Im Februar 1945 trafen sich Churchill, Roosevelt und Stalin auf der Krim. Seitdem heisst es: Dort wurde die Welt geteilt, wurde Europa geteilt, wurde Deutschland geteilt. Das ist höchstens die halbe Wahrheit

Am 4. Februar 1945 trafen sich die «Grossen Drei» in Jalta, um die Nachkriegsordnung zu verhandeln. Dass dabei die Welt geteilt wurde, ist eine Legende.

Jost Dülffer
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Die «Drei Grossen» im Gruppenbild: Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt und Josef Stalin in der ehemaligen Zarenresidenz Livadia.

Die «Drei Grossen» im Gruppenbild: Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt und Josef Stalin in der ehemaligen Zarenresidenz Livadia.

The Granger Collection, New York / Keystone

Zunächst wurde ein Tagungsort in Schottland oder am Mittelmeer gesucht. Doch weil Stalins Verpflichtungen als militärischer Oberbefehlshaber oder seine Gesundheit das nicht zugelassen hätten, ging die bald legendäre Konferenz an der Schwarzmeerküste über die Bühne. US-Präsident Franklin D. Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill trafen am 3. Februar 1945 auf der Halbinsel Krim ein. Sie kamen getrennt per Flugzeug und legten vom Landeplatz Saki in der Nähe von Simferopol bis zur Kurstadt Jalta eine mehrstündige Autofahrt über holprige Strassen zurück. Dabei sahen sie zerstörte Siedlungen, von denen Stalin später sagte, das sei noch gar nichts im Vergleich zu den sonstigen Kriegsschäden, welche die Wehrmacht in seinem Lande angerichtet hätte. Josef Stalin kam einen Tag später mit dem Zug aus Moskau. Die drei Staatsführer bezogen mit ihren Stäben in der Nähe Jaltas drei gerade wieder hergerichtete Paläste. Die ehemalige Zarenresidenz Livadia bildete den Ort für die Gipfelbegegnungen, die Aussenminister und Militärs trafen sich auch anderswo.

Stalins Masterplan?

Die «Grossen Drei» tagten vom 4. bis 11. Februar 1945 in der zweiten ihrer drei Gipfelkonferenzen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Zum ersten Mal hatten sie sich vom 28. November bis 1. Dezember 1943 in Teheran im britisch-sowjetisch besetzten Iran getroffen, ein dritter Versuch zur Einigung der Nachkriegsordnung fand nach dem Ende des europäischen Krieges in Potsdam vom 28. Juli bis 2. August 1945 statt. Man hat sich in der Öffentlichkeit und der politischen Bildung angewöhnt, die Communiqués und Presseerklärungen dieser drei Treffen wie eherne Verträge über die Nachkriegsordnung zu betrachten. Doch das waren sie nicht. Gerade weil sich die Grossmächte in den folgenden Jahren über die Behandlung Deutschlands, Japans und viele andere Fragen in die Haare gerieten und damit ab 1947 der Kalte Krieg herrschte, erhielten die vorangegangenen Bekundungen, die zumeist nur vorläufig oder technisch gedacht waren mangels umfassender abschliessender Verträge, eine höhere völkerrechtliche Qualität.

Ein zentrales Urteil über die Krim-Konferenz lautet seither: In Jalta wurde die Welt geteilt, wurde Europa geteilt, wurde Deutschland geteilt, wie zahlreiche Buchtitel und Essays bis in die Gegenwart hinein signalisieren. Auch das trifft nicht zu oder ist höchstens die halbe Wahrheit. Dahinter steht der ab 1945 erhobene Vorwurf, die naiven Westmächte, voran Roosevelt, aber auch der realistischere Churchill, hätten sich von Stalin über den Tisch ziehen lassen. Der sowjetische Diktator, trickreich und scheinfreundlich, habe einen Masterplan zur Ausdehnung sowjetischer Herrschaft nach Westen gehabt, um so unter kommunistischer Ideologie die Umgestaltung der Welt zum eigenen gesellschaftlichen Modell zu fördern. Aber so war es nicht.

Die Konferenz von Jalta reiht sich ein in mehrere bi- und trilaterale Treffen ab Ende 1941, in denen politische Entscheidungen für die Nachkriegszeit besprochen und manchmal auch informell oder formell beschlossen wurden. Zur Zeit von Jalta hatten die Truppen der Vereinten Nationen – so nannte sich die Kriegskoalition ab 1942 – die West- und Ostgrenze des Deutschen Reiches erreicht; das Ende des europäischen Krieges wurde in wenigen Monaten erwartet. Anders in Ostasien: Da gingen die Amerikaner von einem weiteren langen und verlustreichen Krieg möglicherweise bis ins folgende Jahr aus. Die Sowjetunion war dort ab 1941 und immer noch durch einen Neutralitätsvertrag an Japan gebunden. So stellte es eine wichtige Konzession für den US-Präsidenten dar, dass Stalin in Jalta zusicherte, zwei bis drei Monate nach Ende des europäischen Krieges in den ostasiatischen Krieg einzutreten (was dann auch auf den Tag genau geschah). Das würde angesichts japanischer Kriegführung zahlreiche amerikanische Opfer sparen.

Quadratur des Kreises in Polen

Im Zentrum der Konferenz stand die deutsche Frage: Wie konnte verhindert werden, dass das aggressive Deutschland – da waren sich alle einig – in Zukunft einen Revanchekrieg anzetteln würde? Direkt damit verbunden war die polnische Frage. Hier hatte man sich schon in Teheran im Prinzip über eine Westverschiebung des Staates bis an die Oder geeinigt. Die Ostgrenze des neuen Polens sollte jetzt ungefähr eine Linie bilden, die der britische Aussenminister Lord Curzon Ende 1919 vorgeschlagen hatte. Am Ende des damaligen russisch-polnischen Krieges 1921 liess sich Polen mit dem Frieden von Riga aber weit östlichere Gebiete zusichern. Die Curzon-Linie hatte ferner die Demarkationslinie in den deutsch-sowjetischen Pakten von 1939 gebildet. Stalin liess 1941 gegenüber den Briten keinen Zweifel daran, dass er die von einem neutralen Briten vorgeschlagene Grenze fordere. Dem hatten die Westmächte ebenso bereits in Teheran grundsätzlich zugestimmt und zugleich als Kompensation der Westverschiebung Polens. Die ethnischen Gründe hierfür blieben fadenscheinig; Flucht und Vertreibung waren programmiert.

Mit ihren Siegen über die Wehrmacht hatten die Sowjets in Polen im Juli 1944 ein Komitee der nationalen Befreiung eingesetzt, das sie zu Jahresbeginn 1945 zur provisorischen Regierung erklärten. Die polnische Exilregierung in London wurde ebenso übergangen wie die Armija Kraiowa, die Untergrundarmee gegen die Deutschen im Lande. Teile von diesen stellten sich gegen die sowjetische Besatzung und wurden nun als Terroristen verfolgt. Roosevelt und Churchill setzten in Jalta für Polen immerhin eine Koalitionsregierung unter Beteiligung der Exilregierung durch. Wie das gehen sollte, blieb indes offen. Stalin verkündete wiederholt, er hoffe auf ein starkes, unabhängiges und sowjetfreundliches Polen. Nach allem, was zwischen beiden Staaten nach 1939 vorgefallen war, bedeutete das die Quadratur des Kreises – aber was hätten die Westmächte angesichts der Befreiung durch die Rote Armee tun sollen oder können?

Abstecken von Macht

Ähnliches galt im Kern für den überwiegenden Teil Ostmittel- und Südosteuropas, der allein durch sowjetische Truppen befreit wurde, so dass auch hier allein Moskau provisorische Regierungen einsetzen konnte. Vergleichsweise hatten die Westmächte Italien (oder gar Frankreich) ohne jede östliche Hilfe besetzt und liessen sich hier nicht hineinreden. Zu einer Absprache der drei über die künftige Politik war es vor der Befreiung von den Deutschen nicht gekommen. Erst spät war Churchill – ohne den durch Wahlkampf verhinderten Roosevelt – im Oktober 1944 nach Moskau gereist und schlug dort Stalin formlos (auf einem Zettel) ein Schema unterschiedlichen Einflusses von Ost und West in Ostmitteleuropa vor, das Stalin akzeptierte; das band Roosevelt nicht, der ein solches imperiales Geschacher offiziell ablehnte. Wie aber sollte man der Sowjetunion im befreiten Osteuropa unterhalb der Schwelle der Konfrontation beikommen? Immerhin hielt sich Stalin in der Zukunft an den Churchill versprochenen dominierenden westlichen Einfluss in Griechenland.

Die Westverschiebung Polens berührte die deutsche Frage. Roosevelt verkündete in Jalta, dass die Amerikaner nach spätestens zwei Jahren Europa wieder verlassen würden. Daher hatten im damaligen Denken primär Grossbritannien und die Sowjetunion für die Niederhaltung und die Befriedung der Macht in der Mitte Europas zu sorgen; dass Frankreich nach dem Krieg eine solche Rolle wirklich übernehmen könnte, stand in Jalta noch nicht fest. Schon in den Jahren zuvor hatten sich interne Kommissionen der Mächte, dann aber auch die «Grossen Drei» darüber verständigt: Zerstückelung («dismemberment») sei das Beste, nämlich drei oder mehr Staaten aus dem bisherigen Reich zu schneiden; das waren vor allem Pläne der Westmächte. Stalin drängte auf der Krim zu einer konkreten Einigung, welche die Westmächte aber vertagten. Tatsächlich liess Stalin diesen Grundsatzbeschluss im Mai fallen.

Scharf zu trennen davon war die Übernahme der vorläufigen Besetzung Deutschlands nach seiner bedingungslosen Kapitulation. Hier bekräftigten die «Grossen Drei» Vereinbarungen einer Kommission über ihre jeweiligen Zonen; Deutschland insgesamt, besonders aber Berlin sollte gemeinsam verwaltet werden. Tatsächlich verfestigten sich diese Grenzen zwischen Ost und West und galten bis 1989. Die Westmächte wollten allerdings Frankreich als vierten Partner mit einer eigenen Zone dabei haben. Das gestand Stalin zu, zumal diese aus den bisherigen britischen und amerikanischen Zonen geschnitten werden sollte. Dazu war man sich über mehrere einschneidende Struktureingriffe zur Abschaffung jedes «Nazismus und Militarismus» einig, um Deutschland langfristig und schon vor einer Aufteilung zu einem Glied der Staatengemeinschaft zu transformieren. Ferner wurde die Ahndung von Kriegsverbrechen bekräftigt.

Reparationen und Weltpolizei

Der wichtigste Struktureingriff jedoch sollten die Reparationen werden. Keine andere Frage hatte die Sowjetunion besser vorbereitet, suchte sie doch dadurch zugleich die Kriegsschäden im eigenen Land zu beseitigen. Dazu gehörten umfangreiche Demontagen und die jährliche Lieferung von Sachwerten. Churchill jedoch gab sich nach den schlechten Erfahrungen nach 1918 skeptisch, meinte, dem Pferd, das man reiten wolle, müsse man doch Heu und Hafer geben. Man überliess die Frage einer Kommission, die von Werten von 20 Milliarden Dollar ausging, die Hälfte davon für die Sowjetunion; die Details vertagte man an eine Kommission.

Über die Gründung einer neuen Weltorganisation aus der Kriegskoalition, den Vereinten Nationen, hatten Ende 1944 erfolgreiche Expertengespräche stattgefunden. In Jalta ging es nurmehr darum, die Rolle der Weltmächte bei deren Stabilisierung zu vereinbaren, eine Anwendung von Roosevelts Gedanken von «Weltpolizisten». Neben den Dreien war man sich über China als Ordnungsmacht für Ostasien einig; für Europa setzte Grossbritannien die Beteiligung des geschwächten Frankreichs durch – als ständige Mitglieder im künftigen Sicherheitsrat. Verständlich war es, dass die Sowjetunion als einzige «sozialistische» Macht die Einstimmigkeit dieser grossen Fünf forderte – sie wäre sonst gegebenenfalls in einer Minderheit von 1 : 4 gewesen.

Schliesslich erreichte Roosevelt noch eine gemeinsame «Erklärung über das befreite Europa». Darin stand u. a. das Recht aller Völker, ihre eigene Regierungsform zu wählen. Wenn es etwa Schwierigkeiten bei freien Wahlen gab, dann wollten die drei Mächte sich gemeinsam um die Überwindung dieser Probleme bemühen. Sicher steckten darin Formelkompromisse, aber diese Erklärung, mit der Roosevelt sogleich in den USA punktete, schuf einen guten Ansatz gegen eine Polarisierung in Europa einvernehmlich vorzugehen.

Vieles wurde vertagt

Zentral für die Konferenz von Jalta war es, dass Stalin, Roosevelt und Churchill von einer Zusammenarbeit ihrer drei Länder für die kommenden Jahrzehnte ausgingen. Vor allem Stalin zeigte sich besorgt über die Zukunft, wenn diese drei Männer nicht mehr an der Macht wären – insbesondere bei einem Wiedererstarken Deutschlands. Vieles vertagte man auf Ausschüsse und künftige Konferenzen, wenn die Kriegslage klarer war bzw. die Kampfhandlungen beendet waren. Im Kern hatten sich die Westmächte bei den «weichen» Fragen der künftigen Ordnung in Europa und der Welt durchgesetzt, während sowjetische Wünsche in macht- und sicherheitspolitischen Dingen dominierten. Auf diese Weise glaubte man, gemeinsam weiterhandeln zu können.

In NS-Deutschland schrieb die Zeitschrift «Das Reich» über Jalta in bester Fake-News-Manier zur mentalen Mobilisierung: «An den Dardanellen ging der Eiserne Vorhang nieder», Stalin habe sich voll durchgesetzt. Eine solche Perspektive sollte man in historischer Sicht nicht wiederholen. Es gab in Jalta 1945 Einigung wie Differenzen, welche die «Grossen Drei» später aufzunehmen und zu lösen hofften. Doch dazu kam es nicht. Jalta enthielt Ansätze für eine kooperative Friedensordnung, aber auch für künftige Konfrontationen. Letztlich überwogen bald danach die Konflikte, die in einen Kalten Krieg einmündeten. Aber dazu bedurfte es vieler weiterer Entwicklungen, zu denen alle Seiten, wenn auch in unterschiedlichem Masse, beitrugen.

Jost Dülffer ist emeritierter Professor für Internationale Geschichte und Historische Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Köln.