«Crypto-Leaks»: Im Zwielicht der Spionage

Die Verschlüsselungsgeräte der Crypto AG waren ein Exportschlager. Doch die Firma stand wegen Verbindungen zu ausländischen Nachrichtendiensten jahrzehntelang in der Kritik. Jetzt belegen neue Papiere den alten Verdacht.

Daniel Gerny, Marc Tribelhorn
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Der schwedische Kryptologe Boris Hagelin gründete 1952 die Crypto AG. Im Bild: Boris Hagelin und seine Ehefrau in New York (31. 10. 1949).

Der schwedische Kryptologe Boris Hagelin gründete 1952 die Crypto AG. Im Bild: Boris Hagelin und seine Ehefrau in New York (31. 10. 1949).

Bettmann

«Die dreisteste Geheimdienstfinte des Jahrhunderts» – so kommentierte der «Spiegel» die unglaubliche Geschichte der Crypto AG, deren Verschlüsselungsmaschinen von deutschen und amerikanischen Nachrichtendiensten systematisch manipuliert worden waren. Über Jahrzehnte sollen die ausländischen Dienste auf diese Weise die vertrauliche Kommunikation unzähliger Regierungen planmässig abgehört haben, so berichtete das deutsche Nachrichtenmagazin. Die Story schlug Wellen: Die neutrale Schweiz als Basis für die umfassendste Abhöraktion der Nachkriegsgeschichte – das war schon damals eine Geschichte mit allen Ingredienzien für einen Spionagethriller.

In Teheran verhaftet

Damals – das war vor einem Vierteljahrhundert, als die Crypto AG mit Sitz in Zug bereits einmal in den Fokus der Öffentlichkeit geriet. Die Firma ist seit Jahrzehnten mit Vorwürfen konfrontiert, wonach die saubere Fassade und das Swissness-Image nur als Kulisse für klandestine Geschäfte im Kalten Krieg dienten. Vieles von dem, was ein Recherche-Konsortium aus drei Ländern aufgrund von neu aufgetauchten Dokumenten in den letzten Tagen publiziert hat, zeichnete sich in Umrissen bereits in den 1990er Jahren deutlich ab: Die Schweizer Verschlüsselungsmaschinen, die Weltruf genossen, waren mit sogenannten Backdoors versehen – also so manipuliert, dass ihre Codes von Eingeweihten in Handumdrehen zu knacken waren. Und fast wie vor 25 Jahren lautet die Schlagzeile auch heute: «Der Geheimdienstcoup des Jahrhunderts».

In den 1990er Jahren bringt ein ehemaliger Top-Verkäufer der Crypto AG den Stein ins Rollen. Der Zürcher Hans Bühler, der als integrer Vertreter seines Unternehmens gilt und Verträge auf der ganzen Welt abschliesst, gerät 1992 unvermittelt zwischen die Fronten eines Geheimdienstkrieges: Während eines Verkaufsgesprächs in einer Wohnung in Teheran wird er verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt. Dort verbringt er die nächsten neuneinhalb Monate. Der Vorwurf: «Mithilfe bei der Enthüllung klassifizierter Informationen.» Bühler aber ist ahnungslos. Nach Zahlung einer Kaution von einer Million Franken kommt der Schweizer frei und kann in die Schweiz zurückreisen. Dass der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) für das Lösegeld aufgekommen sein soll, wie es in aktuellen Medienberichten heisst, ahnt damals noch niemand. Wenig später wird Bühler von seinem Arbeitgeber auf die Strasse gestellt – ein weiterer Tiefschlag für den damals 52-Jährigen, der zu seiner Firma stets loyal war.

Alles nur heisse Luft?

Bühler beginnt in Eigenregie, den Vorwürfen der Iraner nachzugehen, und wendet sich 1994 schliesslich an die Medien: Auf Intervention der USA seien Chiffriermaschinen so gebaut worden, dass mitgehört werden konnte. «Die Geräte waren für die einen nicht schlecht – für andere waren sie noch besser und vor allem sehr nützlich», behauptet er. Zudem seien die Geräte der Crypto AG jeweils der deutschen Zentralstelle für das Chiffrierwesen des BND bei Bad Godesberg vorgelegt worden. Die Crypto AG geht gegen die Anschuldigungen ihres ehemaligen Mitarbeiters gerichtlich vor. Die Behauptungen seien längst widerlegt und bloss heisse Luft. Abklärungen der aktiv gewordenen Bundespolizei werden nach eineinhalb Jahren ebenfalls ergebnislos eingestellt.

Doch die Geschichte ist für die Chiffriermaschinenfirma noch lange nicht ausgestanden. Auch in den USA bleibt die Crypto AG in den Schlagzeilen: In einem Hintergrundartikel berichtet Ende 1995 die «Baltimore Sun», eine Tageszeitung an der Ostküste der USA, ausführlich über Verbindungen zwischen der Crypto AG und dem amerikanischen Geheimdienst NSA. Die Vorwürfe gleichen jenen des entlassenen Angestellten Bühler bis ins Detail: Jahrelang habe die Firma auf Anweisung ihre Produkte manipuliert und so den Zugriff von Nachrichtendiensten auf die sensitive Kommunikation unzähliger Staaten aus der ganzen Welt ermöglicht. Zwar gehörten die Länder aus dem Ostblock und China nicht zu den Kunden des Zuger Unternehmens, doch im Kalten Krieg waren für die beteiligten westlichen Dienste auch Informationen aus kleineren und mittleren Staaten von geostrategischer Bedeutung.

Die Zusammenarbeit zwischen dem US-Dienst NSA und der Zuger Firma, so zeigten die Recherchen der «Baltimore Sun», reichten bis in die 1970er Jahre zurück. Die Zeitung legte etwa ein Dokument vor, das die Teilnahme einer NSA-Kryptografin an einer Sitzung der Firma für das Jahr 1975 belegt, an der die Details für eine neue Verschlüsselungsmaschine besprochen wurden. Der Bericht stützt sich auf Aussagen verschiedener Mitarbeiter der Crypto AG, die ihre Firma – wie Hans Bühler – verdächtigten, mit den Nachrichtendiensten gemeinsame Sache zu machen. Im Jahr 2000 thematisierte ein offizieller EU-Bericht über das Spionagesystem «Echelon» erneut die vermuteten Manipulationen von Chiffriergeräten. Doch auch jetzt gerät das Unternehmen nicht ins Wanken. Es bleibt im Geschäft.

Stiftung als Tarnung

Gegründet wurde die Firma von Boris Hagelin, dem bedeutenden schwedischen Kryptologen, dessen Chiffriermaschinen von den Alliierten schon im Weltkrieg genutzt wurden – als Pendant zu der legendären deutschen Enigma. 1952 siedelte Hagelin in die neutrale Schweiz über, wo er sich im zugerischen Steinhausen niederliess. «Security Swiss made» – so lautete fortan sein Slogan. Zu seinen Kunden gehörten bald nicht nur das Schweizer Militär und der Vatikan, sondern vor allem zahlreiche Länder aus Lateinamerika, Afrika, dem Nahen und dem Mittleren Osten. Die in der Schweiz produzierten Geräte, die C-52 und die H-460, avancierten zu weltweiten Exportschlagern.

Seit der Gründung aber blieben die Besitzverhältnisse undurchsichtig. Die Aktienmehrheit hielt eine in Liechtenstein domizilierte Stiftung namens «Europäische Handelsgesellschaft». Von Liechtenstein aus führte die Spur weiter zur deutschen «Bundesvermögensverwaltung», wie der Journalist Res Strehle 1994 in seinem Buch «Verschlüsselt – der Fall Hans Bühler» recherchierte. Unterabteilungen der Bundesvermögensverwaltung seien verschiedentlich als Tarnadressen des deutschen BND verwendet worden. Die Crypto AG war allerdings bemüht, gegen aussen ihre Verwurzelung in der Schweiz zu demonstrieren: So sassen im Verwaltungsrat verschiedentlich Grössen der bürgerlichen Zuger Politik.

«Top secret»

Ironischerweise sind es 2015 ausgerechnet interne Dokumente der NSA, welche die Crypto AG zurück in die Schlagzeilen katapultieren. So veröffentlicht die britische BBC ein streng geheimes Papier von 1955, das die Kooperation der Firma mit deutschen und amerikanischen Diensten klar belegt. Dabei zeigt sich: Der 1983 verstorbene Firmen-Gründer Hagelin, der eine Freundschaft mit dem Amerikaner und hochrangigen NSA-Kryptologen William F. Friedman pflegte, handelte schon kurz nach seinem Umzug in die Schweiz eine Zusammenarbeit mit der NSA aus. 2018 wurde die Crypto AG schliesslich verkauft und aufgespaltet. Beide Nachfolgefirmen betonen ihre Unabhängigkeit von Nachrichtendiensten.

Sowenig überraschend für Insider die Bestätigung dafür kommt, dass die Crypto AG während Jahrzehnten tatsächlich ein verlängerter Arm ausländischer Nachrichtendienste war: Ein Aspekt irritiert. War in den bisherigen Enthüllungen stets von der NSA die Rede, rückt nun die CIA in den Fokus. Waren beide Dienste gleichermassen involviert? Das ist nur eine der Fragen, die derzeit unbeantwortet sind. Zum ersten Mal aber sorgen Recherchen für breite Bewegung auf Bundesebene – und möglicherweise für Klärung.

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