Der Streit um Verschlüsselung von Nachrichten flammt in den USA neu auf

In seltener Einigkeit üben Demokraten und Republikaner Druck auf die Technologiekonzerne aus, die Verschlüsselung von Nachrichten zu lockern. Die Tech-Firmen wiederum erhalten Rückendeckung von unerwarteter Seite.

Marie-Astrid Langer
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In der USA flammt der Streit wieder auf, ob Nachrichten für Strafverfolgungsbehörden zugänglich sein soll.

In der USA flammt der Streit wieder auf, ob Nachrichten für Strafverfolgungsbehörden zugänglich sein soll.

Mike Blake /Reuters

Dürfen Handys und Chat-Nachrichten so gut verschlüsselt sein, dass nicht einmal die Nachrichtendienste darauf zugreifen können? Der jahrzehntealte Streit hat in den vergangenen Tagen Aufwind bekommen, nachdem Facebook und Apple bei einer Anhörung in Washington klargemacht haben, dass für sie die Privatsphäre der Nutzer oberste Priorität hat.

Stein des Anstosses sind jüngst die Pläne des weltgrössten Netzwerks Facebook, den direkten Nachrichtenaustausch zwischen den 2,6 Milliarden Nutzern auf seinen drei Plattformen Facebook, Instagram und Whatsapp «Ende-zu-Ende» zu verschlüsseln, also so gut, dass nur der Empfänger und der Absender einer Nachricht den Inhalt lesen können – nicht aber Facebook selber und auch nicht die Strafverfolgungsbehörden.

Beim Chat-Dienst Whatsapp ist dies bereits der Fall. Eine Mitarbeiterin von Facebook sagte im Gespräch, dass die Firma den technisch anspruchsvollen Prozess wohl im Frühjahr 2021 abgeschlossen haben werde.

Absage an Barr

Der amerikanische Justizminister William Barr hatte den Chef von Facebook, Mark Zuckerberg, vor einigen Wochen in einem offenen Brief darum gebeten, von diesem Vorhaben abzurücken. Er argumentierte vor allem mit dem Schutz von Minderjährigen. Ihm schlossen sich die Justizminister der Five-Eyes-Staaten Australien und Grossbritannien an.

Nun hat Facebook diese Bitte ausgeschlagen. «Der Zugang über ‹Hintertüren›, den Sie verlangen, wäre ein Geschenk an Kriminelle, Hacker und autoritäre Regime», schrieb die Firma vor wenigen Tagen in einem Antwortbrief. «Es ist schlichtweg unmöglich, eine Hintertür für einen Zweck einzubauen und zu erwarten, dass andere nicht versuchen werden, über die gleiche Tür einzudringen.»

Facebook wiederholte diese Argumente letzte Woche bei einer Anhörung zum Thema Verschlüsselung im Justizausschuss des Senats. «Wir halten es für wichtig, dass amerikanische Firmen im Bereich sicherer, verschlüsselter Kommunikation führend sind», sagte Jay Sullivan, der den Datenschutz bei Whatsapp verantwortet. Er argumentierte, dass Nutzer zu den Produkten ausländischer Firmen umschwenken würden, sollte Facebook die Verschlüsselung schwächen.

Der «Clipper-Chip», ein Fiasko

Damit bekommt eine der schwierigsten Grundsatzdebatten im digitalen Zeitalter Aufwind. Schon 1993 hatte Präsident Bill Clinton Verschlüsselung als «ein zweischneidiges Schwert» bezeichnet, das dabei helfe, «die Privatsphäre von Individuen und Industrien zu schützen, aber auch Kriminelle und Terroristen deckt».

Als Lösung präsentierte Clinton den von der NSA entwickelten «Clipper-Chip», der, in Telefone eingebaut, die Privatsphäre hätte schützen und gleichzeitig den Nachrichtendiensten einen Zugang via Hintertür sichern sollen. Wenige Monate später hatten Wissenschafter den vermeintlich sicheren Chip geknackt, und er wurde vom Markt genommen.

25 Jahre später hat die Technologie, die einst nur für militärische Zwecke genutzt wurde, den Massenmarkt erreicht, und Firmen haben den Datenschutz als Möglichkeit entdeckt, sich zu profilieren. Das Problem ist dringender als je zuvor. Letztmals war der Streit 2016 aufgeflammt, als die Bundespolizei FBI Apple dazu zwingen wollte, das iPhone eines Terroristen zu entsperren.

Bevor der Streit im Gerichtssaal gelöst werden konnte, hatte das FBI Schützenhilfe von einer israelischen Firma erhalten und die Klage zurückgezogen. Inzwischen hat Apple jedoch auch die von der israelischen Firma genutzte Schwachstelle behoben – und die Frage der Verschlüsselung steht nach wie vor unbeantwortet im Raum.

Justizminister Barr führt immer wieder «Horrorgeschichten» wie die Belästigung von Minderjährigen und drohende Terrorangriffe ins Feld, bei denen Beamte nicht in die Handys von Verdächtigen gelangen könnten.

Auch Apple war am Dienstag vor den Kongress geladen worden. Neben den per se verschlüsselten Geräten ist sein Chat-Dienst iMessage – in den USA der Marktführer für Nachrichtenprogramme – «Ende-zu-Ende» verschlüsselt. Der für Datenschutz zuständige Manager Erik Neuenschwander sagte, dass es Apple bisher nicht gelungen sei, Hintertüren zu schaffen, die «nur den Guten offen stehen. Sie würden automatisch auch von böse gesinnten Akteuren ausgenutzt.»

Mit einem Seitenhieb gegen Facebook sagte Neuenschwander: «Unser Geschäftsmodell sieht nicht vor, dass wir Seiten nach Informationen zu unseren Nutzern durchforsten und Profile über sie anlegen.»

Parteiübergreifende Einigkeit

Die Senatoren im Justizausschuss zeigten sich von den Argumenten wenig beeindruckt. Vielmehr traten Demokraten und Republikaner für einmal geeint auf: Sie drohten den Firmenvertretern mit neuen Gesetzen, sollten sie nicht freiwillig den Strafverfolgungsbehörden die verschlüsselten Daten zugänglich machen.

«Entweder findet ihr eine Lösung, uns zu helfen, oder wir finden sie für euch», sagte der Republikaner Lindsey Graham, der Vorsitzende des Justizausschusses. «Ihr seid entweder das Problem oder die Lösung.» Seine demokratischen Kollegen, unter ihnen Dianne Feinstein aus Kalifornien, pflichteten ihm bei.

Noch 2016 hatte Graham das Justizministerium unter Präsident Barack Obama davor gewarnt, Apple dazu zu zwingen, das Handy des Terroristen zu entsperren. Er argumentierte damals, dass damit ein Präzedenzfall geschaffen würde, der letztlich der nationalen Sicherheit schaden könnte.

Die neuerdings konfrontative Haltung gegenüber den Tech-Firmen stellt somit einen bemerkenswerten Umschwung im Kongress dar. Justizminister Barr sagte vergangene Woche, das Verschlüsselungsproblem zu lösen, sei «eine der höchsten Prioritäten» des Justizministeriums.

Der New Yorker Bezirksanwalt Cyrus Vance jr. gab den Senatoren neue Argumente an die Hand. Er sagte, dass Apples Entscheid im Jahr 2014, das iPhone standardmässig zu verschlüsseln, «die jahrhundertealte amerikanische Rechtsprechung beendete, laut der das Eigentum von niemandem ausserhalb der Reichweite einer gerichtlichen Anordnung liegt».

Hilfe von der NSA

Schützenhilfe erhielten die Tech-Firmen überraschend von Michael Hayden, dem früheren Chef des Nachrichtendienstes NSA. In einem am gleichen Tag publizierten Gastbeitrag für «Bloomberg» argumentierte er damit, dass Cyberkriminalität schon heute ein wachsendes Problem sei, auch für amerikanische Firmen.

«Verschlüsselung ist eines der wenigen Werkzeuge, das gegen diese Bedrohung hilft – und eine Schwächung der Verschlüsselung, indem man Hintertüren für Strafverfolgungsbehörden einbaut, wird nur zu noch grösserem Schaden führen.» Er pflichtete den Vertretern der Tech-Firmen bei: «Die Nutzer werden einfach zu den Anbietern wechseln, die nicht der amerikanischen Rechtsprechung unterstehen.»

Hayden plädierte dafür, dass der Kongress stattdessen die Strafverfolgungsbehörden mit zusätzlichen Finanzmitteln versehen solle, damit diese besser Schwachstellen in der Verschlüsselung fänden.

Auch mehrere Nichtregierungsorganisationen und Wissenschafter stellten sich in den vergangenen Tagen auf die Seite von Apple und Facebook und sprachen sich für eine weiterhin starke Verschlüsselung aus.