Kolumne

Der Machtverlust der blonden Frau

Niemand schneidet und färbt uns die Haare in diesen Wochen. So werden auch die Blonden dunkler, deren Haarfarbe symbolisch aufgeladen ist wie keine andere. Was macht den Reiz der Blonden aus?

Birgit Schmid
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Blonde verkörpern noch immer Jugend und Unschuld, und zwar auch die falschen Blonden. Grace Kelly, 1955.

Blonde verkörpern noch immer Jugend und Unschuld, und zwar auch die falschen Blonden. Grace Kelly, 1955.

Imago

Wir gehen zurück zur Natur. Kosmetikstudios und Coiffeure sind für Wochen geschlossen, und es bleibt uns allen keine andere Wahl, als etwas zu verkommen. Für blonde Menschen bedeutet das, dass sie dunkler werden. Oder grau. Denn nur 2 Prozent der Weltbevölkerung sind natürlich blond. Alle anderen lassen sich die Haare färben: die Goldblonden, die Platinblonden, die Aschblonden.

Wenn sich nun der Schnitt auswächst und der Scheitel sich verdunkelt, so ist das weniger ein Problem als vielmehr eine interessante Erfahrung. Für Menschen jeder Haarfarbe. Jedenfalls treibt es uns auch in der Krise um: Als Boris Johnson, der blond gefärbte Staatschef, Anfang Woche den Lockdown in Grossbritannien verhängte, stürmten die Britinnen und Briten noch einmal die Haarsalons, als könnten sie es nicht ertragen, in den nächsten Wochen ihren sich entfärbenden Häuptern im Spiegel zu begegnen. Unter die Leute kommen sie ja kaum mehr.

Haare symbolisieren Kraft, Gesundheit, Erotik. Das erlebt jeder, der sich von langen Haaren trennt. Mit jeder Locke, die zu Boden fällt, verliert man an Macht und Kontrolle. Man möchte weinen.

Dasselbe magische Denken betrifft die Haarfarbe. Das wissen die Blonden. Sie machen sich gerade darum blonder, weil sie um den Symbolgehalt des Blondseins wissen. Blond ist die Haarfarbe, über die es die meisten Vorurteile gibt, die aber nach wie vor viele Frauen begehren und viele Männer an Frauen begehrenswert finden.

Was macht den Reiz der Blonden aus?

Eine Blondine, eine Brünette und eine Rothaarige gehen in einen Klub. Das ist kein Witz, es war tatsächlich ein Experiment. In diesem Experiment untersuchte man, wie sich Männer einer Frau im Ausgang annähern je nach Haarfarbe, die sie trug. Die Frau war immer dieselbe. Sie trug dieselben Kleider, war gleich geschminkt, sass mit demselben Ausdruck an der Bar. Nur die Haarfarbe wechselte sie. Überrascht es? Die Blondine wurde am häufigsten angesprochen.

In einer zweiten Studie wurden den Männern nur Fotos der Frau mit je anderer Haarfarbe gezeigt. Die Männer hielten die Brünette für besonders attraktiv, für intelligent und aufgeschlossen. Die Blondine wurde als bedürftiger wahrgenommen. Die Forscher führten beide Ergebnisse zusammen und kamen zum Schluss: Eine als bedürftig empfundene Blondine fördert das Selbstvertrauen der Männer. Blond verkleinert deren Angst, in einem Nachtklub-Setting zurückgewiesen zu werden.

Was heisst das nun? Blondinen wirken offenbar immer noch so, als wollten sie beschützt werden, wodurch sich Männer ermächtigt fühlen. Wohl auch deshalb hielt Alfred Hitchcock blonde Schauspielerinnen für die besten Opfer. Grace Kelly, Tippi Hedren und Kim Novak verkörperten Reinheit für ihn. Er sagte es einmal so: Sie seien «wie unschuldiger Schnee, auf dem blutige Fussspuren sichtbar werden».

So ein Satz ginge heute kaum mehr, auch nicht von einem Meister der Schockeffekte. Aber wie die Nachtklub-Studie zeigt: Klischees halten sich. Von bedürftig ist es kein weiter Weg zu unbedarft, also dumm. Blond ist ein Klischee. Das muss eine Frau wissen, die sich die Haare blondieren lässt. Sie sollte also besser über Blondinenwitze lachen, sofern sie lustig sind, statt sich aufzuregen. Madonna, die Wasserstoffblonde, war souverän darin, als sie ihre Welttournee vor dreissig Jahren «Blond Ambition» nannte.

Frauen sagen gern, sie täten es «nur für sich», wenn sie sich verschönern. Die Sorgen, die sie während des Hausarrests nun wegen ihrer Haare haben, geben ihnen recht. Wem zeigt man sich denn noch? Doch es kommt die Zeit danach. Und da dürfte bei der Farbwahl wieder einen Einfluss haben, was tausend Studien belegen: Blond gilt als attraktiv, weil es mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht.

«Helle Farben fallen auf», schreibt die Biologin Jena Pincott in ihrem Buch «Do Gentlemen Really Prefer Blondes?». Deshalb hilft man künstlich nach. Sie schreibt: «Blonde Haare verbindet man mit Jugend, da das Haar nach der Pubertät dunkler wird.» Das tut es fast immer.

Auch das ist eine Angst, die Corona schürt, wenn die Haare nun täglich 0,4 Millimeter wachsen: zu sehen, wie lange das her ist seit damals.

Madonna, hier mit schwarzem Haaransatz, spielt selbstironisch mit dem Image der Blondine.

Madonna, hier mit schwarzem Haaransatz, spielt selbstironisch mit dem Image der Blondine.

Christoph Ruckstuhl / NZZ