«Es bricht mir das Herz, dass ich als Schweizerin aufgrund meines asiatischen Aussehens beleidigt werde» – wie Menschen in Zeiten des Coronavirus Diskriminierung erfahren

Die Fallzahlen beim Coronavirus steigen. Damit häufen sich auch die Berichte über Anfeindungen gegen Personen asiatischen Hintergrunds in der Schweiz und in Deutschland. Betroffene müssen sich nicht alles gefallen lassen.

Corinne Plaga und Katrin Büchenbacher
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Personen mit asiatischem Hintergrund fungieren für einige als Sündenböcke für die aktuelle Corona-Epidemie.

Personen mit asiatischem Hintergrund fungieren für einige als Sündenböcke für die aktuelle Corona-Epidemie.

Guglielmo Mangiapane / Reuters

Verena M.* verbringt einen unbeschwerten Morgen mit ihrer jüngeren Schwester beim Skifahren auf der Lenzerheide. Gemeinsam wollen sie in einem Restaurant zu Mittag essen. Doch schon im Eingangsbereich müssen sie feststellen, dass sie offenbar nicht willkommen sind. «Zehn junge Männer, die an einem Tisch sassen, haben uns argwöhnisch angestarrt. Einer drehte sich weg, bedeckte sein Gesicht und fing extra an zu husten», erzählt Verena am Telefon. Die anderen Männer imitieren die Geste. Dann lachen alle. «Wir haben uns sehr unwohl gefühlt und das Restaurant verlassen, um draussen einen Platz zu suchen», sagt Verena.

Verenas Familie lebt in St. Gallen. Verena ist 23 Jahre alt und Schweizerin mit chinesischen und vietnamesischen Wurzeln. Auch während einer Zugfahrt mit ihrer Mutter und anderen Verwandten erlebte Verena bereits beleidigendes Verhalten: Zwei jüngere Männer, die ihnen gegenübergesessen seien, hätten mehrfach Sprüche wie «Ching Chang Chong, Coronavirus» von sich gegeben und dabei gelacht. «Das habe ich als sehr diskriminierend empfunden.» Ihre Mutter habe den Vorfall beinahe dem Zugkontrolleur gemeldet. «Beim Aussteigen habe ich den beiden Männern gesagt, sie sollten erst mal richtig Chinesisch lernen, bevor sie sich so abfällig äussern.»

«Menschen suchen nach Sündenböcken»

Mit der globalen Ausbreitung des Coronavirus, das in China seinen Ursprung hat, verbreiten sich auch Panik und irrationales Handeln. In den vergangenen Wochen haben Personen asiatischen Hintergrunds auf den sozialen Plattformen unter dem Hashtag #iamnotavirus fremdenfeindliches und rassistisches Verhalten beklagt. Die Betroffenen berichten, wie sie auf offener Strasse beleidigt und gar angegriffen werden. In den sozialen Netzwerken finden sie Verständnis und Solidarität. Viele Nutzer stellen sich gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Auch in der Schweiz und in Deutschland häufen sich solche Berichte – obwohl das Virus sich hier von Italien aus verbreitet.

Für Helmut Reichen, Vorstandsmitglied der Gesellschaft Schweiz-China, passen solche diffamierenden Worte und Gesten in die weitverbreitete zurückweisende und ablehnende Haltung gegenüber allem, was seinen Ursprung in China hat. «Wie wären in weiten Kreisen unserer Öffentlichkeit die Äusserungen, wenn das Coronavirus seinen Ursprung im Westen hätte?», fragt er.

Schweizer Rassismus-Fachkreise diskutieren den Begriff «Corona-Rassismus» kontrovers. Martin Rauh, Verantwortlicher für die Zürcher Anlaufstelle Rassismus (Züras), erklärt das Phänomen folgendermassen: «Besonders in Zeiten von gesellschaftlichen Krisen wird nach Sündenböcken gesucht. Davon sind häufig ethnische Minderheiten betroffen.» Folglich sei es schwierig zu beurteilen, wann eine bestimmte Reaktion als Selbstschutz vor Ansteckung erfolgt, und wann es sich tatsächlich um rassistisches Verhalten handelt. Denn rassistische Diskriminierung sei oft subtil. Was zähle, sei das subjektive Empfinden der Betroffenen: die Wirkung, nicht die Absicht.

Sang-Min Do hält auf seinem Instagram-Profil einen Zettel mit der Aufschrift «Ich bin kein Virus» in der Hand. Auch er hat kürzlich negative Erfahrungen aufgrund seines Aussehens machen müssen. Seine Eltern stammen aus Korea. Auf dem Weg zur U-Bahn in seinem Geburtsort Hamburg sei er mit sechs Freunden unterwegs gewesen, die ebenfalls einen asiatischen Hintergrund hätten. Zwei junge Männer hätten ihnen «Corona, Corona!» hinterhergerufen und das Ganze mit dem Handy gefilmt, erzählt er am Telefon.

Daraufhin stellten die Freunde die Männer zur Rede. «Ich habe gemerkt, dass sie sehr uneinsichtig und aggressiv waren. Man konnte eigentlich nicht vernünftig mit ihnen reden», sagt Do. Der eine Mann habe dann auf die Frage, warum er sich so verhalte, geantwortet: «Ich finde es lustig, und ganz ehrlich, haben die es da drüben verdient zu sterben, wenn die alle Fledermäuse fressen.» Do und seine Freunde seien aufgrund der Aussage fassungslos und «extrem sauer» gewesen. Die Täter hätten selbst einen Migrationshintergrund gehabt. Mit ihrem Verhalten würden diese Menschen den Hass anderer auf sich ziehen und es entstehe eine «Kette des Hasses», sagt Do.

Rassismusstrafnorm schützt nur vor massiven Angriffen

In sozialen Netzwerken auf die Diskriminierung aufmerksam zu machen, ist ein Weg, wie sich Betroffene helfen können. Es gibt auch den Rechtsweg. In Deutschland untersagt das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz seit über 12 Jahren benachteiligende Handlungen nach rassistischen Mustern. Seit zwanzig Jahren schützt in der Schweiz die Rassismusstrafnorm Menschen und Menschengruppen vor rassistischer Diskriminierung, Herabsetzung und Hetze aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten «Rasse», Ethnie oder Religion. Doch was strafbar ist, wird je nach Einzelfall unterschiedlich bewertet. «Es müssen schon sehr massive Angriffe sein, damit es unter die Rassendiskriminierung fällt», erklärt Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch.

Die Strafnorm setzt bestimmte Bedingungen voraus: Die rassistischen Handlungen und Äusserungen müssen in der Öffentlichkeit stattfinden. Ausserdem müssen die betroffenen Personen als minderwertige Wesen behandelt werden, und ihre Menschenwürde muss herabgesetzt werden. Erst dann greift das Gesetz.

Ein Grossteil der Anfeindungen gegenüber Personen asiatischen Hintergrunds in der Schweiz und Deutschland in Zeiten des Coronavirus dürfte nicht unter die entsprechenden Antirassismusgesetze fallen. Verletzend sind sie trotzdem – wie das Beispiel von Frank Karinda aus Stuttgart zeigt.

Karinda spielte mit seinem Sohn vor dem Eingang einer Klinik in der Nähe von Stuttgart, während seine koreanische Frau im Wartezimmer sass. Eine Gruppe älterer Herren habe zu ihnen herübergeschaut, erzählt Karinda am Telefon. Der eine von ihnen habe gesagt: «Der hat aber einen Corona-Einschlag.» Erst war Karinda irritiert. Dann schoss er zurück. «Sonst ist aber alles klar?», fragte er in die Richtung der Männer. Sie ignorierten ihn. Erst später sei ihm eingefallen, er hätte dem Mann ja einen «Nazi-Einschlag» vorwerfen können. Er sei nicht sauer gewesen, sagt Karinda. «Meine Frau war mehr geschockt.»

Es gibt weitere Wege, wie sich Betroffene wehren können. Die Polizeistellen in der Schweiz ermutigen Betroffene, solche Fälle so rasch wie möglich anzuzeigen. «Das ist unser Job», erklärt ein Sprecher der Zuger Kantonspolizei. «Die Polizei geht den gemeldeten Fällen selbstverständlich nach», bekräftigt man in Bern. Auch im Kanton Aargau bestätigt ein Polizeisprecher: «Selbstverständlich nehmen wir diese Fälle ernst.»

Je nach Sachlage wird die Staatsanwaltschaft abklären, ob eine Widerhandlung gegen die Rassismusstrafnorm vorliegt. Es könnten auch andere Strafnormen betroffen sein: üble Nachrede, Verleumdung, Beschimpfung, Ehrverletzung. Die Anzeige kann gegen Unbekannt erfolgen, ergebe aber laut dem Aargauer Polizeisprecher mehr Sinn, wenn die Täterschaft bekannt sei. «Ob es genug Beweise und Beweismittel gibt, damit ein Strafverfahren weitergeführt wird, entscheidet am Ende der Ermittlungen die Staatsanwaltschaft, die für die Strafuntersuchung verantwortlich ist», schreibt ein Sprecher der Luzerner Kantonspolizei.

Verschiedene Kantone und Organisationen betreiben Beratungsstellen im Bereich der rassistischen Diskriminierung. In Zürich gibt es die Zürcher Anlaufstelle Rassismus seit Sommer 2019 (Züras). «Fühlt sich jemand angegriffen oder diskriminiert, kann sie oder er eine Beratung in Anspruch nehmen», sagt Rauh. Mögliche Hilfestellungen sind Coaching, Beratung oder Mediation. Nach Bedarf wird an eine geeignete Fachstelle weiter vermittelt, wie zum Beispiel für eine Rechtsberatung oder eine Therapie. Bis am Freitag seien noch keine Anfragen im Zusammenhang mit «Corona-Rassismus» bei der Beratungsstelle eingegangen.

Fakten als Gegenmittel

Gegen Panik hilft, sich der bekannten Fakten rund um das Coronavirus bewusst zu werden: In der Schweiz und Deutschland breitet sich das Virus von Italien her langsam aus. Bereits übertrifft weltweit die Anzahl der Geheilten jene der Infizierten. Die Sterberate schätzen Experten auf unter ein Prozent, und die meisten Erkrankten weisen milde Symptome auf. Der Behauptung, Asiaten in Europa würden wegen der Angst vor einer Ansteckung diskriminiert, fehlt also jegliche faktische Grundlage.

Verena aus St. Gallen sagt: «Es bricht mir das Herz, dass ich in dem Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin und mich immer als Einheimische gefühlt habe, aufgrund meines asiatischen Aussehens solch rassistisches Verhalten erlebe.» Ihre Familie sei sehr enttäuscht, dass sie sich, obwohl sie seit vielen Jahren hier lebe, unwohl fühlen müsse. Karinda aus Stuttgart sagt, er habe sich daran gewöhnt, anders behandelt zu werden wegen seines ausländischen Aussehens. Sein Vater stammt aus China, seine Mutter aus Deutschland. Schon oft hätten Türsteher ihm den Zugang zu einer Diskothek verweigert oder habe die Polizei seine Personalien kontrolliert. Do aus Hamburg gewinnt der ganzen Debatte etwas Positives ab. Bisher sei Diskriminierung gegen Asiaten ein marginales Thema gewesen. «Deswegen ist es gut, dass wir nun öffentlich darüber reden.»

* Name geändert.

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