Im Kampf gegen das Lungenversagen

Ältere und geschwächte Personen müssen nach einer Infektion mit dem neuen Coronavirus nicht selten auf der Intensivstation behandelt werden. Dort dreht sich alles um den entzündungsbedingt eingeschränkten Gasaustausch in der Lunge.

Alan Niederer
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Ein Covid-19-Patient wird in einem Spital in Cremona auf dem Bauch gelagert, was die Wirkung der künstlichen Beatmung verbessert.

Ein Covid-19-Patient wird in einem Spital in Cremona auf dem Bauch gelagert, was die Wirkung der künstlichen Beatmung verbessert.

Flavio Lo Scalzo / Reuters

Die meisten Personen haben keinen Grund, sich vor dem neuen Virus aus China zu fürchten. Denn sie werden nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 höchstens mild erkranken: mit Fieber und Husten. Möglicherweise kommen Muskel-, Kopf- und Halsschmerzen dazu, seltener auch Durchfall und Übelkeit. Nach ein paar Tagen ist der Spuk meist wieder vorbei – auch ohne Arztbesuch.

Bei diesen Personen – es sind rund 80 Prozent der Infizierten – kommt das Immunsystem gut mit dem neuen Krankheitserreger zurecht. Ihretwegen hätte nicht der Notstand ausgerufen werden müssen. Diese Massnahme wurde nötig, weil 15 bis 20 Prozent der Infizierten schwer erkranken. Dabei handelt es sich meist um ältere Personen und solche mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf- oder Lungenkrankheiten.

Gefahr für Senioren und Chronischkranke

Weil viele dieser Patienten im Spital behandelt werden müssen, kommen die Gesundheitssysteme bei einem massenhaften Anstieg der Infektionszahlen rasch an ihre Grenzen. In der Corona-Krise gilt es daher, die Übertragung des Virus auf die besonders gefährdeten Senioren und Chronischkranken zu verhindern.

Was aber passiert bei einem Patienten mit schwerem Covid-19-Verlauf? Auch in diesem Fall beginnt die Krankheit meist mit grippeähnlichen Symptomen. Nach ein paar Tagen entwickelt der Patient aber zusätzlich Atemnot. Dieses Symptom unterscheidet sich fundamental von einem milden Krankheitsverlauf. Der Arzt stellt beim Patienten möglicherweise eine beschleunigte und teilweise oberflächliche Atmung fest. Zudem ist sein Allgemeinzustand reduziert.

Das alles weist auf eine Lungenentzündung hin. Der Verdacht wird mit einem bildgebenden Verfahren wie der Computertomographie bewiesen. Auf den CT-Bildern lassen sich meist auf beiden Seiten der Lunge mehr oder weniger ausgeprägte Infiltrate nachweisen. Sie sind Zeichen einer durch das Coronavirus ausgelösten Entzündung im Lungengewebe. Damit versucht das Immunsystem des Patienten, den Krankheitserreger zu bekämpfen und zu eliminieren.

Laut Hans Pargger, Chefarzt der Intensivstation am Universitätsspital Basel, sind die nachgewiesenen Lungenveränderungen nicht spezifisch für das neue Coronavirus. Sie kommen auch bei anderen viralen Pneumonien vor, zum Beispiel im Rahmen der saisonalen Grippe.

Eine Lungenentzündung ist eine ernsthafte Erkrankung, die medizinische Beurteilung und Behandlung erfordert. Sie ist aber nicht per se etwas Dramatisches. Bei vielen Patienten heilt die Entzündung folgenlos ab. Bei einem Teil der Betroffenen – oft sind das ältere Patienten und solche mit gesundheitlichen «Hypotheken» – kann die Situation aber ausser Kontrolle geraten. Ohne Gegenmassnahmen nimmt ihre Atemnot zu, und sie geraten in einen kritischen Zustand.

Zu tiefer Sauerstoffwert im Blut

Laut der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin dürfte dieses Schicksal 7,5 bis 10 Prozent der mit Sars-CoV-2 Infizierten ereilen. Bei ihnen ist die Entzündung so schwer, dass sich das Lungengewebe mit sehr viel Flüssigkeit, Eiweissstoffen und Immunzellen füllt. Durch die Verdickung der normalerweise hauchdünnen Trennwand zwischen Lungenbläschen und feinsten Blutgefässen wird der lebenswichtige Gasaustausch in der Lunge erschwert. Das betrifft in erster Linie den Sauerstoff (O2), der jetzt nicht mehr so einfach von der Lunge in die Blutgefässe übertreten kann. Aber auch das Kohlendioxid (CO2) im Blut kann nicht mehr so einfach ausgeatmet werden.

In dieser Situation droht das Lungenversagen, auch akutes Atemnotsyndrom oder ARDS genannt (Acute Respiratory Distress Syndrome). Dass dieses Syndrom nichts Exklusives von Covid-19 ist, zeigt sich daran, dass die Diagnose weltweit jedes Jahr bei über drei Millionen Patienten gestellt wird. Die häufigsten Ursachen sind schwere Lungenentzündungen und die sogenannte Sepsis, die im Volksmund auch schwere Blutvergiftung genannt wird und die auch durch Viren verursacht sein kann.

«Ein beginnendes Lungenversagen wird anhand einer zu tiefen Sauerstoffsättigung im arteriellen Blut diagnostiziert», erklärt der Intensivmediziner Pargger. Dieser Test sei wichtiger als der Befund im CT. «Denn die Sauerstoffsättigung gibt Auskunft über die Funktion der Lunge, die Bildgebung nur über das Aussehen und die Beschaffenheit des Organs.» Sinkt der Blutsauerstoffgehalt auch unter Sauerstoffzufuhr unter einen bestimmten Grenzwert, muss der Patient laut Pargger auf die Intensivstation verlegt werden. Denn nur hier kann er rund um die Uhr mit Hightech-Medizin behandelt werden.

Antivirale Testsubstanzen bei jedem Schwerkranken

Dazu gehört auch die künstliche Beatmung, die beim schweren Covid-19-Verlauf zentral ist, wie Pargger betont. Damit soll der Lunge die nötige Zeit gegeben werden, um sich von der Entzündung zu erholen. Dabei können möglicherweise auch antivirale Testsubstanzen wie Remdesivir und Kaletra, aber auch das Immunsystem modulierende Arzneimittel helfen. Diese für Covid-19 noch nicht offiziell zugelassenen Medikamente werden in Basel bei allen Patienten auf der Intensivstation eingesetzt.

Der Nutzen dieser Substanzen sei zwar noch nicht mit Studien bewiesen, betont der Intensivmediziner. Aus China und Italien gebe es aber Hinweise, dass die Medikamente eine Wirkung hätten, insbesondere wenn sie früh im Krankheitsverlauf gegeben würden. So hätten damit behandelte Patienten die Intensivstation teilweise nach wenigen Tagen verlassen können.

In einigen Fällen reicht allerdings selbst die künstliche Beatmung nicht aus, um den Patienten zu retten. Die Entzündung im Lungengewebe ist so ausgeprägt, dass der Gasaustausch trotz erhöhtem Beatmungsdruck nicht mehr richtig möglich ist. In einem solchen Fall kann die Lungenfunktion durch ein Verfahren namens extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) ersetzt werden. Dabei wird das Blut des Patienten durch eine Maschine geführt, in der es mit Sauerstoff angereichert und von Kohlendioxid befreit wird.

«Damit kann man die Lunge noch besser und länger ersetzen als mit der künstlichen Beatmung», sagt Pargger. Man wisse aber auch, dass nur ein kleiner Teil der Patienten davon profitiere. Denn bei einer schweren Lungenentzündung kann es nach zwei bis drei Wochen zu einem bindegewebigen Umbau des Organs kommen. «Eine solche Fibrosierung geht mit einer dauerhaften Funktionseinbusse einher», so der Experte. Andere Therapien seien deshalb viel wichtiger als ECMO. So verbessere etwa die Bauchlage des Patienten die Wirkung der künstlichen Beatmung. Zentral seien zudem eine optimale Ernährung und das frühzeitige Erkennen und Behandeln von schweren Komplikationen wie einer Neuinfektion durch Bakterien oder einem Schockzustand.

Patientenverfügung wäre jetzt besonders wichtig

Um in der jetzigen Situation die Intensivstationen nicht unnötig zu belasten, wäre es laut Pargger dringend nötig, dass sich alle älteren Personen Gedanken machten, ob sie im Ernstfall künstlich beatmet und intensivmedizinisch behandelt werden möchten oder nicht. «Idealerweise haben wir bei schwerkranken Patienten eine Patientenverfügung», sagt der Arzt. Auch gut informierte Angehörige seien hilfreich. «Wir wollen schliesslich die Patienten nicht gegen ihren Willen behandeln.»

Noch sei in der Schweiz der Ansturm auf die Intensivstationen nicht so gross, dass man einzelne Patienten abweisen müsse, sagt Pargger. Das könne sich aber jeden Tag ändern. Der Intensivmediziner ist dennoch überzeugt, dass die schweizweiten Vorbereitungen genügen, um auch extrem viele schwerkranke Covid-19-Patienten aufnehmen zu können.

Trotzdem gelte es schon heute, bei jedem Patienten nach ein paar Tagen Bilanz zu ziehen und sich zu fragen, ob die Behandlung erfolgreich sei oder nicht. Betrage bei einem Patienten die Chance, dass er die intensivmedizinischen Massnahmen in guter Verfassung überlebe, zum Beispiel nur zehn Prozent, bedeute das möglicherweise, dass man neun von zehn Patienten falsch behandle, gibt der Mediziner zu bedenken. Deshalb sei es für das Spitalpersonal so wichtig, den Patientenwillen zu kennen – auch in Zeiten ohne Covid-19-Pandemie.