Kommentar

Der künftige CDU-Chef muss bürgerlichen Wählern in Deutschland wieder eine Heimat geben

Das bürgerliche Lager in Deutschland ist orientierungslos geworden – das hat die Krise in Thüringen gezeigt. Annegret Kramp-Karrenbauer blieb eine «Mini-Merkel». Ihr Rücktritt könnte die Partei nun befreien.

Benedict Neff, Berlin
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Annegret Kramp-Karrenbauer tritt ab, ohne die Partei wie geplant in die nächsten Wahlen zu führen.

Annegret Kramp-Karrenbauer tritt ab, ohne die Partei wie geplant in die nächsten Wahlen zu führen.

Maja Hitij / Getty

Die Amtszeit von Annegret Kramp-Karrenbauer war keine glückliche, und daran ist deren grösste Förderin nicht unschuldig. Im Dezember 2018 wurde sie zur Nachfolgerin von Angela Merkel als CDU-Chefin gewählt. Die Kanzlerschaft wollte Merkel aber nicht abgeben. Diese Konstellation blieb für Kramp-Karrenbauer ein Problem. Zwar wollte sich Merkel eigentlich aufs Regieren konzentrieren, während sich Kramp-Karrenbauer um die Parteiarbeit kümmern sollte. Aber die Arbeitsaufteilung hat nicht funktioniert.

Deutlicher denn je zeigte sich dies nach der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen. Kramp-Karrenbauer war mit der dortigen CDU, die ihren Ratschlägen nicht folgen wollte, komplett überfordert. Merkel, die sich angeblich nicht in die Parteiarbeit einmischen wollte, meldete sich aus Südafrika: Sie sprach von einem «unverzeihlichen Vorgang» und davon, dass das Ergebnis der Wahl rückgängig gemacht werden müsse. Beide wirkten mit ihren Interventionen hilflos und anmassend zugleich.

Das Scheitern von Kramp-Karrenbauer ist auch das Scheitern Merkels. Indem sie sich weiterhin ans Kanzleramt klammerte, blockierte sie die Erneuerung der Partei. Sie erkor Karrenbauer zu ihrer Nachfolgerin, gleichzeitig hemmte sie deren Entwicklung. Merkel machte aus ihr eine «Mini-Merkel».

Kramp-Karrenbauers politische Arbeit blieb blass. Symptomatisch dafür steht der inhaltsleere Europa-Wahlkampf der CDU 2019. Die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen führten zu Niederlagen. Die Parteichefin machte vor allem durch ihre ungeschickte Kommunikation Schlagzeilen. In ihrer kurzen Amtszeit ist eigentlich nur eines geglückt: Die Annäherung zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU, deren Beziehung in der Flüchtlingskrise und danach stark gelitten hatte.

Ein merkwürdiges Demokratieverständnis

Die meisten Journalisten und Politiker sahen in der Wahl von Thüringen einen Dammbruch und eine Schande, selbst das Wort «Zivilisationsbruch» wurde verwendet. Viele bürgerliche Wähler dürfte aber auch erschüttert haben, wie die bürgerlichen Parteien auf die Wahl reagierten. Viele Politiker von CDU, CSU und FDP offenbaren ein merkwürdiges Verständnis von Demokratie. Die Eigenständigkeit der Bundesländer, der Föderalismus, scheint ihnen wenig zu bedeuten. Die demokratische Wahl eines FDP-Politikers wurde von den bürgerlichen Parteispitzen in Berlin aufs Schärfste verurteilt, weil sie mit Stimmen der AfD zustande kam. CDU, CSU und FDP haben die Stimmung der linken Parteien gleich antizipiert, aus Angst, in der AfD- und letztlich in der Nazi-Schublade zu landen. Manche haben erst gratuliert, um sich wenig später für ihre Gratulation zu entschuldigen.

Nach der Thüringen-Krise können sich bürgerliche Wähler in Deutschland deshalb heimatlos vorkommen. Die Alternative für Deutschland kann für sie keine Alternative sein, weil sie völkische und rechtsextreme Figuren nicht konsequent ausschliesst und kein verlässliches Programm hat. Die Sozialdemokraten, die etwa in der Schröder-Ära für manche Konservative wählbar waren, versuchen gerade die Linkspartei zu überholen. Saskia Esken, ihre Chefin, träumt von einem demokratischen Sozialismus. Bei den Grünen gibt es zwar einzelne bürgerliche Politiker, aber die Partei als Ganzes setzt auf staatlichen Interventionismus und hat wenig Vertrauen in die Eigenverantwortung der Bürger.

Chance für die CDU

Das bürgerliche Lager in Deutschland ist orientierungslos geworden, zumindest an den Spitzen der Parteien. Deshalb bietet sich der CDU mit dem Führungswechsel auch eine grosse Chance. Die linken Parteien wollen der Öffentlichkeit einbläuen, die CDU habe mit dem Fanal in Thüringen einen gefährlichen Rechtsrutsch vollzogen. Die Partei braucht daher eine Persönlichkeit, die in einem solchen medialen Gewitter nicht gleich umkippt und sich an der Hysterie beteiligt.

Es braucht ausserdem eine Klärung im Verhältnis zur Linkspartei und zur AfD. Will die CDU ihr konservatives und wirtschaftsfreundliches Profil nicht völlig verwedeln, gilt es von beiden Parteien Abstand zu halten. Allerdings ist das Prinzip der CDU, wonach keine politische Entscheidung von den Stimmen der AfD abhängig sein darf, unsinnig – es wird den Realitätstest in Zukunft nicht bestehen.

Dieses Prinzip blockiert die CDU und führt letztlich dazu, dass sie weiter nach links driftet. Die CDU braucht deshalb eine glaubwürdige, selbstbewusste, bürgerliche Figur an der Spitze, die die Zusammenarbeit mit der AfD nicht sucht, aber auch nicht panisch reagiert, wenn er oder sie ungebeten Schützenhilfe der AfD erhält. Massstab der CDU sollte die eigene Politik sein und nicht eine Strategie der Abgrenzung zur AfD. Sonst wird die Partei weiter an Bedeutung verlieren.

Merkels Erbe leuchtet nicht heller, je länger die Kanzlerin regiert, das zeigt der Rücktritt ihrer Wunschnachfolgerin. Neben einer verunsicherten Partei gehört zu Merkels Hinterlassenschaft aber auch die AfD. Diese dümpelte vor sich hin, bis sie in Merkels Flüchtlingspolitik ihr Thema fand. Kramp-Karrenbauer hat der Kanzlerin nun etwas voraus: Sie hat ihren Rücktritt nicht verpasst.