Mehr als 20 Jahre lang war Shakespeare and Company ein Brennpunkt des geistigen Lebens in Paris. Neben Sylvia Beach steht Ernest Hemingway, ein verlässlicher Freund auch in schwierigen Zeiten.

Mehr als 20 Jahre lang war Shakespeare and Company ein Brennpunkt des geistigen Lebens in Paris. Neben Sylvia Beach steht Ernest Hemingway, ein verlässlicher Freund auch in schwierigen Zeiten.

Rue des Archives

Sie schrieb keine Bücher – aber Literaturgeschichte: Sylvia Beach und ihre legendäre Buchhandlung

Vor hundert Jahren gründete Sylvia Beach Shakespeare & Company. Fast vom ersten Tag an wurde die Pariser Buchhandlung zum Treffpunkt der literarischen Avantgarde. Unvermittelt – und tragisch – war auch ihr Ende.

Alexandra Gittermann
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«Eröffne eine Buchhandlung in Paris. Bitte schick Geld.» Als Sylvia Beach im Sommer 1919 diese Worte an ihre Mutter telegrafierte, ahnte sie nicht, dass das Geschäft, das sie kurz darauf mit den knappen Ersparnissen gründete, grossen Einfluss auf die Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts nehmen würde. Die Geschichte dieses kleinen Buchladens in Paris ist Teil der Geschichte von James Joyce, Ernest Hemingway, André Gide, Paul Valéry und vieler anderer. Sie nutzten ihn als Bibliothek, Kommunikationszentrum und, im Fall von Joyce, auch als Verlag, der seinen «Ulysses» publizierte, als es sonst niemand wagte.

Dass die literarische Avantgarde Shakespeare & Company zu ihrem «Hauptquartier» machte und sie selbst zur «Glucke» der zwanziger Jahre wurde, wie Beach sich später lachend erinnerte, ist nicht nur dem klug ausgewählten Repertoire aus Klassikern und modernen Autoren zu verdanken, das sie ihren Kunden zur Verfügung stellte, sondern auch ihrer selbstlosen Hilfsbereitschaft.

«Sie kamen wegen allem zu mir», erzählte sie einem Journalisten. Und sie war bei allem behilflich. Sie nahm die Post der Schriftsteller an, lieh ihnen Geld – auch wenn es bei ihr selbst oft kaum bis zum Monatsende reichte – und half zur Not auch bei der Wohnungssuche. Vor allem aber schuf sie einen Raum, in dem Vertreter verschiedener neuer Strömungen, ebenso wie in den Cafés von Montparnasse, «zusammen Genies sein konnten», wie Robert McAlmon es in seinen Erinnerungen formulieren sollte.

Frauen mit Courage

Mitten im Ersten Weltkrieg war die Pastorentochter 1916 mit dem vagen Wunsch, eine Buchhandlung mit französischer Literatur in London oder New York zu eröffnen, nach Europa gereist. Das Streben nach finanzieller Unabhängigkeit war ihr von der nur mässig glücklich verheirateten Mutter mitgegeben worden. Doch auch von gesellschaftlichen Konventionen zeigte sie sich stets auf beeindruckende Weise unabhängig. Sie lebte zeitweise alleine in Madrid, meldete sich in Frankreich zum Arbeitsdienst auf dem Land, wo sie die Bevölkerung dadurch, dass sie Hosen trug, nachhaltig schockierte, und verteilte dann für das Rote Kreuz Kleider und Decken in Serbien, wobei sie das kriegsgebeutelte Land auf langen Ausritten – ebenfalls meist ohne Begleitung – erkundete.

Eine Zufallsbekanntschaft in Paris war es letztlich, die ihr Leben in festere Bahnen lenkte. Die Suche nach einer Zeitschrift führte sie eines Tages in eine Buchhandlung in der Rue de l’Odéon. Adrienne Monnier hatte sie – offenbar ebenso unerschrocken wie Beach – mitten im Krieg eröffnet und rasch zu einem Treffpunkt für französische Autoren gemacht. Gide, Valéry und viele andere gingen bei ihr ein und aus. Sylvia fand sich plötzlich inmitten der französischen Moderne wieder und genoss jede Minute. Die wechselseitige Begeisterung der jungen Frauen für die Literatur des jeweils anderen Landes knüpfte ein erstes Band, bald waren die beiden unzertrennlich.

So wurde aus der französischen Buchhandlung in New York eine englische Buchhandlung in Paris. Bald war ein kleiner Laden gefunden. Maler strichen ihn in hellen Farben, während Beach in der ganzen Stadt nach Ware stöberte. Von Anfang an legte sie Shakespeare & Company als einen Ort zum Verweilen an. Die Bücher fanden Platz nur an den Wänden, so blieb der Innenraum frei und wurde mit Sesseln und Teppichen wohnlich ausgestattet.

Als alle Handwerker verschwunden, die Bücher in den Regalen verstaut waren und der Schriftzug «Shakespeare & Company» – ein nächtlicher Einfall – die Fassade zierte, öffnete die Buchhandlung im November 1919 ihre Pforten. André Gide war einer ihrer ersten Kunden. Bald darauf begutachtete Gertrude Stein das Sortiment und zeigte sich erst zufrieden, als sie auch einige ihrer eigenen Werke darunter fand. Vor allem aber kamen junge Schriftsteller aus Amerika, die es in jenen Jahren, auf der Flucht vor Prohibition und moralischer Enge, in das vibrierende Paris zog und denen Stein den fragwürdigen Namen «Lost Generation» gab. In dieser Hinsicht hätte Sylvia kaum einen besseren Zeitpunkt wählen können.

Joyce, der Schwierige

Sosehr sie bald mit vielen Autoren auf Du und Du stand, gab es einen, der sie in ehrfürchtige Starre versetzte: James Joyce. 1920 lernte sie ihn endlich persönlich kennen, und auch er gehörte fortan zu denen, die Shakespeare & Company fast täglich bevölkerten, um zu sehen, was es Neues gab. Geplagt von Geldsorgen und einem schmerzhaften Augenleiden, versuchte er schon lange, seinen «Ulysses» fertigzustellen.

Noch schwieriger war es jedoch, einen Verleger zu finden. Schon die Veröffentlichung einzelner Kapitel hatte die Zensurbehörden in den USA und in England auf den Plan gerufen. Auch erste Leser zeigten sich empört über den als brutal empfundenen Realismus und die Obszönität einiger Passagen. Als sich Joyce’ letzte Hoffnung zerschlagen hatte, das Werk im englischsprachigen Raum in Druck geben zu können, ertrug Sylvia Beach seinen Kummer nicht länger und schlug vor, das Buch selbst zu verlegen. Joyce nahm sofort erleichtert an.

Sie hatte keine Ahnung, als welch anstrengender Klient er sich entpuppen würde. Dass etwa ein Drittel des Buches erst auf den Druckfahnen entstanden war und er bei den Bemühungen, diese immer wieder ins Reine tippen zu lassen, mehrere freiwillige Helferinnen verschlissen hatte – eine von ihnen hatte gar damit gedroht, sich aus dem Fenster zu werfen, während der Mann einer anderen die Seiten in den Kamin warf, als er gelesen hatte, womit sich seine Frau da beschäftigte –, gehörte noch zu den kleineren Problemen.

Noch lange nach der Veröffentlichung spannte Joyce seine Verlegerin rund um die Uhr für jede noch so kleine Dienstleistung ein. Vor allem aber lieh er sich fortwährend Geld von ihr, so dass sie, während in Paris die Années folles tobten, ein sehr spartanisches Leben führte. Joyce dagegen speiste jeden Abend mit seiner Familie im Restaurant und war bekannt für seine grosszügigen Trinkgelder. Stoisch ordnete sie ihre eigenen Interessen dem grossen Werk unter. Sie zog sich erst enttäuscht zurück, als Joyce nach dem überwältigenden Erfolg des Buches ihre Rechte und all ihre Opfer bei der Suche nach einem Verlag für eine lukrative Neuauflage komplett überging.

Freunde in der Not

Glücklicherweise hatte sie auch Kunden, die ihr so viel zurückgaben, wie sie ihr verdankten. An erster Stelle steht dabei Ernest Hemingway, mit dem sie von Beginn an eine tiefe Freundschaft verband. Bald ernannte er sich selbst zu ihrem «besten Kunden», fand im Übrigen aber, dass Sylvia und Adrienne sich viel zu wenig mit Sport beschäftigten, und nahm die beiden staunenden Literatinnen mit an Boxkämpfe und Fahrradrennen.

In den Jahren, in denen er zum Schriftsteller heranreifte, bot Paris ihm die Erfahrungen und Shakespeare & Company das Repertoire an Literatur, die er dafür benötigte. Adrienne und Sylvia gehörten zu den Ersten, denen er seine Kurzgeschichten vorlas. Und Sylvia sorgte dafür, dass sein Erstlingswerk sofort einen Platz in ihrem vielbeachteten Schaufenster erhielt.

Denn spätestens seit der Veröffentlichung von «Ulysses» war Shakespeare & Company berühmt. Schon einige Monate nach der Eröffnung war das Geschäft umgezogen in die Rue de l’Odéon, gegenüber von Monniers Buchhandlung, so dass die Autoren nun bequem zwischen den beiden Institutionen hin- und herpendeln konnten. Obwohl die beiden Frauen nicht nur durch ihre Empfehlungen und ihre Kontakte, sondern auch durch eigene Übersetzungen wichtige Bindeglieder zwischen der französisch- und der englischsprachigen literarischen Szene bildeten, war es vor allem Sylvias Unternehmen, das die Aufmerksamkeit auf sich zog. Bald fuhren sogar Reisebusse durch die sonst stille Strasse.

Doch davon konnte sie nicht leben. Die Wirtschaftskrise erfasste ihre Kundschaft. Viele Amerikaner kehrten in ihre Heimat zurück, die Années folles waren vorbei. Beach musste sich noch mehr einschränken, um den Laden am Laufen zu halten. 1936 gestand sie Gide, dass sie erwäge, die Türen zu schliessen. «Wir können Shakespeare & Company nicht aufgeben!», rief er und trommelte ein Rettungskomitee aus Künstlern zusammen, das Geld spendete und Lesungen bei ihr abhielt. Einige von ihnen waren inzwischen immerhin Mitglieder der Académie française, und auch der nun berühmte Hemingway überwand seine Abneigung gegen öffentliche Lesungen, um Beach seine Dankbarkeit zu zeigen.

Zwei Stunden – und alles war vorbei

Die Aktion war ein voller Erfolg und verschaffte ihr noch einige gute Jahre. Der Einmarsch der Deutschen brachte dann das Ende für Shakespeare & Company, und zwar auf unerwartete Weise. 1941 hielt ein deutsches Militärfahrzeug vor der Buchhandlung. Der Offizier, der ihm entstieg, eröffnete der überraschten Sylvia, dass er die Ausgabe von Joyce’ «Finnegans Wake» kaufen wolle, die im Schaufenster lag. Sylvia weigerte sich, es sei unverkäuflich, eine Aussage, die sie wiederholte, als er kurz darauf noch einmal auftauchte. Schäumend vor Wut drohte er damit, dass noch am selben Tag all ihr Hab und Gut beschlagnahmt werde.

Einmal mehr konnte sich Beach auf ihre Freunde verlassen. Sie schleppten die Bücher in eine leerstehende Wohnung, ein Tischler nahm die Regale von den Wänden, ein Maler übertünchte den Schriftzug auf der Fassade. Innerhalb von nur zwei Stunden war Shakespeare & Company Geschichte.

Da die Deutschen ihrer Bücher nicht habhaft werden konnten, holten sie wenig später Sylvia Beach selbst ab. Doch auch als sie ein halbes Jahr später wieder freikam, zeigte sie sich kein Stück eingeschüchtert. Sie tauchte unter, besuchte jedoch jeden Tag heimlich Adrienne Monniers Geschäft, in dem inzwischen eine Untergrundpublikation der Résistance zirkulierte, an der sich viele ihrer Freunde beteiligten.

Sobald sie die Nachricht vom Abzug der deutschen Truppen erreichte, eilten die beiden zum Boulevard Saint-Michel, wo eine ausgelassene Menschenmenge zum Abschied sang und Klobürsten schwenkte. Im einen Moment fühlten sie sich noch «sehr befreit», im nächsten lagen sie flach auf dem Boden, um den Maschinengewehrsalven der Deutschen zu entgehen, die just zu diesem Zeitpunkt den Boulevard hinunterfuhren.

Hemingway als Befreier

Tatsächlich befreit wurden sie von Hemingway. Noch einmal hielt ein Militärjeep vor ihrem Haus. Diesmal rief eine laute Stimme: «Sylvia!», und unter dem Jubel der Nachbarschaft flog sie in seine Arme. Auf ihr Bitten kümmerten sich die Soldaten, die mit Hemingway gekommen waren, um die deutschen Scharfschützen, die sich noch auf einigen Dächern verschanzt hielten, dann fuhren sie wieder weg – um die Weinkeller des «Ritz» zu befreien.

Viele drängten Sylvia nach dem Krieg, ihre Buchhandlung wiederzueröffnen. Doch es war ihr wohl bewusst, dass es nie wieder so werden würde, wie es war. Drei Lieben habe sie in ihrem Leben gehabt, sagte sie später: Adrienne Monnier, James Joyce und Shakespeare & Company. Alle drei verlor sie bis zu ihrem Tod 1962. Doch der wachsende Ruhm von Joyce und anderen ihrer Schützlinge sorgte dafür, dass auch ihr noch die Anerkennung zuteilwurde, die sie verdiente.