Irans Wächter der Revolution trotzen ihren Kritikern

Nach dem Abschuss einer Boeing über Teheran stehen die iranischen Revolutionswächter in der Kritik. Doch die Elitetruppe hat es noch immer geschafft, ihre Interessen und Pfründen in Politik und Wirtschaft zu verteidigen – notfalls mit Gewalt.

Ulrich von Schwerin
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Weit mehr als nur eine Armee: Irans Revolutionswächter sind nicht nur eine schlagkräftige Parallelstreitkraft, sondern auch ein mächtiger Akteur in der Politik der Islamischen Republik mit vielfältigen Verzweigungen in die Wirtschaft.

Weit mehr als nur eine Armee: Irans Revolutionswächter sind nicht nur eine schlagkräftige Parallelstreitkraft, sondern auch ein mächtiger Akteur in der Politik der Islamischen Republik mit vielfältigen Verzweigungen in die Wirtschaft.

Abedin Taherkenareh / EPA

An Kritik sind die iranischen Revolutionswächter nicht gewöhnt. Die Prätorianergarden des Regimes sind so mächtig, dass gewöhnlich niemand wagt, ihr Handeln infrage zu stellen. Doch seit sie eingestehen mussten, ein Flugzeug voller Iraner vom Himmel geholt zu haben, weil sie die Passagiermaschine für einen amerikanischen Marschflugkörper hielten, stehen die Revolutionswächter im Kreuzfeuer der Kritik. Nicht nur auf den Strassen ist die Wut gross, sondern auch Regierung und Medien fordern Konsequenzen.

Dass die Justiz die Festnahme mehrerer Verantwortlicher verkündete, stellt weder die Regierung von Präsident Hassan Rohani noch die Demonstranten zufrieden, die seit Tagen in Teheran und anderen Städten auf die Strasse gehen. «Unverzeihlich», titelte die Zeitung «Iran» am Montag, die als Sprachrohr der Regierung gilt, vor den Umrissen eines Flugzeugs, das aus den Namen der 176 Opfer zusammengesetzt war.

Die Revolutionswächter müssten sich für den Abschuss und das verspätete Eingeständnis ihrer Schuld beim Volk entschuldigen, forderte Rohani am Mittwoch in einer seltenen Fernsehansprache. Er will ein Sondertribunal zur Aufklärung der Vorgänge, die vorige Woche zum Abschuss der ukrainischen Boeing führten. Zudem müssten die Iraner erfahren, warum der Fehler erst drei Tage später zugegeben wurde, verlangt er.

Irans Präsident Hassan Rohani drängt schon lange darauf, die Macht der Revolutionswächter in Politik und Wirtschaft zu begrenzen. Doch bisher konnten sie alle Reformen blockieren, die ihre Pfründe gefährdet hätten.

Irans Präsident Hassan Rohani drängt schon lange darauf, die Macht der Revolutionswächter in Politik und Wirtschaft zu begrenzen. Doch bisher konnten sie alle Reformen blockieren, die ihre Pfründe gefährdet hätten.

Sean Gallup / Getty

Schlagkräftige Truppe mit Verzweigungen in die Wirtschaft

Nachdem die Tötung von General Kassem Soleimani durch die USA Anfang Januar kurzzeitig zu einer Welle des Nationalismus in Iran geführt hatte, wird nun wieder Kritik an den Aktivitäten der Revolutionswächter im Ausland laut. Als Kommandant ihrer Kuds-Brigaden hatte Soleimani ein Netzwerk aus proiranischen Milizen und Parteien im Irak, in Syrien, Libanon und Jemen aufgebaut und damit Irans Einfluss erheblich ausgeweitet.

Viele Iraner verehren Soleimani deshalb als Nationalheld, doch seine aggressive und kostspielige Regionalpolitik stösst auch auf Ablehnung. Wie schon bei früheren Protesten sind in Teheran auch jetzt Parolen gegen die Revolutionswächter zu hören. Viele Demonstranten fragen, warum Iran Milliarden zur Unterstützung schiitischer Milizen im Ausland ausgebe, wenn es zu Hause an Arbeit und Geld für Bildung, Gesundheit und Renten fehle.

Der Macht der Revolutionswächter hat solche Kritik bisher wenig anhaben können. Die Elitetruppe war nach der islamischen Revolution 1979 aus informellen Milizen gegründet worden zur Verteidigung des Systems der Islamischen Republik. Seitdem sind die Pasdaran-e Sepah-e Enqelab zu einer schlagkräftigen Parallelstreitkraft mit zahlreichen Verzweigungen in Politik und Wirtschaft geworden, die oft ausserhalb der Kontrolle der Regierung agiert.

General Kassem Soleimani war so mächtig wie umstritten. Während er den einen als Kriegsheld galt, war er den anderen als Architekt von Irans aggressiver und kostspieliger Regionalpolitik verhasst.

General Kassem Soleimani war so mächtig wie umstritten. Während er den einen als Kriegsheld galt, war er den anderen als Architekt von Irans aggressiver und kostspieliger Regionalpolitik verhasst.

Iranian Supreme Leader’s Office / EPA

Die Rivalität zur Armee ist Vergangenheit

Ihr Aufstieg begann während des Iran-Irak-Kriegs. Da die regulären Streitkräfte nach der Revolution durch die Inhaftierung, Hinrichtung oder Desertion vieler Angehöriger des Offizierskorps geschwächt waren, sprangen die Pasdaran in die Bresche. Während des verlustreichen Kriegs gegen den irakischen Machthaber Saddam Hussein von 1980 bis 1988 bauten sie professionelle Strukturen auf und gründeten eigene Boden-, See- und Luftstreitkräfte.

War das Verhältnis der Pasdaran und der regulären Armee in den ersten Jahren noch von Rivalität bestimmt, arbeiten sie heute eng zusammen. Während die Armee vor allem der Landesverteidigung dient, ist die Aufgabe der stärker ideologisch geprägten Revolutionswächter die Verteidigung des Systems im In- und Ausland. Heute verfügen sie über 190 000 Soldaten, während die regulären Streitkräfte 420 000 Mann unter Waffen haben.

Hinzu kommen noch einmal 450 000 Reservisten als Teil der Bassij-Milizen, die ebenfalls den Revolutionswächtern unterstellt sind. Die 1990 gegründeten Kuds-Brigaden sind mit 5000 Mann relativ klein. Doch für Irans Regionalpolitik spielt die Einheit für Auslandeinsätze, die Soleimani jahrelang kommandierte, eine zentrale Rolle. Um Irans Unterlegenheit bei konventionellen Waffensystemen auszugleichen, setzt sie vor allem auf Guerilla-Taktiken.

Ein weitverzweigtes Wirtschaftsimperium

Die Macht der Revolutionswächter ist aber nicht allein militärisch, sondern reicht tief in die iranische Politik und Wirtschaft hinein. Nach dem Ende des Iran-Irak-Kriegs engagierten sich die Pasdaran zunächst beim Wiederaufbau der zerstörten Städte. Vom Bausektor weiteten sie bald ihre Tätigkeiten auf andere Bereiche aus und sind heute auch im Öl-, Finanz- und Kommunikationssektor aktiv. Zudem sollen sie in diverse Schmuggelaktivitäten verwickelt sein.

Alle Versuche zur Beschneidung ihres Wirtschaftsimperiums sind bisher gescheitert. Seit der Amtszeit von Präsident Mahmud Ahmadinejad haben die Revolutionswächter ihre Fühler in Parlament, Regierung und Verwaltung ausgestreckt, so dass heute in der Politik niemand mehr an den Militärs vorbeikommt. Vielerorts übertrifft ihr Einfluss längst jenen des Klerus. Manche Beobachter sehen die Islamische Republik daher schon als klassische Militärdiktatur.

Auch nach dem Abschuss der Boeing wird sich an dieser Entwicklung wohl nichts ändern. Aller Kritik zum Trotz haben die Garden die Rückendeckung von Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei. Und sollten sie ihre Macht oder das System in Gefahr sehen, werden sie nicht zögern, sie mit Gewalt zu verteidigen. Lieber vergiessen die Wächter der Revolution das Blut ihrer Landsleute, als dass sie den Status quo aufs Spiel setzen – zu sehr haben sie davon profitiert.

Lange Erfahrung in asymmetrischer Kriegsführung

uvs. · Wegen des geltenden internationalen Waffenembargos sind grosse Teile der iranischen Militärtechnik veraltet. Insbesondere die Luftwaffe ist den arabischen Nachbarn und ihren westlichen Verbündeten nicht gewachsen. Keines ihrer Kampfflugzeuge gehört zur neusten Generation. Manche Kampfjets wie die amerikanischen F-4, F-5 und F-14 stammen noch aus den 1960er und 1970er Jahren. Die sowjetischen Jagdflugzeuge vom Typ Su-22 und Su-25 sind ebenfalls in die Jahre gekommen.

Um die Unterlegenheit in der Luft auszugleichen, hat Iran eine schlagkräftige Raketenstreitmacht aufgebaut. Mit der verdeckten Unterstützung Chinas und Nordkoreas entwickelten die Pasdaran zahlreiche Kurz- und Mittelstreckenraketen mit Reichweiten von 300 bis 2000 Kilometern. Wie präzise die Raketen sind, stellten sie erst vergangene Woche bei den Angriffen auf die Stützpunkte der Amerikaner im Irak unter Beweis.

Auch Irans Marine ist ihren Gegnern in einem konventionellen Konflikt klar unterlegen. Ihre wenigen Korvetten haben der Flotte der USA im Persischen Golf wenig entgegenzusetzen. Die Revolutionswächter setzen stattdessen auf eine Vielzahl schneller und wendiger Patrouillenboote. Ausgerüstet mit Minen und Raketen, können sie rasch aus dem Schutz der Küste ausschwärmen, um etwa die strategisch wichtige Seestrasse von Hormuz zu blockieren.

Darüber hinaus haben die Ingenieure der Revolutionswächter auf der Grundlage westlicher Modelle verschiedene Kampfdrohnen entwickelt. Als im September ein Drohnenschwarm zwei der wichtigsten saudischen Ölanlagen lahmlegte, waren ausländische Beobachter über die Präzision und die Reichweite der unbemannten Flugzeuge überrascht. Dass die amerikanische Flugabwehr machtlos dagegen war, hat Riads Vertrauen in seinen Verbündeten stark erschüttert.

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