Aufsichtsbehörden einschalteten. «Das Problem war die Mafia», erinnert sich Toscani. «Bei grossen Projekten in Sizilien schaltet die sich immer ein. Und du bringst sie nicht mehr weg.»

Das sizilianische Dorf Salemi wurde 1968 von einem Erdbeben weitgehend zerstört. Oliviero Toscani erfand hier das Projekt der 1-Euro-Häuser – es scheiterte allerdings an der Mafia.

Das sizilianische Dorf Salemi wurde 1968 von einem Erdbeben weitgehend zerstört. Oliviero Toscani erfand hier das Projekt der 1-Euro-Häuser – es scheiterte allerdings an der Mafia.

Franco Lannino / EPA

Oft unklare Besitzverhältnisse

Die 1-Euro-Idee aber lebte weiter. Zunächst wurde sie von weiteren Orten auf Sizilien aufgegriffen, dann von solchen im ganzen Land – allerdings nicht immer mit Erfolg. «Wenn es hapert, liegt es meistens daran, dass die Besitzer der Liegenschaften nicht ausgemacht werden können», sagt der Experte Berti. «Sehr oft gibt es nämlich gleich mehrere: Brüder, Schwester und/oder andere Verwandte einer in alle Welt verstreuten Familie.» Fehle dann auch nur eine Unterschrift, komme der Verkauf nicht zustande. Der Gemeinde seien dann die Hände gebunden.

CNN hat nach dem Coup in Sambuca nochmals über die 1-Euro-Häuser berichtet. Diesmal wollte die Reporterin wissen, wie es den Käufern ergangen ist. Das einhellige Urteil der Befragten: Fantastico! Niemand hätte erwartet, dass eine Renovation in Italien so problemlos, einfach und schnell über die Bühne gehen würde. Da, wo sie herkämen, so die Käufer, sei alles viel komplizierter.