Interview

Ich frage meine konservativen Freunde: «Was werdet ihr am nächsten demokratischen Präsidenten noch kritisieren können?»

Jonah Goldberg gehört zu den Konservativen, die nach der Übernahme der Republikanischen Partei durch Donald Trump politisch heimatlos wurden. Im Gespräch gibt er Einblicke, wie er sich dabei fühlt.

Peter Winkler, Washington
Drucken
Jonah Goldberg ist ein überzeugter Konservativer, aber gleichzeitig ein scharfer Kritiker Trumps.

Jonah Goldberg ist ein überzeugter Konservativer, aber gleichzeitig ein scharfer Kritiker Trumps.

T.j. Kirkpatrick / Redux / Laif

Was ging Ihnen durch den Kopf, als die republikanischen Senatoren Präsident Trump im Impeachment-Prozess – mit einer einzigen Ausnahme – komplett weisswuschen?

Ich bin aus den letzten drei Jahren Enttäuschungen gewohnt. Ich muss vorausschicken, dass der gesamte Prozess für mich schwere Mängel aufwies. Die Anklage war übereilt und parteipolitisch motiviert, und der Freispruch war übereilt und parteipolitisch motiviert.

Aber in Bezug auf die Republikaner ging mir vor allem durch den Kopf, dass sie logen. Ich habe mit vielen Senatoren gesprochen und noch häufiger mit Leuten, die regelmässig mit Senatoren sprechen, und meiner Meinung nach gab es nicht einen Einzigen, der wirklich glaubte, Trump habe nichts Falsches gemacht.

Genau das ist eine meiner grossen Frustrationen, denn es wirft ein Licht darauf, wie sehr sich die gegenwärtig vorherrschende konservative Meinung in den Medien von der Realität entfernte. Der Tenor lautet da: «Da war nichts, das ist alles ein übler Scherz.» Abends auf Fox News darf niemand mehr sagen: «Okay, Trump tat zwar etwas Falsches, aber er sollte dafür nicht abgesetzt werden.»

Es ist nicht mehr möglich, auf diesen Kanälen etwas anderes zu hören als das, was der Präsident vorgibt und Rush Limbaugh, Hugh Hewitt, Sean Hannity, Tucker Carlson und wie sie alle heissen wie Papageien nachplappern. Und dann, wenn jemand doch sagt, was praktisch alle Republikaner im Capitol im privaten Gespräch zugeben, ist das Publikum entsetzt. Ich persönlich habe mir damit den Status eines Geächteten eingebrockt.

Präsident Trump nach einem Interview mit Sean Hannity (links) von Fox News.

Präsident Trump nach einem Interview mit Sean Hannity (links) von Fox News.

Bridget Bennett / Bloomberg

Ein konservatives Gewissen in der Ära Trump

win. Mit weniger als 30 Jahren machte sich Jonah Goldberg 1998 als Redaktor des konservativen Magazins «National Review» einen Namen. Er gehörte zu den Gründern der gleichnamigen Online-Ausgabe und blieb dem Magazin bis im letzten Jahr treu. In diesem Zeitraum entwickelte er sich zu einer der meistbeachteten konservativen Stimmen in den USA. Im Oktober 2019 war er mit anderen konservativen Meinungsführern, die sich von der Republikanischen Partei unter Präsident Donald Trump distanziert haben, Mitbegründer der Online-Publikation «The Dispatch», die er gegenwärtig auch als Chefredaktor leitet. Ausserdem ist Goldberg fester Mitarbeiter bei der Denkfabrik American Enterprise Institute (AEI) und verfasst eine wöchentliche Kolumne für die «Los Angeles Times», die von Dutzenden weiteren Zeitungen im ganzen Land übernommen wird.

Also geht es um die Macht von Fox News, der Radio-Talkshows? Oder steckt noch etwas anderes hinter der Angst der republikanischen Politiker, die Wahrheit zu sagen?

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, die alle zum gleichen Resultat führen. Der wichtigste ist, dass die meisten Republikaner im Kongress wegen der Polarisierung und der parteiinternen Vorwahlen eine Herausforderung in den Primärwahlen stärker fürchten als den Gegner in der eigentlichen Wahl, in der Amtsinhaber eine statistische Chance auf den Sieg von 80 Prozent haben. Trumps extreme Macht besteht darin, dass er diese Chance in der parteiinternen Vorwahl mit einem einzigen Tweet zerstören kann.

Im Repräsentantenhaus sagen es einige ganz offen: Wir werden nichts tun, was dazu führen könnte, dass wir in der Vorwahl herausgefordert werden. Es genügt eine einzige Bemerkung Rush Limbaughs, um einen langjährigen Amtsinhaber in der Vorwahl zu besiegen. Dazu kommt, dass Trump eine symbiotische Beziehung zum harten Kern seiner Anhänger unterhält. Das ist zwar nur gut ein Drittel der republikanischen Wählerschaft, aber diese Leute beteiligen sich regelmässig an den Vorwahlen. Wenn man sich mit Trump anlegt, bekommt man grosse Probleme mit ihnen.

Der umstrittene Radiomoderator Rush Limbaugh (im Bild nicht sichtbar) erhält viel Applaus, als Trump anlässlich der Rede zur Lage der Nation ankündigt, ihm eine Ehrenmedaille zu verleihen.

Der umstrittene Radiomoderator Rush Limbaugh (im Bild nicht sichtbar) erhält viel Applaus, als Trump anlässlich der Rede zur Lage der Nation ankündigt, ihm eine Ehrenmedaille zu verleihen.

Shawn Thew / EPA

Ein weiterer Grund liegt schliesslich in Trumps Charakter. Traditionell gibt es zwei Mittel, mit denen man einen Präsidenten der eigenen Partei dazu bringen kann, das zu tun, was man will. Das eine ist Kritik an Dingen, die er nicht gut macht, das andere ist Lob für Dinge, die er gut macht. Wegen seines unbezähmbaren Narzissmus ist Trump völlig immun gegen Kritik; sie hat bei ihm vielmehr fast immer negative Konsequenzen. Umgekehrt ist er sehr anfällig für Lob. Zusammengefasst ist das wie ein Auto, das nur rechts abbiegen kann; das geht nirgendwohin.

Abgesehen von seinem Charakter, hat Trump denn die anderen Probleme erst geschaffen, oder hat er bestehende Trends nur verstärkt?

Es gibt eine Reihe von strukturellen Problemen in den USA, die schon vor Trump existierten. Dazu gehört, dass der Kongress in den letzten Jahrzehnten stetig Macht an die anderen Zweige der Regierung abgab. Er scheint nicht mehr in erster Linie daran interessiert zu sein, gesetzgeberisch zu gestalten, und er verliert auch zunehmend die Fähigkeit, das zu tun. Nehmen wir den Handel. Das ist eine Domäne, welche die Verfassung eindeutig dem Kongress zuweist. Doch dieser verabschiedet Gesetze, die dem Präsidenten die entsprechenden Befugnisse übertragen. Im gesetzgeberischen Vakuum, das der Kongress hinterlässt, spielen auch die Gerichte eine immer grössere Rolle, ebenso die Beamten in der Verwaltung.

Seit etwa eineinhalb Generationen haben wir Politiker, die ihre Arbeit im Kongress eher als Chance sehen, sich den Status eines Prominenten zu verschaffen, als wirklich das zu tun, was die Verfassung vom Kongress verlangt. Sie haben keine Ambitionen mehr. Das äussert sich schon im Ausdruck der «gleichberechtigten Zweige» der Regierungsführung, der nun in aller Leute Munde ist. Tatsache ist aber, dass die Verfassung den Kongress eindeutig zur überragenden Instanz macht: Er allein hat die Macht, Angehörige der beiden anderen Zweige abzusetzen. Er setzt alle Gehälter fest, besetzt die Gerichte mit Richtern, kann Steuern erheben, Krieg erklären, Gesetze schreiben und Aufsicht über die anderen Bereiche ausüben. Es ist darum kein Wunder, dass er im ersten Artikel der Verfassung genannt wird, nicht im zweiten oder im dritten.

Inwiefern hat das mit Trump zu tun?

Die schleichende Selbstentmachtung des Kongresses – seit dem Zweiten Weltkrieg hat der Kongress zum Beispiel keinen von Amerikas Kriegen mehr erklärt – bereitet den idealen Boden für einen Präsidenten, der möglichst viel Macht an sich zieht. Nicht im Sinn eines Diktators, auch wenn Trump den Gestus des autoritären Führers mit seinem vorgestreckten Kinn im Stil Mussolinis offensichtlich mag. Aber wir nähern uns damit immer mehr einem parlamentarischen System, in dem eine Partei an die Macht gewählt wird und diese dann nach der Pfeife des Präsidenten tanzt, wie dies ein Ministerpräsident im parlamentarischen System erwarten kann.

Der Streit zwischen den beiden Parteien lähmt die Arbeit im amerikanischen Kapitol.

Der Streit zwischen den beiden Parteien lähmt die Arbeit im amerikanischen Kapitol.

Zach Gibson / Reuters

Das wirkte sich eben auch aufs Impeachment aus. Es ist doch interessant, dass nun viele auf der Rechten sagen, Mitt Romney (der als einziger Republikaner im Senat für die Absetzung Trumps stimmte, Anm. der Red.) habe den Präsidenten verraten. Ich bitte Sie! Wie wäre das denn möglich? Trump hat nichts dazu beigetragen, dass Romney gewählt wurde, das taten die Wähler in Utah selbständig. Demnach schuldet Romney Trump auch nichts, schon gar nicht unbedingte Loyalität. Aber heute wird von Parteien verlangt, dass sie eine Art Korpsgeist haben, obwohl das nirgends vorgeschrieben wurde.

Hat das nicht auch mit der Polarisierung zu tun?

Ja. Aber Amerika hat schlimmere Phasen der Polarisierung durchlebt, etwa in den 1850er Jahren oder in den dreissiger und fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Neu ist, dass die amerikanischen Parteien seither die Macht aus der Hand gaben, ihre Kandidaten zu bestimmen. Noch nie waren die Parteien in Zeiten einer starken Polarisierung so schwach wie heute.

Wo ist der Zusammenhang?

Die Parteien müssten doch ein starkes Interesse daran haben, ihre «Marke» zu schützen, ihr langfristiges Bestehen zu garantieren, ihren Amtsinhabern den Rücken zu stärken und deren Wiederwahl zu ermöglichen. Doch mit dem heute geltenden System der Vorwahlen gaben sie das weitgehend auf.

Trump vollzog 2016 eine unfreundliche Übernahme der Republikanischen Partei. Er benutzte die Macht seiner Prominenz und die Entschlossenheit seiner Anhänger dazu, einen Rivalen nach dem andern auszuschalten. Als die Partei versuchte, das aufzuhalten, fing er an, von Betrug und gefälschten Wahlen zu reden.

Bei den Demokraten passierte übrigens das Gleiche. Bernie Sanders war nie ein Demokrat! Er ist ein unabhängiger, demokratischer Sozialist, der sich nur zum Demokraten erklärte, um für das Präsidentenamt kandidieren zu können. Er schaffte es 2016 fast, eine unfreundliche Übernahme zu organisieren, und es ist gut möglich, dass es ihm dieses Mal gelingt. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine Partei ihre institutionelle Macht preisgibt. Die Demokraten schwächten die Macht der Superdelegierten, weil Bernie Sanders und seine Anhänger dies wollten. Sie verloren damit ein weiteres Stück ihrer Kontrolle.

Die Demokraten suchen noch nach dem Herausforderer Donald Trumps. Das einst sehr breite Feld hat sich inzwischen auf die beiden Bewerber in der Bildmitte reduziert, Bernie Sanders (links) und Joe Biden.

Die Demokraten suchen noch nach dem Herausforderer Donald Trumps. Das einst sehr breite Feld hat sich inzwischen auf die beiden Bewerber in der Bildmitte reduziert, Bernie Sanders (links) und Joe Biden.

John Locher / AP

Könnte man nicht einwenden, das sei doch Demokratisierung und daher wünschbar?

Demokratie ist wichtig zwischen den Parteien, nicht innerhalb der Parteien. Welche gesunden Institutionen sind denn in sich selber vollständig demokratisch? Eine gesunde Familie setzt nicht zu jeder Frage eine Abstimmung an. Ein Unternehmen macht das auch nicht, nicht einmal eine Zeitung. Das bedeutet nicht, dass sie autokratische, böse Diktaturen sind, die kein Feedback ihrer Mitglieder aufnehmen oder nicht auf deren Anliegen eintreten. Aber interne Demokratie ist eine Form der Lähmung. Indem die Parteien alles transparent und demokratisch machen, verlieren sie die Fähigkeit, jene harten Entscheide zu fällen, die es braucht, um dynamisch und gesund zu bleiben.

Hat diese interne Schwäche der Parteien dazu geführt, dass der Kongress kaum noch etwas zustande bringt?

Nicht nur, aber auch. Dazu kam auf der Rechten, dass mit der Tea-Party-Bewegung eine Art von Wettkampf um die reine Lehre losging. Das Motto lautete: «Wenn wir nur genug lupenreine Konservative im Kongress haben, wird alles ganz einfach.» Das ist natürlich grober Unfug. Denn wenn ich Reinheit in den Vordergrund stelle, gebe ich den Versuch auf, andere zu überzeugen. Und ich mache jene, die nicht völlig mit mir einiggehen, zu Feinden statt zu Verbündeten. Ronald Reagan sagte: «Wenn Sie in sieben von zehn Fragen mit mir übereinstimmen, sind Sie nicht teilweise mein Feind, sondern mehrheitlich mein Freund.»

Dieser Wettkampf um die Reinheit führte zur grotesken Situation, dass die Republikaner 2012 die konservativste Führung ihrer Geschichte hatten, dass aber in den Medien ständig zu hören war, ihr Scheitern sei einzig dem Mangel am reinen, konservativen Engagement anzulasten. Und jetzt sehen wir das Gleiche auf der linken Seite, bei Bernie Sanders, Alexandria Ocasio-Cortez oder Elizabeth Warren. Da heisst es auch, Unbeflecktheit sei wichtiger als Überzeugungskraft. Aber klar: Um die Basis zu mobilisieren, braucht man keine Unentschlossenen zu überzeugen.

Manche seiner Gegner fürchten, dass Trump das Land in eine autoritäre Zukunft führen wird. Was halten Sie davon?

Trump ist zu wenig intelligent, um ein Diktator zu sein. Er kann im Spiel nicht zwei Züge vorausdenken, sondern entscheidet immer instinktiv, aus dem Moment heraus. Aber was mir Sorgen macht, ist, dass er den Boden bereitet, vielleicht nicht für den nächsten Präsidenten, sondern den fünften nach ihm.

Elizabeth Warren und Bernie Sanders versprechen im Wahlkampf laufend Massnahmen, die verfassungswidrig wären. Und da beunruhigt mich schon, dass sich kaum noch jemand für die Institutionen einsetzt, die für unser Land unersetzlich sind.

Trump ist der erste Präsident, der nie einer Institution angehörte, die ihn gelehrt hätte, den Wert solcher Organisationen zu schätzen, sei dies nun das Militär, die lokale Verwaltung oder was auch immer. Trump war ein «Prominenter» und der Besitzer eines undurchsichtigen Familienunternehmens, der sich offensichtlich nach den Attributen des Adelsstands sehnt. Er wäre viel lieber ein Staatsoberhaupt im Stil eines Monarchen, aber das haben wir nicht in unserem System.

Warum halten die Religiösen zu ihm, dem notorischen Lügner, Heuchler und Ehebrecher?

Das Gefühl, Opfer zu sein, sitzt in der rechten evangelischen Szene sehr, sehr tief. Darum können die Evangelikalen sagen: «Er ist zwar nicht ohne Fehl und Tadel, aber er ist mein Verteidiger, er kämpft für mich und wird mich beschützen.» Sie verweisen dann gern auf König David, der auch als Sünder ein wertvolles Instrument Gottes wurde.

Ich würde unterscheiden zwischen zwei Kategorien. Da sind – zum einen – die evangelikalen Durchschnittsmenschen, die zur Arbeit und in die Kirche gehen und finden, Trump sei die Unterstützung trotz allen Mängeln wert. Ich kann diese Haltung respektieren. Was ich aber nicht ausstehen kann, sind – zum andern – die selbsternannten Führer der Religiösen, die Kriterien wie Charakter, moralische Redlichkeit und christliche Werte so lange als politischen Totschläger benutzten, dass sie Politik heute eigentlich wichtiger finden als Religion. Viele machen das zu Geld, werden reich damit. Leute wie Jerry Falwell junior sind in meinen Augen reine Ganoven.

Trump schüttelt dem einflussreichen Vertreter der religiösen Rechten, Jerr Falwell jr., die Hand.

Trump schüttelt dem einflussreichen Vertreter der religiösen Rechten, Jerr Falwell jr., die Hand.

Scott Morgan / Reuters

Gerade Anführer von Institutionen haben die Pflicht, an ihren Prinzipien festzuhalten und Vorbilder zu sein, auch und gerade wenn es schwierig ist. Viel zu viele in der Rechten haben entschieden, dass Prinzipien nützlich sind, wenn man sie seinen Feinden um die Ohren hauen kann. Sobald sie aber den eigenen Interessen in die Quere kommen könnten, lässt man sie fallen. Ich frage meine konservativen Freunde gerne: «Was werdet ihr am nächsten demokratischen Präsidenten noch kritisieren können, ohne euch dem berechtigten Vorwurf auszusetzen, dass ihr zweierlei Massstäbe anwendet?»

Wie muss man diesen Opferkomplex der Rechten verstehen? Wie äussert er sich?

Die Rhetorik auf der Rechten war in jüngerer Zeit unglaublich apokalyptisch, und ich muss zugeben, dass ich dagegen nicht immer gefeit war. Aber es kam so weit, dass im Vorfeld der Präsidentschaftswahl von 2016 von der «Flug-Nummer 93»-Wahl gesprochen wurde, in Anlehnung an jenes entführte Flugzeug, das bei den Anschlägen vom 11. September von den Passagieren zum Absturz gebracht wurde, weil es Kurs aufs Capitol genommen hatte. Sean Hannity eröffnete seine Radiosendung jeweils damit: «Es sind jetzt so und so viele Tage bis zur Wahl, die das Ende Amerikas bedeuten könnte.» Damals wie heute finde ich, wenn das Ende Amerikas nur noch eine Wahl von uns entfernt ist, dann ist Amerika bereits gescheitert. Aber ich anerkenne, dass dieses tiefe Gefühl einer existenziellen Qual existiert, und zwar auf beiden Seiten, auch auf der Linken.

Wohin wird sich die konservative Bewegung nach Trump entwickeln?

Es gibt viele republikanische Kongressabgeordnete und Senatoren, die glauben, wenn Trump erst einmal weg sei, würden wir uns wieder auf Reagan besinnen. Ich glaube, sie machen sich etwas vor. Dann gibt es andere, auch gescheite Konservative, die sich in eine nationalistische Richtung bewegen. Ich mag das in keiner Weise.

Ich gebe zu, manche von ihnen sind gute Freunde von mir, und ich bin sicher, einige von ihnen sind auch wirklich bemüht, sich da zurechtzufinden. Aber viele sind einfach Opportunisten, die glauben, sie könnten mit dem Nationalismus eine Brücke schlagen vom «Trumpismus» zu einem intellektuell kohärenten Konservatismus. Ich glaube, das zwingt viele zu einer geschichtlichen Darstellung, die nicht den Tatsachen entspricht. Sie stellen Verbindungen her, die mir keineswegs einleuchten.

Aber ja, mittlerweile sind viele Leute auf diesem Kurs, und es wird schwierig werden, das zu ändern. Deshalb glaube ich, dass wir uns unterm Strich in einer stärker nationalistisch geprägten Aussen- und Handelspolitik bewegen werden. Das hat wahrscheinlich mehr mit der Rivalität zwischen den USA und China zu tun als mit Trump, auch wenn es seine Regierungszeit ist, in der das alles begann.

Trump und der chinesische Vize-Ministerpräsident Liu He unterzeichneten das sogenannte Phase-1-Abkommen zwischen den USA und China.

Trump und der chinesische Vize-Ministerpräsident Liu He unterzeichneten das sogenannte Phase-1-Abkommen zwischen den USA und China.

Kevin Lamarque / Reuters

Wie gehen Sie mit der Tatsache um, dass Trump oft Dinge sagt, von denen er offensichtlich nicht viel versteht?

Da spielt wieder mit, dass man zwar Dinge privat sagen darf, aber auf keinen Fall öffentlich, weil man dann «nicht loyal ist». Ich rede mit vielen Konservativen, im ganzen Land, im Green Room von Fox News, im American Enterprise Institute oder bei der «National Review», und kann Ihnen sagen: Es ist sehr schwer, einen Konservativen zu treffen, der den ganzen Trump-Stuss wirklich glaubt. Selbst engste Verbündete machen sich, wie ich höre, hinter Trumps Rücken über ihn lustig.

Es gibt solche, die ihn wirklich mögen, die ihn vielleicht unterhaltsam finden oder gut fürs Land oder so etwas. Doch selbst sie machen im Privaten die Rechnung auf und sagen: «Ja, ich mag seine Tweets nicht, aber schauen Sie sich die Richterernennungen an, die Steuern, die Deregulierung!»

Wenn es Konservative gibt, die diese Kosten-Nutzen-Rechnung anders machen als ich, kann ich das respektieren, auch wenn ich nicht einverstanden bin. Wenn sie zum Schluss kommen, dass es sich unter dem Strich lohnt, mit Trump zu marschieren, vielleicht auch, weil er auf jeden Fall besser ist als Hillary Clinton, dann halte ich sie nicht a priori für böse Menschen oder Narren. Aber der wirkliche Test findet im Gespräch im Vertrauen statt. Da muss man sie fragen: «Glauben Sie, er ist ein Mann von Charakter?» Wenn sie darauf mit Ja antworten, dann weiss ich: Sie sind ihm blind ergeben.

Also auch im besten Fall wäre es immer noch eine Art Teufelspakt?

Ich habe kein Problem mit dem Vergleich. Man vergisst gern, dass der Teufel dem Doktor Faust etwas wirklich Gutes anbietet: nicht altes Gebäck oder so, sondern seine Herzenswünsche. Anders gesagt: Die Leute, die ich respektiere, machen eine Art Wette, dass die Demokraten viel schlechter wären – eine Haltung, die ich nicht unbedingt teile – oder dass die Institutionen und das Land ausreichend widerstandsfähig sind, um die negativen Folgen Trumps besser überleben zu können, als ich das denke.

Dann gibt es natürlich Leute, die einfach Geld machen wollen. Es ist ja auffallend, wie rasch viele ältere Politiker in ihren Sechzigern oder Siebzigern zu Trump überliefen. Der Grund ist, dass es ihre letzte Chance ist, noch einmal Bedeutung zu erlangen. Wenn 2016 eine weitere demokratische Regierung an die Macht gekommen wäre, hätten sie den Zug verpasst und wären nachher zu alt gewesen.

Aber verspielt die Partei nicht ihre Zukunft, vor allem wegen des penetranten Chauvinismus des Präsidenten?

Die Republikanische Partei ist nicht über Nacht zu einer Bande von Fremdenhassern geworden. Aber ich halte es für beschämend, dass sie den Chauvinismus, den Trump zur Schau stellt, rechtfertigt und rationalisiert. Wenn wir Leuten wie Senator Lindsey Graham ein Wahrheitsserum verabreichten und ihn fragten, was er wirklich von Trump halte, würden wir uns wundern. Er will einfach wiedergewählt werden. Er war im Wahlkampf 2016 Trumps Gegner und sagte wenig schmeichelhafte Dinge über ihn. Wenn er seinen Wählern in South Carolina nicht konstant zeigen würde, dass er sich für Trump ins Zeug legt, würde er es einem allfälligen Herausforderer in einer Vorwahl sehr leichtmachen. Dieser müsste nur die Videos vom Wahlkampf 2016 zeigen, in denen Graham Trump beleidigt. Der Senator wäre innert kürzester Zeit zerstört. Es ist ein wenig wie Fahrradfahren. Wenn Graham aufhört, für Trump in die Pedale zu treten, fällt er um.

Mehr von Peter Winkler (win)