Die Demokraten reden über Schwarze statt mit ihnen

Um die amerikanischen Präsidentschaftswahlen im Herbst zu gewinnen, müssen die Demokraten ganz auf die schwarze Wählerschaft zählen können. Der Wille der Bewerber, sich dafür ins Zeug zu legen, ist aber beschränkt, wie in South Carolina sichtbar wird.

Peter Winkler, Conway/Charleston
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Der frühere Vizepräsident Joe Biden nimmt mit seiner Frau und einer Enkelin an einem Gottesdienst teil in Charleston, South Carolina.

Der frühere Vizepräsident Joe Biden nimmt mit seiner Frau und einer Enkelin an einem Gottesdienst teil in Charleston, South Carolina.

Randall Hill /Reuters

«Ich bin schon etwas enttäuscht», sagt Edric Alston. Er wollte hören, was die Kandidaten persönlich zu sagen haben. Keiner tauchte auf. «Es ist natürlich schwierig, mit der Logistik und allem», räumt der 50 Jahre alte Lehrer ein. «Aber trotzdem.» Noch kurz vor Beginn des Anlasses im Mason Temple in der Kleinstadt Conway war das Gerücht herumgereicht worden, Amy Klobuchar, die Senatorin aus Minnesota, werde ihre Aufwartung machen. Doch auch daraus wurde nichts. Er werde nun weiter rätseln, sagt Alston, wem er seine Stimme geben wolle.

In Deutschland stationiert

«Sie sind aus der Schweiz? Dann tut es mir leid, dann können Sie meinen Namen nicht nennen. Ich war 13 Jahre lang in Deutschland stationiert. Es gibt da zu viele Leute, die mich kennen.» Der frühere amerikanische Soldat meint es ernst. Und so erhält er ein Pseudonym und sitzt nun, neben seiner Frau Bernice, als «Carl Green» in einem der Bänke des Mason Temple der Church of God in Christ. Dieser Ableger der Pfingstbewegung ist eine der grössten Kirchen im Land mit mehrheitlich schwarzen Gläubigen.

Die Stadt Conway in South Carolina liegt nur 15 Meilen von Myrtle Beach entfernt, einem der bekanntesten Strände an der amerikanischen Atlantikküste. Dort gäbe es auch einen internationalen Flughafen; die logistischen Probleme für die Präsidentschaftsbewerber wären sicher nicht unüberwindbar. Es geht wohl um etwas anderes.

Vielleicht darum: Conway ist das Gegenteil von «schick». Das Ländliche und leicht Vergammelte drückt überall durch in dieser Stadt mit rund 25 000 Bewohnern. 42 Prozent der Einwohner sind schwarz, das ist gut dreimal so viel wie der landesweite Durchschnitt. Auch Bernice und Carl Green sind schwarz. Sie sind Teil der grössten Wählergruppe der Demokraten in South Carolina, nämlich 60 Prozent. Das müsste in diesem Gliedstaat, in dem am Samstag der amerikanische Süden zum ersten Mal ein Urteil über die demokratischen Präsidentschaftsbewerber fällt, die Kandidatinnen und Kandidaten anziehen wie das Licht die Motten. Sollte man meinen.

Geschichte, Politik und Glaube

Der Energie im Gebetssaal kann das vorerst nichts anhaben. Sie ist oft fast mit Händen zu greifen, aber jeden Moment zu sehen und zu hören: in der Musik, in den Reden und Appellen, in den Gebeten und in der Teilnahme des Publikums. Denn im Mason Temple von Conway treffen an diesem Sonntagnachmittag drei Stränge des täglichen Lebens zusammen, die für die schwarze Bevölkerung vor allem im Süden Amerikas höchste Bedeutung haben.

Da wird zum einen, wie jeden Februar, der «Black History Month» gefeiert, das mittlerweile offizielle Gedenken an die leidvolle Geschichte der Afroamerikaner in der Neuen Welt. Zum anderen treten die demokratischen Vorwahlen in South Carolina in ihre heisse Phase. Und wo es um Politik geht, ist vor allem in der älteren schwarzen Bevölkerung Amerikas der Glaube nie fern. Seit je spiegelt sich diese enge Verflechtung in der Losung «Souls to Polls» – etwas frei übersetzt «aus der Kirche ins Wahllokal». Denn die Kirchen spielten beim Organisieren und Mobilisieren eine Schlüsselrolle, gerade im Süden, wo es die Afroamerikaner besonders schwer hatten, das Wahlrecht, das ihnen 1870 nach dem Bürgerkrieg in der Verfassung versprochen worden war, auch wirklich in Anspruch zu nehmen.

Aber Conway ist nicht der Ort, wo sich Politiker mit landesweiten Ambitionen zu Hause fühlen, auch nicht bei den Demokraten, egal, was sie in ihren Werbespots sagen. Das zeigt sich trefflich am Tag danach. In einem Fünfsternehotel der mondänen Hafenstadt Charleston ist die Partei-Elite der Demokraten geladen. Fast tausend Personen legen 125 Dollar auf den Tisch, um am «First in the South Dinner» der Demokratischen Partei teilzunehmen. Und hier wechseln sich gleich fünf der wichtigsten Kandidaten am Rednerpult ab. Bernie Sanders, Pete Buttigieg, Elizabeth Warren, Joe Biden und Amy Klobuchar betonen alle ihr Engagement für die verarmte schwarze Bevölkerung des amerikanischen Südens. Es ist auch für sie einfacher, über Schwarze zu reden als mit ihnen. In den Mason Temple von Conway, wo nur ein bescheidener Korb für Spenden herumgereicht wurde, hatten es nicht einmal die Stellvertreter der Kandidaten, die sogenannten Surrogates, geschafft.

Weisse Bewerber, schwarze Wähler

Zwei Kongressabgeordnete sind die grosse Ausnahme. Es kann kein Zufall sein, dass beide schwarz sind, während im Präsidentschaftsrennen mittlerweile die Weissen das Monopol haben. Ayanna Pressley aus Boston gehört zum Quartett junger linker Demokratinnen, die unter dem Namen «The Squad» für Aufruhr im politischen Establishment sorgten. Sie legt sich für Elizabeth Warren ins Zeug und offenbart gleichzeitig ihre tiefreichenden christlichen Wurzeln. Warren, sagt sie, spreche zwar nicht spezifisch das schwarze Amerika an. Aber sie strebe ein Amerika an, in dem die Afroamerikaner ein gleichberechtigter Teil einer Gesellschaft seien.

Im Gegensatz zu Pressley ist Anthony Brown aus Maryland ein gemässigter Abgeordneter. Er vertritt Pete Buttigieg, der sich in den Umfragen mit schwarzen Wählern schwertut. Brown appelliert an die Zuhörer, sie sollten nicht auf das hören, was über «seinen» Kandidaten gesagt werde, sondern auf das, was Buttigieg selber sage. Und er zählt auf, wie sich der frühere Bürgermeister in seiner Heimatstadt South Bend in Indiana nicht nur mit Worten, sondern mit Taten für die Schwarzen eingesetzt habe, die in der Industriestadt im Rostgürtel Amerikas immerhin fast zwei Drittel der Bevölkerung stellen.

Als selbst der Stellvertreter des Unternehmers Tom Steyer sich entschuldigen lässt und damit klar wird, dass die Wähler in Conway ganz einfach nicht wichtig genug sind, fällt der Anlass im Mason Temple in sich zusammen. Ein ansehnlicher Teil der Zuhörer verlässt die Kirche. Unter ihnen sind viele Anhänger Joe Bidens. Er wird stets als Favorit der Afroamerikaner genannt, wenigstens der älteren. In Conway lässt er nicht einmal ein Grusswort verlesen.

Biden stösst am folgenden Abend, beim Partei-Dinner in Charleston, auf ausserordentlich viel Sympathie. Neben Bernie Sanders erhält er den grössten Beifall, als er ans Rednerpult tritt. Aber er lässt fast nie sein altes Feuers erkennen, scheint froh zu sein, dass seine Redezeit abläuft, und wirkt insgesamt müde.

Der Applaus für ihn ist denn zum Schluss seines Auftritts auch spürbar gedämpfter als zu Beginn. Im auffälligen Gegensatz dazu ernten die beiden Frauen, Elizabeth Warren und Amy Klobuchar, viel stärkeren Beifall am Ende ihrer Auftritte als zu Beginn. Buttigieg und Sanders wiederum scheinen am ehesten eine Anhängerschaft zu haben, die sich definitiv festgelegt hat und das auch mit einem konstantem Pegel an Jubel unterstreicht.

Das Einzige, das die Zuhörer in Conway und in Charleston verbindet, ist der innige Wunsch, Donald Trump im November zu schlagen. Doch bei der Frage, wer dies schaffen soll und wie, gehen die Meinungen rasch und weit auseinander. Viele klammern sich einfach an die Hoffnung, dass sich dieses Mal alle, auch die Anhänger der Verlierer in den Vorwahlen, dereinst hinter die Person stellen werden, die im Sommer zum offiziellen Kandidaten der Demokratischen Partei gekürt wird. 2016 hatte die Tatsache, dass enttäuschte Verlierer in den Vorwahlen im November aus Protest chancenlose Drittkandidaten wählten oder gleich ganz zu Hause blieben, zu Hillary Clintons Niederlage beigetragen.

Im Zentrum der Kritik standen damals die Anhänger von Bernie Sanders, die auch dieses Mal bei vielen Gemässigten als unsichere Kantonisten angezweifelt werden. Der «Bernie-Clique», sagt eine Warren-Unterstützerin in Charleston, traue man einfach nicht. Diesen Leuten scheine es oft nur darum zu gehen, dem Establishment den Stinkefinger zu zeigen. Die grosse Befürchtung sei, dass die Sanders-Anhänger nicht einsehen wollten, dass es bei der Wahl um mehr gehe als um das Weisse Haus. Doch ohne Unterstützung eines demokratisch dominierten Kongresses werde auch der «wütende alte Mann aus Vermont» nichts zustande bringen.

Wie an vielen anderen Orten in den Vereinigten Staaten treffen sich in Daniel Island, einem neu entwickelten nördlichen Quartier von Charleston, Mitglieder und Sympathisanten der Demokratischen Partei in loser Folge unter dem ansprechenden Namen «Drinking Liberally». Der Begriff, der auch auf andere Tätigkeiten angewendet wird, spielt mit dem Wort «liberal», das im politischen amerikanischen Kontext «progressiv» bedeutet, aber, gerade im Zusammenhang mit einer Tätigkeit, eben auch «grosszügig».

Es sind mehrheitlich Frauen, die nach Feierabend den kleinen Saal eines Restaurants schon bald bis an den Rand der Kapazität füllen, und nein, um Kampftrinken geht es natürlich nicht. Laurie Steinke sagt, der Ableger der «Drinking Liberally»-Bewegung hier in Daniel Island sei auf den Trümmern der Hoffnungen von 2016 geboren worden. Für viele bedeute es eine Art Ventil, eine Insel in einem tief republikanischen Staat, auf der sie ihre politischen Meinungen ausdrücken könnten, ohne Repressalien zu riskieren. An diesem Abend alleine kommen rund ein halbes Dutzend Personen zum ersten Mal zum Schnuppern vorbei, andere sind offenbar Gründungsmitglieder. Eine Gruppe Aktivisten stellt ihre Kampagne für eine Reform der Strafjustiz vor.

Herz oder Verstand?

Wie auch anderswo wird deutlich, dass viele derer, die sich nicht zu «Bernie» bekennen, ihre Meinung noch nicht endgültig gemacht haben. Die Afroamerikanerin Faye, ein langjähriges Mitglied, sucht einen Moment lang nach den Worten, um ihre Gefühle zu beschreiben. «Es gibt diesen tiefen Konflikt in mir», sagt sie schliesslich. «Ich will jemanden, der Trump schlagen kann, aber ich will auch jemanden, der mich für unseren Weg in die Zukunft inspiriert.»

Den republikanischen Präsidenten zu schlagen, vor allem in den entscheidenden Gliedstaaten im Rostgürtel, traut sie am ehesten Biden zu. Doch ihr Herz schlägt eigentlich für Buttigieg. «Sie sagten bei Obama, das Land sei nicht bereit für einen schwarzen Präsidenten. Jetzt sagen sie, das Land sei nicht bereit für einen schwulen Präsidenten. Ich weiss einfach noch nicht, ob ich mit dem Herzen oder mit dem Verstand wählen werde.»

Mehr von Peter Winkler (win)

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