Der Künstler Christo ist in New York gestorben. Er verpackte den Berliner Reichstag und schuf schwimmende Stege aus Stoff

Zusammen mit seiner Frau Jeanne-Claude bildete Christo ein exzentrisches Dream-Team des Kunstbetriebs. Sie verwandelten mit Stoffbahnen Landschaften und Häuser.

Marion Löhndorf
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Helmut Kohl war zuerst nicht erfreut: Das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude posiert hinter einem Modell des verhüllten Reichstagsgebäudes.

Helmut Kohl war zuerst nicht erfreut: Das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude posiert hinter einem Modell des verhüllten Reichstagsgebäudes.

Raquel Manzanares / EPA

Der Künstler Christo ist am Sonntag in New York verstorben. Dies geht aus seinem offiziellen Twitter-Konto hervor. Am 13. Juni wäre er 85 Jahre alt geworden. Mit seiner Ehefrau bildete Christo das Duo Christo und Jeanne-Claude. Nach Jeanne-Claudes Tod im November 2009 blieb er künstlerisch aktiv. In Deutschland kennt man das Künstlerpaar vor allem seit der Verhüllung des Berliner Reichstagsgebäudes im Jahr 1995.

Christos Werke besassen die Flüchtigkeit von Theateraufführungen. Waren sie einmal verwirklicht, konnte das Publikum sie eine Zeitlang geniessen. Dann verschwanden sie wieder, fast spurlos. Nur Filmaufnahmen, Skizzen und Fotos erinnerten daran. Flüchtigkeit und Vergänglichkeit gehörten zum künstlerischen Programm – Christo selbst hatte es immer wieder betont. Er arbeitete im Tandem mit seiner Frau Jeanne-Claude, die am selben Tag wie er, am 13. Juni 1935, geboren wurde und 2009 starb.

Die Kunstaktionen der beiden, die Gebäude, Parks und ganze Landstriche in Angriff nahmen, waren oft spektakulär. Die Deutschen verdankten dem Künstlerpaar eines seiner vielleicht am meisten diskutierten Projekte, den verhüllten Reichstag in Berlin. Um das Kunstwerk zu realisieren, mussten Christo und Jeanne-Claude, wie so oft, grosse Hürden überwinden.

Der Eintritt war frei, wie immer bei Christo und Jeanne-Claude: Der Reichstag in Berlin, Ende Juni 1995.

Der Eintritt war frei, wie immer bei Christo und Jeanne-Claude: Der Reichstag in Berlin, Ende Juni 1995.

Jan Bauer / AP

Helmut Kohls Widerstand

Vor allem trafen ihre Pläne auf den Widerstand des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Das Projekt wurde in einer Parlamentsdebatte diskutiert, und erst nach einer Abstimmung konnte die Umsetzung beginnen. Später erklärte Christo, Kohl sei so «Teil des Spiels» geworden und habe die Reichstagsverhüllung noch wichtiger gemacht.

Das Prozesshafte verstanden Christo und Jeanne-Claude als Teil ihrer Arbeit. Dazu zählten die oft langwierigen, manchmal Jahrzehnte dauernden Vorlauf- und Entstehungszeiten, verbunden mit Reisen, Begegnungen und Verhandlungen. Solche verliefen nicht immer freundlich: Gelegentlich wurden Christo und Jeanne-Claude von Gegnern ihrer Pläne bedroht.

Die Auseinandersetzungen mit Umweltschützern, Lokalpolitikern und Ortsansässigen der jeweiligen Schauplätze waren Teil des Kunstwerks. Mehr als dreissig Werke blieben nur Idee, da ihre Umsetzung an äusseren Widerständen scheiterte.

Für die meist kostspielig zu finanzierenden Projekte nahm Christo nie staatliche Gelder an, weil er auf Unabhängigkeit bestand. Der 1935 als Christo Wladimirow Jawaschew in Bulgarien Geborene floh 1957 in den Westen, lebte in Österreich, in der Schweiz, in Frankreich und schliesslich in New York. Er hatte die Freiheit als ein hohes Gut zu schätzen gelernt und erklärte, seine Werke seien Werke der Freiheit: «Niemand kann sie kaufen, der Eintritt ist frei.» Er finanzierte seine Projekte durch den Verkauf der Planungsskizzen.

Eine prononciert politische Dimension hatten seine Arbeiten zu Beginn seiner Karriere. Damals begann die Land-Art, der er zugerechnet wurde, geografische Räume, die man nicht besitzen konnte, in Kunstwerke zu verwandeln. Damit protestierte die Kunst gegen das Besitzbürgertum.

Nach dem Reichstag das Berliner Schloss zu verhüllen, reizte Christo nicht mehr. Er wollte Dinge immer nur einmal machen: Ein weiteres Gebäude-Projekt war damit ausgeschlossen. Jedes Werk war einmalig: die «Surrounded Islands» von 1983 zum Beispiel, die pinkfarbenen, von schwimmendem Polypropylen-Gewebe umgebenen Inseln vor der Küste von Florida, oder zwei Jahre später der eingepackte Pont Neuf in Paris.

Gelegentlich nannte man Christo einen Verpackungskünstler. Doch so wollte er nicht definiert werden, obwohl er am Anfang seiner Laufbahn alle erdenklichen Alltagsgegenstände – Kinderwagen, Motorräder, Autos – einkleidete. Zu Beginn versah er die verhüllten Objekte mit einem speziellen Lack, der das Gewebe steif machte und dem vollendeten Ganzen einen skulpturalen Charakter verlieh. Später durften die Stoffe meist frei fliessen.

Auch das Markenzeichen der verpackten Dinge, denen so Geheimnis und Magie verliehen wurden, trat immer mehr in den Hintergrund. Ohne Verpackung kamen zum Beispiel der mit Nylongewebe eingefasste Zaun in Kalifornien (1976) aus, die japanischen Schirme (1990) und die Metall-Tore mit ihren herunterhängenden Stoffbahnen im Central Park in New York (2005). Nur die früh entwickelte Vorliebe für Stoffbahnen zieht sich wie ein roter Faden durch Christos Werk.

Die Liebe zu Stoffbahnen pflegte Christo in seiner ganzen Künstlerkarriere: Der Central Park in New York im Februar 2005.

Die Liebe zu Stoffbahnen pflegte Christo in seiner ganzen Künstlerkarriere: Der Central Park in New York im Februar 2005.

Chip East / Reuters

Die schwimmenden Stege

Christos Grosskunstwerke, die immer in der freien Natur zu Ereignissen wurden, waren Publikumsmagneten. Am norditalienischen Iseo-See zwischen Mailand und Venedig schuf der Künstler 2016 «Floating Piers», schwimmende Stege, die zwei Inseln miteinander verbanden. Sie bestanden aus 220 000 miteinander verankerten Kunststoffwürfeln und waren mit rund 75 000 Quadratmetern goldgelbem Stoff überspannt.

«Floating Piers»: Der Iseo-See, 2016.

«Floating Piers»: Der Iseo-See, 2016.

Filippo Venezia / EPA

Aktionen wie diese zogen Tausende von Besuchern an, begeisterten und machten Schlagzeilen. Erst vor zwei Jahren präsentierte Christo eines seiner Grosswerke in einem Kunstsee im Londoner Hyde Park. Es provozierte, wie immer bei diesem Künstler, Vergleiche, dieses Mal mit einem Schiff, einem Ufo oder einer Pyramide.

Aus 7506 horizontal aufeinandergestapelten Ölfässern wurde es in den vorangehenden zwei Monaten zusammengebaut, riesig, wie einem Traum entwischt und typisch Christo. Der Name, «Mastaba», geht auf die Form von Bänken zurück, die vor den Häusern der ersten alten Zivilisationen in Mesopotamien standen. Um eine Interpretation des Werks gebeten, antwortete Christo mit selbstbewusster Heiterkeit, man hätte doch auch Bach nicht nach der Bedeutung seiner Musik fragen können.

Bis zum Schluss arbeitete Christo an weitreichenden Projekten. Nach dem Coup im Londoner Hyde Park plante er eine weitere «Mastaba» in der Wüste von Abu Dhabi, die höher als die Pyramide von Gizeh aufragen und die grösste Skulptur der Welt werden sollte. Superlative wurden im Lauf der Jahre Teil des Christo-Effekts.

Die Mastaba im Londoner Hyde Park, 2018.

Die Mastaba im Londoner Hyde Park, 2018.

Simon Dawson / Reuters

Das jahrzehntelang geplante Projekt der Stoff-Überspannung eines Flusses in Colorado («Over the River») in den USA sagte Christo ab – aus Protest gegen den amerikanischen Präsidenten Donald Trump. «Ich kann kein Projekt realisieren, das diesem Chef dient», sagte er gegenüber der «New York Times» ohne weitere Erklärung: Diese Entscheidung spreche für sich, fand er, der seit 1973 amerikanischer Staatsbürger war.

Vom Wind zerstört: Der sechs Tonnen schwere Vorhang durch eine Schlucht in Colorado hielt 1972 nur 28 Stunden.

Vom Wind zerstört: Der sechs Tonnen schwere Vorhang durch eine Schlucht in Colorado hielt 1972 nur 28 Stunden.

Courtesy Everett Collection / Imago

Im September 2021 soll Christos letzte Verhüllung in Paris postum zu sehen sein, der Arc de Triomphe wird sich dann den Augen der Welt entziehen: ein majestätischer letzter Gruss. Am 31. Mai ist der Künstler in New York City gestorben.

Werke, die in der Schweiz realisiert wurden

Auch in der Schweiz war Christo zu Gast - hier am 3. Juni 1978 in Zürich mit seiner Partnerin Jeanne-Claude (links).

Auch in der Schweiz war Christo zu Gast - hier am 3. Juni 1978 in Zürich mit seiner Partnerin Jeanne-Claude (links).

Keystone
«Wrapped trees» im Park der Foundation Beyeler in Riehen (1998).

«Wrapped trees» im Park der Foundation Beyeler in Riehen (1998).

Markus Stücklin / Keystone
Die Kunsthalle in Bern verhüllten Christo und Jeanne-Claude bereits 1968.

Die Kunsthalle in Bern verhüllten Christo und Jeanne-Claude bereits 1968.

Joe Widmer / Keystone
Eine Ausstellung im Musée des Beaux-Arts in Lausanne ist 1987 dem Projekt «Surrounded Islands» gewidmet.

Eine Ausstellung im Musée des Beaux-Arts in Lausanne ist 1987 dem Projekt «Surrounded Islands» gewidmet.

Keystone

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